Da kann man sicher sein: Wäre dieser Vorschlag von einer Partei gekommen – sie wäre in Umfragen abgestraft worden. Die Rede ist vom jüngsten Reizwort, das in die Debatte über die Zukunft des deutschen Rentensystems geworfen wurde: der Boomer-Soli.

Nun handelt es sich beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das für diesen Begriff verantwortlich zeichnet, nicht um eine Partei, sondern um eine renommierte, hundert Jahre alte und mit öffentlichen Geldern finanzierte Institution. Man darf also davon ausgehen, dass sich die Experten, die sich in einer Studie äußern, zuvor intensiv Gedanken darüber gemacht haben, was sie veröffentlichen.

Die Masse sorgt für Druck

Das trifft für den Ausgang ihrer Überlegungen zweifellos zu: Die geburtenstarken Jahrgänge der Deutschen, die zwischen 1955 und 1969 geboren wurden, kommen nun verstärkt ins Rentenalter und setzen durch ihre schiere Masse die Rentenkasse unter Druck. Der ergibt sich aus der Tatsache, dass zu wenige Jüngere die Lasten für die Älteren stemmen müssen, da jene sich nicht mehr auf viele Schultern verteilen lassen, wie es der Generationenvertrag ursprünglich vorsah.

Mit dem Vorschlag, dass bessergestellte Rentner die Ärmeren solidarisch mit einem Abzug von ihren Alterseinkünften unterstützen könnten, hat das DIW nun einen gedanklichen Rubikon überschritten, was vorhersehbar auf heftigsten Widerstand stoßen musste. Denn das Rentensystem gründet auf einem Vertrauensvorschuss.

Ein Gefälle gehört dazu

Wer länger oder mehr einzahlt, verdient sich damit eine bessere Versorgung im Alter. Was dieses grundsätzlich faire Äquivalenzprinzip – das für die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung steht – nicht mitdenkt, ist der Umstand, dass sich zwischen den Rentenempfängern später zwangsläufig ein Versorgungsgefälle auftut.

Das war bisher allgemein akzeptiert. Der DIW-Vorschlag bricht mit diesem Grundsatz, unterwirft die Älteren einer erzwungenen Solidarität und nimmt damit eine Segmentierung der Rentenversicherten in Kauf. Auch wenn man die Belastung durch diesen Alten-Soli als „moderat“ bezeichnet – was beim vorgeschlagenen Freibetrag von nur 1000 Euro sehr zweifelhaft ist – stellt sich die Frage, was das für die Zukunft des Rentensystems bedeuten würde.

Es werden falsche Anreize gesetzt

Wäre es nicht verlockend, diese Umverteilung in die jüngeren Jahrgänge zu verlängern? Könnte es sein, dass man die falschen Anreize setzt, wenn geringer Bezahlte von der Hoffnung leben können, dass man ihnen später die Altersarmut wegalimentiert?

Diese möglichen Folgen scheinen die Mütter und Väter der Idee nicht bedacht zu haben. Aber auch aus einem anderen Grund ist der Ansatz – bei allem Bemühen um die gebotene Entlastung der Jüngeren – fragwürdig, weil ihm ein Pranger-Effekt anhaftet: Die Botschaft, dass „die Boomer“ die Sorgengeneration unserer Gesellschaft sind. Das aber löst keine Probleme, sondern heizt einen Konflikt an, der nicht mehr nur unterschwellig wabert, sondern immer greifbarer wird.

Aus etwas Gutem wird etwas Belastendes

Ein Blick zurück macht das deutlich. Lange Zeit war vom „dem Babyboom“ die Rede, der Ende der 60er-Jahre vom „Pillenknick“ abgelöst wurde. Man sprach von den „geburtenstarken Jahrgängen“ und das war positiv gemeint. Eltern freuten sich über Nachwuchs, die Dreikind-Familie war normal, die Urlaube im Vergleich zu heute eher bescheiden. Die Politik baute Kindergärten, Schulen, Universitäten und stellte massenhaft junge Lehrer ein. Die Kinder, die Schüler, die Lehrlinge waren, so hieß es allgemein, „unsere Zukunft“.

Und so kam es auch. Junge Menschen haben an der Mehrung des Wohlstandes weitergearbeitet. Sie haben beim Wettlauf um einen Job mit hunderten von Bewerbern konkurriert, sie haben die Renten von Eltern und Großeltern finanziert, waren in den meisten Fällen selbst Eltern, und immer mehr Mütter waren dauernd berufstätig. Von Doppelbelastung war lange Zeit die Rede, es entstand der Begriff der „Sandwich-Generation“ – die ausgepressten Scheiben zwischen der Versorgung der Alten und dem Kümmern um die Jungen.

Die Kampfansage der Jüngeren

Ende der 2010er-Jahre drehte sich der Wind. Der Nachwuchs ging fürs Klima auf die Straße, der Graben wuchs. „Weiße alte Männer“ richteten angeblich die Erde zugrunde, und „Ok, Boomer“ wurde zu einer Kampfansage an eine lästige Generation. Seitdem hat am Arbeitsplatz so mancher das Gefühl, sich für sein Alter mit einem schlechten Gewissen entschuldigen zu müssen. Wird hier ein neuer Spaltpilz herangezüchtet?

Verbale Abrüstung täte einer Gesellschaft, die durch Anpassungskrisen gestresst ist, gut. Ein Anfang wäre gemacht, wenn man nicht jenen nachplappert, die den Begriff der Generation verfälschen und Gräben vertiefen, indem sie „Boomer“ und „Gen Z“ (oder X und Y) gegeneinander stellen. Probleme werden nur dann bewältigt, wenn alle gleichberechtigt anpacken. Nur so entsteht am Ende ein Soli-Effekt, der diesen Namen wirklich verdient.