
Bürgerlich und bescheiden: „Helmut Schmidt“ steht bis heute auf der Klingel. Und auch sonst hat sich hier kaum etwas verändert, seit Loki und Helmut Schmidt eingezogen sind. Seit sie hier gelebt haben, geraucht, geliebt, gefeiert, getrauert. Seit sie hier gealtert sind und gestorben – nach mehr als 70 gemeinsamen Jahren.

Einfach in dieses Haus gehen und in das Privatleben des Altkanzlers eindringen? Die Schmidts wollten es so. Es war ihr Letzter Wille. In ihrem Testament – Loki starb 2010 mit 91, Helmut Schmidt 2015 mit 96 Jahren – haben sie verfügt, dass ihr Wohnhaus so erhalten bleiben soll, wie sie es verlassen haben.
Alles blieb an seinem Platz
Und die Schmidts wollten, dass ihr Haus für Besucher geöffnet wird. Das ist dreieinhalb Jahre nach dem Tod des Politikers nun der Fall. Alles ist noch an seinem Platz. Als wären die Schmidts nur mal eben übers Wochenende an den Brahmsee gefahren, wo sie ein Ferienhaus hatten.

Unten der Perser, oben Bildung und Gemütlichkeit mit Kissen auf dem Ledersofa. Berühmte und mächtige Männer saßen in Hamburg-Langenhorn auf der Couch, wenn sie etwa zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik waren.

Das Büro des Altkanzlers ist vollgepackt mit Büchern, Bildern und Nippes. Dazu gehört eine wichtige Erinnerung: Das Schachbrett samt Figuren, das Helmut Schmidt in britischer Kriegsgefangenschaft geschnitzt hat.

Im Büro sieht es noch immer nach Arbeit aus. Als sei der Hausherr nur kurz nach draußen gegangen. Hier feilte er an seinen Reden, schrieb Artikel für die "Zeit" und verfasste zahlreiche Bücher.

Die Tischplatte in Schmidts Büro ist übersät von kleinen Brandflecken, Spuren des größten Lasters des Ehepaars, das hier lebte: Im ganzen Haus findet man silberne Schatullen mit Tabakwaren, vornehmlich die Menthol-Zigaretten des berühmtesten Rauchers der Republik.

An einem Aschenbecher klebt verbrannter Tabak. Daneben steht eine Kerze in einem Halter. Nicht der Romantik wegen, sondern für den Fall eines Stromausfalls. Deshalb findet sich im Regal eine verbeulte Taschenlampe.

In seinem Arbeitszimmer vergaß Schmidt oft die Zeit, und so stehen auf dem Fenstersims ein Spiegel, ein Elektrorasierer und ein Fläschchen Aftershave. So konnte er sich notfalls schnell frisch machen. Schmidt war immer irgendwie im Einsatz . . .

Jedes Stück hat eine eigene Inventarnummer, sogar der Stapel Taschentücher auf dem Schreibtisch. Mehr als ein Jahr lang erfasste ein Historiker über 6000 Gegenstände und legte sie zurück an Ort und Stelle.
Flügel und Rosenschere
Von einer Fensterfront umrahmt, steht ein Konzertflügel, auf dem Helmut Schmidt gerne – und gut – spielte.

Der Flügel war ein Weihnachtsgeschenk von Loki. Die Botanikerin bekam damals ein Gewächshaus für den Garten. Auf der Fensterbank liegt die Rosenschere. Loki Schmidt war eine engagierte Pflanzenschützerin.

Wenn Gäste kamen, hat Loki Schmidt schon mal spontan für alle gekocht. Es gab dann Hausmannskost, Eintopf oder Bratkartoffeln mit Roastbeef. Die Küche blieb in den fünf Jahrzehnten, in denen das Paar hier lebte, dieselbe. Die Schmidts stammen aus einer Generation, in der man nichts weggeworfen oder ohne Not erneuert hat. So findet man im Hängeschrank über der Arbeitsplatte alte Senfgläser, aus denen getrunken wurde.
Bar mit Buddelschiff
Der intimste und geheimnisvollste Ort im Haus ist die Bar im Stil einer Buddelschiff- und Seemanns-Spelunke à la St. Pauli. Sie liegt nicht im Keller, sondern in einem fensterlosen Raum zwischen Wohn- und Esszimmer. Auch hier empfing Gastgeber Schmidt große Leute.

Dort entstand ein legendäres Bild. Spätabends, eingehüllt in den Rauch von Zigaretten und das schummrige Licht der Hängelampen, unterhält sich Schmidt mit seinem Freund, dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing. Eine Momentaufnahme zweier Männer, die ins Gespräch versunken sind? Oder hat der Fotograf die Szene arrangiert? Aber was ist das?

Auf dem Tresen eine Figur von Louis Armstrong, die auf Knopfdruck den Klassiker „What a wonderful world“ singt. Ein Geschenk von Tochter Susanne, die in England wohnt. Loki und Helmut wollten, dass ihre kleine Welt sie überlebt. Alles ist an seinem Platz geblieben. Alles ist in Ordnung.

So macht man das in Hamburg-Langenhorn, wo sich die Menschen noch an Regeln halten. Nur eines hat sich verändert: Draußen an der Haustür klebt jetzt ein „Rauchen verboten“-Schild. Wenn das der Altkanzler wüsste.
Führungen: Pro Monat können nur 24 Personen Teile des Wohnhauses von Helmut und Loki Schmidt besichtigen. Die Plätze für die ersten Wochen waren binnen weniger Minuten ausgebucht. Interessierte können am 23. Mai unter http://www.helmut-schmidt.de ihr Glück versuchen.
- Einblicke: Wer keinen Platz ergattert oder die weite Anreise nach Hamburg scheut, kann auf derselben Internetseite einen virtuellen Rundgang durch die Räume unternehmen.
- Ausstellung: Bis zum 31. Oktober ist eine Fotoausstellung zum 100. Geburtstag im Helmut Schmidt Forum in der Hamburger Innenstadt (Kattrepel 10) zu sehen. Öffnungszeiten auf der Webseite oben. (ms)