Herr Asserate, oder heißt es Herr Asfa-Wossen, oder wäre königliche Hoheit korrekt? Wie ist die richtige Anrede?
Wenn überhaupt, dann Kaiserliche Hoheit. Aber die richtige Anrede spielt in einer Republik wie Deutschland keine Rolle. Ich überlasse das Ihnen.
Und wie ist es richtig?
Ich bin und fühle mich als Deutscher, 1981 wurde ich eingebürgert. Der eine Titel, den ich selbsttätig erworben habe, lautet Doktor. Deswegen bin ich sehr zufrieden, wenn Sie mich Dr. Asserate nennen.
Auch wenn Asserate nicht Ihr Nachname ist, wie ich gelesen habe.
Seitdem ich Deutscher bin, glaube ich, dass ich ein Anrecht auf einen Nachnamen habe.
Werden Sie gelegentlich gefragt, woher Sie kommen?
Sehr selten. Wenn ich gefragt werde, dann in einer sehr positiven Art, somit weiß ich, dass man nichts Übles im Schilde führt. Auf jeden Fall ist die Frage keine Beleidigung, wie das manchmal von „Woken“ empfunden wird. Ich kann aber verstehen, wenn Afrodeutsche sich darüber ärgern, wenn sie danach gefragt werden.
Sie denken selbst nie: Ich werde hier nicht anerkannt?
Überhaupt nicht. Wir haben in Deutschland die bunteste Gesellschaft aller Zeiten. Man ist heute nichts Besonderes, nur weil man eine andere Hautfarbe hat. Das war noch anders, als ich nach Deutschland gekommen bin. 1968 gab es in Tübingen keine 20 Afrikaner. Damals wurde ich, als ich einmal auf einer Parkbank saß, von zwei älteren Paaren angesprochen, die dachten, ich müsste doch Heimweh haben. Daraufhin haben sie mich zum Mittagessen eingeladen.
Ich bin dafür dankbar, dass ich in den 50 Jahren, die ich in Deutschland lebe, kein einziges Mal Rassismus erlebt habe. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich die deutsche Sprache schon beherrschte und etwas über die deutsche Geschichte und Kultur wusste. Meine afrikanischen Brüder und Schwestern, die heute hierher kommen, haben diese Vorteile nicht, sprechen auch kein Deutsch, haben eventuell noch eine andere Religion. Man könnte sagen: Ich kam schon integriert nach Deutschland.
Das Buch, das Sie zum Thema Rassismus geschrieben haben, heißt: „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ Ich kenne das Spiel noch aus dem Sportunterricht. Heute wird vermutlich etwas anderes gespielt. Ist das gut so?
Nein. Ich weiß nicht, warum wir uns so sehr auf Sprache beschränken. Dieses Spiel hat mich dazu gebracht, das Buch zu schreiben, weil mich das damals fasziniert hat. Ich sah damals zum ersten Mal, wie es die Kinder in Tübingen gespielt haben. Das Spiel hat ursprünglich allerdings mit Afrikanern überhaupt nichts zu tun, sondern der Schwarze Mann stellte die Pest dar.
Ich weiß nicht, wo das Problem liegt. Für mich stellt Schwarz keine Beleidigung dar. Ich gehöre zu einer Generation, die stets stolz war zu sagen: „Black is beautiful.“ Wenn Sie mich jedoch einen Farbigen nennen, dann könnten Sie ein Problem mit mir haben. Weil das ein Begriff ist, der während der Apartheid in Südafrika verwendet wurde. Immerhin sind 1,3 Milliarden Menschen in Afrika schwarz.
In Deutschland diskutieren wir viel über sprachlichen Rassismus. Es geht dann zum Beispiel um die Mohren-Apotheke. Alles unnötig?
