Corona scheint Geschichte zu sein. Menschen mit Maske sind fast aus dem öffentlichen Leben verschwunden, es ist Sommer, die Pandemie, die gut drei Jahre lang dem öffentlichen Leben ihren Stempel aufdrückte, ist kaum mehr ein Thema. Dabei fanden die letzten Infektionsschutzmaßnahmen erst im vergangenen April ein Ende – also erst vor gut vier Monaten.
Doch ist die Gefahr wirklich vorbei? Droht im Winter neues Unheil durch mutierte Erreger? Würde eine künftige Pandemie die Regierung wieder so unvorbereitet treffen, wie es bei Corona der Fall war? Wir haben im von Karl Lauterbach (SPD) geführten Bundesgesundheitsministerium nachgefragt.
Wie wahrscheinlich ist, dass es in der kommenden Herbst/Winter-Saison wieder zu einer bedrohlichen Situation durch das Coronavirus kommt, etwa durch neue Mutationen wie die „Eris“-Variante, die sich gerade weltweit verbreitet?
Aus seiner Sicht, so das Bundesministerium für Gesundheit, sei es noch zu früh, um fundiert abzuschätzen, wie sich das Infektionsgeschehen im Herbst und Winter entwickelt. Die Lage werde kontinuierlich mithilfe des „Pandemieradars“ beobachtet, um schneller auf Veränderungen zu reagieren und gezielt Maßnahmen ergreifen zu können. Mittlerweile seien alle zentralen Daten im digitalen Pandemieradar zu finden.
Wie hoch das aktuelle Infektionsgeschehen ist, wie schwer die Erkrankungen verlaufen wie stark das Gesundheitssystem belastet ist und wie sich die Situation in den Krankenhäusern darstellt – all das lässt sich demnach sehr genau verfolgen. Dadurch habe sich die Vorhersage über mögliche neue Coronavirus-Wellen deutlich verbessert.
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um auf mögliche neue Wellen besser vorbereitet zu sein, als in der Vergangenheit?
Lauterbachs Haus nennt die Digitalisierung als einen der Hauptfaktoren, um auf Krisen effektiver zu reagieren. Die Covid-19-Pandemie habe gezeigt, dass digitale Technologien dazu beitragen können, Engpässe in der Versorgung zu vermeiden und den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen und Bildung zu erleichtern. Das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (Demis) sei stark ausgebaut worden.
Alle Gesundheitsämter wurden demnach bis Ende 2020 an Demis angebunden, später auch alle Pandemie-relevanten Labore. So könnten Sars-CoV-2-Erregernachweise elektronisch an die jeweils zuständigen Gesundheitsämter gemeldet werden. Das System werde weiter ausgebaut. Die Krankenhäuser meldeten zudem seit rund einem Jahr täglich ihre Behandlungskapazitäten.
Wie ist der Stand der Vorbereitung auf mögliche künftige Pandemien?
Der Nationale Pandemieplan wird derzeit überarbeitet. Er solle sich nicht nur auf Corona beziehen. Vorgesehen sei eine Ausweitung auf andere akute virale Atemwegsinfektionen mit pandemischem Potenzial. Auf der Weltbühne werden demnach das internationale Pandemieabkommen und Änderungen der internationalen Gesundheitsvorschriften ausgehandelt, „um die Widerstandsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber zukünftigen Pandemien zu stärken“.
Im Rahmen der EU seien weitere Pläne für bessere Zusammenarbeit in Pandemiesituationen auf dem Weg. Auch weltweit werde in Früherkennungssysteme und Krisenbewältigung investiert.
Gäbe es im Notfall ausreichend Masken, Tests, Schutzausrüstung und Impfstoffe?
Das Ministerium verweist auf die 2020 beschlossene „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ (NRGS), die vorgehalten werden soll, um in Zukunft nicht nur das Gesundheitssystem, sondern bei Bedarf auch vulnerable Gruppen in der Bevölkerung, Verwaltung und Wirtschaft sowie kritische Infrastrukturen besser schützen zu können. Die während der Pandemie durch den Bund beschafften Verbrauchs- und Versorgungsgüter werden, sofern noch haltbar, weiterhin bereitgehalten.
Darüber hinaus habe der Bund am Paul-Ehrlich-Institut das Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und Therapeutika (ZEPAI) errichtet. Es dient der Planung und Durchführung der Pandemievorsorge und -Bekämpfung mit Impfstoffen und anderen Arzneimitteln. Dazu schloss der Bund 2022 mit fünf Unternehmen sogenannte Pandemiebereitschaftsverträge ab. Sie verpflichten die Firmen, im Bedarfsfall kurzfristig Impfstoffdosen zu liefern.
Welche Impfempfehlungen gibt es aktuell für Erwachsene?
Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) sind aktuell knapp 64 Millionen Personen (78 Prozent der Gesamtbevölkerung) gegen Sars-CoV-2 grundimmunisiert. Gut 66 Millionen haben eine oder mehrere Auffrischungsimpfungen erhalten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt allen Personen im Alter ab 18 Jahren eine Basisimmunität, die durch mindestens drei Sars-CoV-2-Antigenkontakte erreicht werden können – also durch Impfungen oder eine durchgemachte Infektion.
Um eine bestmögliche Basisimmunität zu erlangen, sollten nach Einschätzung der Stiko mindestens zwei der drei Antigenkontakte als Impfung erfolgt sein. Wenn noch Antigenkontakte fehlten, sollten diese durch Impfungen nachgeholt werden. Darüber hinaus werden keine weiteren Auffrischimpfungen für gesunde Erwachsene bis zum Alter von 60 Jahren sowie für Schwangere angeraten.
Wie sieht es bei Kindern sowie älteren und kranken Menschen aus?
Für gesunde Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren empfiehlt die Stiko derzeit keine Covid-19-Impfung – weder eine Grundimmunisierung noch eine Auffrischimpfung. Zusätzlich zur Basisimmunität empfiehlt die Stiko für Personen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf eine Auffrischimpfung. Das betrifft Menschen ab einem Alter von 60 Jahren, Leute mit Grundkrankheiten, Bewohner von Alters- und Pflegeeinrichtungen oder Personen mit einem erhöhten beruflichen Infektionsrisiko.
Mit der Zulassung eines für die aktuelle Situation besonders geeigneten Impfstoffes sei in nächster Zeit zu rechnen. Vorzugsweise solle im Herbst geimpft werden. Auch ein Impfschutz gegen Influenza und Pneumokokken sei wichtig. Diese Impfungen könnten zeitgleich mit einer Covid-19-Impfung verabreicht werden.