Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) plant, die Grenzkontrollen an den Grenzen zur Schweiz auszuweiten: „Ich werde alles in die Wege leiten, um intelligente Kontrollen an der Grenze vorzunehmen.“ Bis September will er ein entsprechendes Konzept vorlegen. Seehofer verweist auf die Zahl illegaler Einreisen von knapp 43 000 im vergangenen Jahr. Dies sind allerdings die bundesweiten Zahlen.
In Baden-Württemberg sind die Zahlen deutlich geringer, wie die SÜDKURIER-Grafik zeigt: Waren es 2017 noch deutlich über 1000 festgestellte illegale Einreisen im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei Konstanz, ging die Zahl im vergangenen Jahr auf 866 zurück. Die Bundespolizeiinspektion ist immerhin für 187 Grenzkilometer zuständig. Im vergangenen Monat vermeldete die Konstanzer Bundespolizei allerdings 69 Anzeigen wegen unerlaubter Einreise. Damit wurden in diesem Jahr (bis einschließlich Juli) im Bereich der Polizeiinspektion 492 Fälle registriert.
Dennoch legt Seehofer die bundesweiten Zahlen zugrunde, um seine Forderung nach einer „erweiterten Schleierfahndung und anlassbezogenen, zeitlich befristeten Kontrollen unmittelbar an der Grenze – auch an der Grenze zur Schweiz“ zu stützen. Tatsächlich hat die Bundespolizei schon jetzt die Möglichkeit, Schleierfahndungen im Grenzbereich zu machen, die Bundespolizei Konstanz führt eine gemeinsame operative Dienstgruppe mit dem Schweizer Grenzschutz. Schon heute gehen Beamte beider Länder gemeinsam auf Streife, zudem finden regelmäßig Hubschraubersprungfahndungen statt. Die Zusammenarbeit an der Grenze gilt als Pionierarbeit, sie wurde 2016 in einem Aktionsplan beschlossen und ist seit dem vergangenen Jahr an der deutsch-schweizerischen Grenze aktiv.
Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) verweist dennoch auf die Befürchtung wachsender illegaler Migration durch die in der Schweiz seit dem Frühjahr neu installierten Abschiebezentren: „Gerade in der Grenzregion zur Schweiz hat es in der Vergangenheit – etwa mit Blick auf das Bundesasylzentrum in Kreuzlingen – Sorgen und Befürchtungen gegeben“, heißt es darin.
Mit der Entstehung des Schengenraums waren feste Grenzkontrollen abgeschafft worden, die Bundespolizei operiert daher stichprobenartig. Schengen sei zwar eine „wichtige Errungenschaft“, aber „illegale Grenzübertritte müssen unterbunden“ werden, so Strobl. Falls es notwendig sei, „muss auch mehr Bundespolizei an die Grenze zur Schweiz kommen“. Dies sei bereits „vor Monaten“ mit Seehofer „persönlich so vereinbart“ worden. Die Bundespolizei lehnte eine Stellungnahme auf Anfrage allerdings ab und verwies auf das Bundesinnenministerium.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster aus Weil am Rhein begrüßte den Vorstoß Seehofers ebenfalls. „Es geht nicht um eine Einschränkung des Schengenraums“, betonte er. Vielmehr gehe es darum, die „schon heute praktizierte Schleierfahndung stark zu intensivieren, bis hin zu flexiblen Kontrollen unmittelbar an der Grenzlinie für einen kurzen Zeitraum“. Die Debatte darüber habe es „schon lange vor dem tragischen Fall in Frankfurt gegeben“, dieser werde dadurch „nicht politisch instrumentalisiert“.
Kein Zusammenhang mit Frankfurt
Auf Anfrage verweist das Bundesinnenministerium lediglich auf eine Pressemitteilung. Demnach plant die Bundesregierung keine „vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an der deutsch-schweizerischen Grenze“. Zudem stünden die „angekündigten Maßnahmen der Bundespolizei nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen“ am Frankfurter Hauptbahnhof.
Die Schweizer Kantonspolizei hatte den Eritreer, der am Frankfurter Bahnhof einen Jungen vor einen einfahrenden Zug gestoßen haben soll, zuvor wegen Bedrohung einer Frau mit einem Messer nur landesintern zur Fahndung ausgeschrieben, nicht aber europaweit. Das Schengener Informationssystem (SIS) ist eine Datenbank, die von beteiligten Ländern, also auch Deutschland und der Schweiz genutzt werden kann: Darin können Personen zur Fahndung ausgeschrieben werden.
Das System wird von den Ländern allerdings unterschiedlich intensiv genutzt. Deshalb forderte die Deutsche Polizeigewerkschaft eine Verbesserung bei der Vernetzung der europäischen Polizeidatenbanken und der Fahndungspraxis im Schengenraum. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (Kreis Konstanz) regte an, zumindest „die Frage zu stellen, ob man solche Leute nicht generell zur Fahndung ausschreibt“.
Der FDP-Politiker Benjamin Strasser kritisiert die Forderung von Seehofer scharf. Dieser versuche, „politisches Kapital aus der Tat zu schlagen. Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch politisch völlig falsch“, sagt Strasser. Er unterstellte dem Bundesinnenminister: „Was Seehofer eigentlich will, ist die abgeriegelte Grenze.“ Dafür gebe es aber an der Schweizer Grenze keinen Bedarf.
Neben verschärften Grenzkontrollen will Seehofer auch die Sicherheit an Bahnhöfen erhöhen. Er nannte Schleusen oder Sperren an Bahnsteigen, im Herbst soll ein Gespräch mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sowie Verkehrsexperten dazu stattfinden. Seehofer rechnet mit massiven Kosten: „Über die Jahre werden wir mit einem Millionenbetrag nicht auskommen“, sagte er, ohne auf die Finanzierung einzugehen. Den Rückhalt von Angela Merkel will er haben: „Ich weiß die Bundeskanzlerin in diesen Sicherheitsfragen voll auf meiner Linie.“