Grüezi wohl, Friedrich Merz!
Sie haben sich in den vergangenen Jahren nicht ganz unverdient den Ruf erarbeitet, öfter mal Unüberlegtes von sich zu geben. Und offen gesagt ist es mir zu blöd, mich jedes Mal drüber zu empören.
Diese Woche jedoch haben Sie sich an Menschen wie mich gewandt. An all jene also, die neben dem deutschen auch ihren ursprünglichen Pass behalten möchten. In einem Interview behaupteten Sie, Deutschland hole sich mit diesen Doppelstaatlern „zusätzliche Probleme ins Land“.
Deutsche sind näher als Schweizer
Nun muss ich Sie fragen, Herr Merz: Bin ich ein Problem für Sie? Ich bin vor 14 Jahren einst ins Ruhrgebiet gezogen, habe dort und im Rheinland studiert und mich in Land und Leute verliebt. Die Direktheit und der trockene Humor, aber auch die Gelassenheit und die Offenheit, die ich in Deutschland kennengelernt habe, sind den meisten Menschen in meiner Schweizer Heimat fremd.
Heute lebe ich in Konstanz, arbeite für eine deutsche Zeitung und werde, sofern es mir gestattet wird, bald auch deutscher Staatsbürger sein.
Pauschale Urteile über fremde Menschen
Da würden Sie jetzt möglicherweise einwenden, dass in einem solchen Fall die doppelte Staatsangehörigkeit natürlich kein Problem wäre. Ein Schweizer in Deutschland, das wird schon irgendwie passen, kulturelle Nähe und so. Sie würden also womöglich so urteilen, wie Sie es oft tun: pauschal und über eine ganze Menge Leute, die Sie nicht ansatzweise kennen.
Oder wer sagt Ihnen, dass ich kein notorischer Schlägertyp bin? Oder dass ich hier nicht nur auf der faulen Haut liege? Und wie würde Ihr Vorurteil ausfallen, wenn ich nicht aus der Schweiz, sondern aus Syrien oder Gabun stammte?
Ausländer müssen als Sündenbock herhalten
Die Antwort darauf können Sie sich sparen, Herr Merz. Denn wo immer es in der politischen Diskussion um negative Aspekte des Zusammenlebens geht, schielen Sie in Richtung derer, auf deren Pass nicht der Bundesadler prangt.
Gewalt gegen Frauen, Sozialbetrug, Drogenkriminalität, Familienfehden, Diebstähle – alles Probleme, die in Ihrer Gedankenwelt offenbar Ausländer nach Deutschland bringen. Und dann wollen die auch noch die Staatsbürgerschaft, sapperlot!
Europäische Einigung ist eine gute Sache
Anders als Sie will ich nicht über die Gründe anderer Leute spekulieren, weshalb diese sich für eine doppelte Staatsbürgerschaft entscheiden. Ich möchte Deutscher werden, weil ich die europäische Einigung für eine gute Sache halte und ich mich diesem Land zugehöriger fühle, ohne zu wissen, warum genau.
Den Schweizer Pass werde ich vermutlich dennoch behalten, auch wenn dieser keinen praktischen oder ideellen Nutzen mehr für mich hat.
Einbürgerungszeremonie ist bewegend
So geht es vielleicht auch vielen anderen, die jetzt oder in Zukunft mit zwei Staatsbürgerschaften durchs Leben gehen. Wenn Sie erfahren möchten, was diese Menschen zu dieser Entscheidung bewegt hat, empfehle ich Ihnen, einmal einer Einbürgerungszeremonie beizuwohnen.
Es könnte Ihrem Menschenbild guttun und ist außerdem oft ein wirklich berührendes Ereignis. Vielleicht stehe ich dann ja auch irgendwo unter den Neubürgern und Sie werden feststellen: Die sind gar nicht so mies, diese Ausländer.
Uf wiederluege!