Woher kommt das Wort Mohr? Es kommt ursprünglich vom spanischen „moros“ (die Mauren). Gemeint waren die ersten Nordafrikaner, die nach Spanien gekommen sind. Später hatte dies aber auch noch eine andere Komponente enthalten: Der Mohr stand im Mittelalter auch für einen der beliebtesten Heiligen, den Heiligen Mauritius, der auch von Königen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in ihr Wappen aufgenommen wurde. Mohr war somit keine Beleidigung.
Warum lassen wir das nicht so? Das N-Wort ist etwas anderes. Das assoziiert Kolonialherrschaft und Sklaverei. Nennen Sie Menschen doch so, wie sie am liebsten genannt werden wollen. Dabei geht es immer um Respekt und Würde. Wenn Sie diese beiden Werte jedem zukommen lassen, brauchen Sie nicht über Farbe nachzudenken. Dann können Sie das ganze „woke“ Gedankengut vergessen.
Jenseits von allen Begrifflichkeiten: Was ist für Sie Rassismus?
Für mich ist Rassismus, wenn ein Mensch ganz bewusst einen anderen erniedrigt, ihm das Gefühl gibt, er sei ohne Eigenwert, ohne Kultur, und die Nase über ihn rümpft. Wie wir aber wissen: Es gibt keine Rassen. Alle Menschen haben zu 99,9 Prozent dieselben Gene. Alles andere ist Kappes.
Trotzdem gibt es Rassismus in diesem Land. Ist das in der Zeit, die Sie hier sind, alles besser geworden?
Natürlich sind wir internationaler geworden, aber sicherlich ist nicht alles gut. Und in Deutschland und Europa gibt es Rassismus. Denken Sie nur an den Antisemitismus, der wieder zunimmt. Aber ich teile nicht die Meinungen vieler „Woken“, dass alle Weißen per se Rassisten sind. Meine große Angst ist, dass wir die Menschen, die wirklich Antirassisten sind, durch diese Debatten um kulturelle Aneignung und um sprachlichen Rassismus verlieren. Weil sie unsicher sind, ob sie etwas Falsches sagen. Das ist kein gutes Miteinander.
Übrigens: Was ich seit 50 Jahren mache, ist ja kulturelle Aneignung. Schauen Sie, wie ich gekleidet bin. Wer gibt mir das Recht, solche Kleidung zu tragen? Wie kam ich dazu, mehrere Bücher über Manieren und deutsche Tugenden zu schreiben? Wie wollen Sie eigentlich kulturelle Aneignung von kulturellem Austausch unterscheiden? Übrigens früher gehörte Kulturaustausch zur Allgemeinbildung!
Ich würde gerne ein bisschen mehr über Ihr Leben erfahren. Wie war es, als Prinz aufzuwachsen?
Wie soll es sein? Märchenhaft? (lacht) Es war nicht wie im Märchen, wie sich das Europäer manchmal vorstellen. Natürlich war das ein großer Unterschied, wie ich aufgewachsen bin, im Vergleich zum einfachen Äthiopier. Daraus will ich keinen Hehl machen. Aber wenn ich den kaiserlichen Palast in Äthiopien mit Schlössern in Europa vergleiche, dann haben wir bescheiden gelebt.

Wir sind aber auch so erzogen worden. Zum Beispiel: Ich bin mit dem Sohn eines unserer Diener aufgewachsen. Einmal wollte er mir ein Spielzeug nicht geben und ich habe ihm gesagt: Weißt du eigentlich, wer ich bin? Er gab mir das Spielzeug und hat sich dann aber bei meinem Vater beschwert. Mein Vater verabreichte mir meine erste und einzige Tracht Prügel. Er gab mir zu verstehen: Das Einzige, was euch beide unterscheidet, ist der Zufall der Geburt. Wenn du besser sein willst als er, dann musst du das erst beweisen. Das war eine große Lehre in meinem Leben.
Sie kamen zum Studium nach Deutschland, dann kam es in Ihrer Heimat zur Revolution und Sie konnten nicht mehr zurück. Wie ist es heute?
