Am Anfang stehen Schmähungen, Beschimpfungen und Drohungen. Am Ende wird ein Mann mit rechtsextremer Vergangenheit als mutmaßlicher Mörder verhaftet. Der 45-jährige Stephan E. soll den Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen haben, „heimtückisch“, wie die Bundesanwaltschaft glaubt. Sie behandelt den Mord als „politisches Attentat“.

Bislang hat die Bundesanwaltschaft keine Anhaltspunkte dafür, dass der Tatverdächtige zu einer rechtsterroristischen Vereinigung gehört – auch wenn der Kopfschuss, mit dem Lübcke Anfang Juni auf der Terrasse seines Hauses niedergestreckt wurde, an die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erinnert. Noch werten die Ermittler Datenträger aus, die bei der Durchsuchung sichergestellt wurden.

Der Deutsche Stephan E. sitzt jetzt in Untersuchungshaft. Ob er Komplizen oder Mitwisser hatte, ob Lübcke nicht das einzige Opfer bleiben sollte? Auf all diese Fragen gibt es noch keine abschließenden Antworten.

Vermutlich schonmal in Anschlag verwickelt

Schon vor zehn Jahren soll der Tatverdächtige in Dortmund an einem Angriff von Rechtsextremen auf eine 1. Mai-Kundgebung des DGB beteiligt gewesen sein. Und bereits 1993, so „Zeit Online“, soll er einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth verübt haben.

Damals war ein brennendes Auto an der Unterkunft gerade noch rechtzeitig gelöscht worden, bevor der selbst gebastelte Sprengsatz auf der Rückbank detonieren konnte. Zu den Szenegrößen, die überregional bekannt sind und als „Gefährder“ eingestuft werden, wird der heute 45-Jährige indes nicht gezählt.

Die Innenpolitikerin Martina Renner (Linke) hat in der Vergangenheit selbst Drohungen von Rechtsextremisten erhalten. Die Bundestagsabgeordnete sagt: „Rechte Morde sind nicht zu trennen von rechter Hetze auf der Straße, im Internet oder in den Parlamenten.“ Deshalb müsse jetzt „Schluss sein mit Verständnis, Dialog und Homestories für die geistigen und tatsächlichen Brandstifter“.

Die Sprache verroht

Auch Armin Schuster (CDU) sieht einen Zusammenhang zwischen rechtsextremer Gewalt „und einem beunruhigenden Klima, das in Deutschland entstanden ist – auch durch die Art und Weise, wie Diskussionen in den Parlamenten und in sozialen Medien geführt werden“. Wenn AfD-Politiker Begriffe wie „Kopftuchmädchen“, „Messermänner“ oder „Vogelschiss der Geschichte“ benutzten, bleibe das nicht ohne Folgen. Diejenigen, die solche Worte im Mund führten, müssten sich „schon eingestehen, dass sie damit Vorfeldorganisation im rechten Bereich ermutigen“. Lübcke hatte sich 2015, so wie viele Politiker auf kommunaler und nationaler Ebene, für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Er begründete dies mit christlichen Werten.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat seit seinem Amtsantritt als Behördenleiter im November mehrfach betont, er sehe aktuell erhebliche Risiken im rechten Spektrum. Seine Behörde beschreibt die Szene in einer vertraulichen Analyse als zersplittert: Als maßgebliche Akteure träten mittlerweile „vor allem wenig komplex organisierte Kleingruppen und Einzelpersonen in Erscheinung“. (dpa)

Was geschah im Fall Walter Lübcke?

  • 2. Juni: Ein Angehöriger findet Lübcke um 0.30 Uhr mit einer Kopfwunde auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha (Kreis Kassel). Gegen 2.35 Uhr wird sein Tod festgestellt. Polizei und Landeskriminalamt ermitteln wegen unklarer Todesumstände.
  • 3. Juni: Die Ermittler erklären, dass Lübcke durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe getötet wurde. Eine 50-köpfige Sonderkommission wird eingerichtet.
  • 5. Juni: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisiert Reaktionen in sozialen Netzwerken zu Lübckes Tod, die „zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig“ seien. In der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ bitten Ermittler um Zeugenhinweise. Mehr als 200 gehen in den nächsten Tagen ein.
  • 8. Juni: Bei einem Polizeieinsatz an einem Nordsee-Fährhafen wird eine Person in Gewahrsam genommen und einige Stunden später wieder auf freien Fuß gesetzt. Es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass der Mann an der Tat beteiligt war, erklären die Ermittler.
  • 13. Juni: In Kassel nehmen über 1300 Menschen bei einem Trauergottesdienst Abschied von Walter Lübcke.
  • 15. Juni: Spezialeinheiten der Polizei nehmen in Kassel einen 45-jährigen Tatverdächtigen fest. Grund seien DNA-Spuren.
  • 16. Juni: Gegen den Mann wird Untersuchungshaft erlassen, er kommt in die Justivollzugsanstalt Kassel I. Die Ermittler sprechen erstmals von Mord als Tatvorwurf.
  • 17. Juni: Nach Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund übernimmt der Generalbundesanwalt die Ermittlungen. (dpa)