Für Donald Trump läuft es derzeit nicht rund. In gut drei Wochen wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten, und der Amtsinhaber hat allen Grund, um seinen Job zu bangen. Konkurrent Joe Biden führt in allen Umfragen, die Corona-Krise hat das Land im Griff und zu allem Überfluss hat das Virus den 74-Jährigen kurz vor dem Endspurt erwischt. Trump weiß genau: Sollte er am 3. November sein Amt verlieren, atmet halb Amerika auf – und der überwiegende Teil der Welt dazu.
Er hat es aber noch nicht verloren. Niemand sollte sich darauf verlassen, dass die Amerikaner diesen Präsidenten endlich aus dem Weißen Haus jagen. Umfragen können trügen, schon vor vier Jahren lagen sie komplett daneben. Vor allem aber: Dass ein derart ungehobelter Mensch der Präsident des mächtigsten Landes der Welt wurde, hat seine Gründe. Klar, Trump ließ in seiner Amtszeit keine Gelegenheit aus, Freund und Feind vor den Kopf zu stoßen. Er trieb die Spaltung seines Landes voran, versagte im Kampf gegen Corona und Rassismus und ruinierte das Ansehen der USA in der Welt. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die Mehrheit der amerikanischen Wählerschaft dies so wahrnimmt. Man darf daran zweifeln. Denn die Ursachen von Trumps Wahlerfolg 2016 sind trotz Corona noch wirksam. Der Amtsinhaber tut alles dafür, dass sie auch diesmal den Ausschlag geben.

Warum Trump vor vier Jahren gewählt wurde
Das wichtigste Prinzip des US-Wahlkampfs hat Trump von Anfang an verstanden: Wer Präsident werden will, muss den Wählern in Amerika gefallen, nicht den Besserwissern in Europa. Seine Versprechungen von 2016 lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Wir brauchen Zölle, um unsere Arbeitsplätze zu erhalten. Wir opfern weder sauer verdiente Steuergelder noch das Leben unserer Soldaten für die Sicherheit anderer Völker. Wir wollen keine illegalen Einwanderer. Am besten bauen wir eine Mauer, um sie abzuwehren.
Wer genau hinsieht, muss zugeben, dass Trump in den vergangenen vier Jahren konsequent versucht hat, diese Versprechungen gegen alle Widerstände einzuhalten. Das ist der Grund, warum seine Anhänger ihn so hartnäckig verehren. In ihren Augen verraten Politiker ihre Wähler, sobald sie in Amt und Würden sind. Kompromisse, wie sie im politischen Alltag unumgänglich sind, erscheinen ihnen als Ausdruck von Opportunismus und Verlogenheit. Es ist die Weltsicht von Populisten. Für sie stecken die da oben alle unter einer Decke – Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler, Journalisten. Trump, obgleich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, erscheint ihnen als der einzige, der es mit ihnen aufnimmt und das ganze Establishment zum Teufel jagt.
Corona wird für Trump nicht wirklich gefährlich
Selbst Corona kann diesen Präsidenten deshalb nicht wirklich aus dem Tritt bringen. Kein anderes Land der Welt wurde, an Infektionen und Todeszahlen gemessen, von der Pandemie so hart getroffen wie die USA. Anderswo müsste ein Politiker, der dafür die Verantwortung trägt, seinen Stuhl räumen. Trump nicht. Er kokettiert sogar mit seiner Ansteckung. Die Bilder nach seiner Entlassung aus dem Hospital haben eine unmissverständliche Botschaft: Seht her, ich habe es überstanden. So gefährlich, wie viele sagen, ist das Virus also gar nicht. Habe ich es nicht von Anfang an gesagt?
Die Deutschen haben keinen Grund zur Überheblichkeit
Menschen, die für solches Gift empfänglich sind, gibt es nicht nur in Amerika. Die Europäer haben daher keinen Grund zur Überheblichkeit: Mauerbauer, Eliten-Hasser und Corona-Leugner finden sich überall, selbst am Bodensee. Seit dem Flüchtlingssommer 2015 zeigt sich in aller Dramatik, wie in westlichen Gesellschaften das Vertrauen in die gewählte Politik schwindet. Die Corona-Krise mit ihren Verschwörungstheorien treibt diese Entwicklung massiv voran: Keine Demonstration, in der den Regierenden nicht vorgeworfen wird, das eigene Volk an dunkle Mächte zu verkaufen. In Deutschland ist dies glücklicherweise noch eine Minderheiten-Meinung. Amerika führt vor, was aus einer Demokratie werden kann, wenn sich die Gräben in einer Gesellschaft vertiefen und jemand dem Frust gewieft eine Stimme verleiht.
Trump hinterlässt somit Lektionen, die über den Horizont seines eigenen Landes weit hinausweisen. Eine von ihnen lautet: Zur Spaltung gehören immer zwei. Amerikas Bildungsschicht hat nie begriffen, warum die Wähler lieber einen Donald Trump als eine Hillary Clinton im Weißen Haus sehen. Deshalb ziehen die Demokraten mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner in den Wahlkampf: Mit seinen 77 Jahren und seinem milchigen Frohsinn steht Joe Biden für ein Amerika, das längst untergegangen ist. Vieles deutet darauf hin, dass wir künftig in einer ungemütlicheren Welt leben. Sie wird ungemütliche Politiker hervorbringen. Typen wie Donald Trump eben. Selbst wenn er am 3. November abgewählt wird, ist er vermutlich nicht der letzte seiner Gattung.