Nach der Revolution von 1974 war ich 17 Jahre lang eine unerwünschte Person und bis 1991 durfte ich nicht zurück. Mein Vater wurde von den Revolutionären umgebracht, wie auch der Kaiser. Meine ganze Familie wurde 15 Jahre lang in Sippenhaft gehalten. Wenn Sie mich heute fragen würden, was ich in meinem Leben überhaupt erreicht habe, würde ich ohne mit der Wimper zu zucken antworten: dass es mir mit Gottes Hilfe gelungen ist, meine Familie aus der Hölle rauszuholen. Fragen Sie mich nicht wie. Es gab keine Klinke, die ich nicht geputzt habe!
Haben Sie noch Heimweh?
Das Äthiopien, das ich kannte, gibt es so nicht mehr. Wie kann ich mich vollends mit einem Land identifizieren, in dem seit 30 Jahren Apartheid herrscht? In einem Land mit einer ethnozentrischen Gesellschaft, ethnischen Grenzen, ethnisch-politischen Parteien wird es niemals zur Gründung eines wahren Rechtsstaates kommen. Mein Traum ist die Errichtung eines freien, demokratischen, föderalistischen äthiopischen Staates, wo die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie keine Rolle mehr spielt.
Wie schätzen Sie die Zukunft Äthiopiens ein?
Äthiopien könnte eines der erfolgreichsten Länder Afrikas sein, allein aufgrund seiner territorialen Größe und Demografie. Mit dem Bau des Nil-Staudamms könnte Äthiopien das ganze Horn von Afrika mit Energie versorgen. Dreieinhalb Millionen Äthiopier leben ja in der Diaspora, viele sind sehr gut ausgebildet. Wenn wir die Menschen in ihr Land zurückholen würden und alle die Möglichkeit hätten, in Frieden zu leben, wäre das Potenzial groß.
Sie haben die Queen persönlich kennengelernt. Wie war sie?
Ich habe Ihre Majestät zwei Mal getroffen. Das erste Mal 1965, da war ich 17 Jahre alt, als sie zum Staatsbesuch nach Äthiopien kam. Zu dieser Zeit war mein Vater Vizekönig von Eritrea und ich wurde ihr in Asmara vorgestellt. Viele Jahr später, 1977, zu ihrem 25. Thronjubiläum, da hat mich diese großartige Frau zu einer Garten-Party in den Buckingham-Palast eingeladen.
Ich war sogar im Royal Tea Tent, wo die Königin mit ausgesuchten Leuten ihren Tee einnahm. Sie hat fast eine Viertelstunde mit mir gesprochen. Ich war so beeindruckt über das, was sie alles über Äthiopien wusste, auch über die Fragen, die sie mir über meine Familie gestellt hat. Sie hat mir versichert, dass sie alles tun würde, was in ihrer Macht steht, um die Haft zu erleichtern. Die Queen war eine höchst ungewöhnliche Frau, die in ihrer 70-jährigen Regentschaft eine ganze Ära geprägt hat.
Und was trauen Sie ihrem Sohn zu?
Vieles. Er ist nicht nur in Sachen Umweltschutz ein Prophet, sondern auch ein sehr gewissenhafter Denker. In allen Bereichen des politischen Lebens hat er schon sehr früh viele Erfahrungen sammeln können. In der Geschichte Englands hat es nie einen Kronprinzen gegeben, der so gut vorbereitet war wie er. Er wird ein guter und erfolgreicher König werden.
Was macht die englische Monarchie so erfolgreich?
Einzig und allein die Tatsache, dass sie seit der Glorreichen Revolution von 1668/1669 das Land nicht beherrscht, sondern nur regiert hat. Und weil sie stets als ein Symbol der Einheit der vier konstitutionellen Landesteile des Vereinten Königreichs galt: England, Wales, Schottland und Nordirland.