Selten lag eine Bundesregierung so massiv daneben. Noch vor wenigen Wochen winkten Politiker von Union und SPD gelassen ab, wenn vom Siegeszug der Taliban in Afghanistan die Rede war. Jetzt gehen Bilder um die Welt, die eine Ahnung davon geben, welcher Schrecken mit dem Sieg der Islamisten über das Land hereinbricht. Jede dieser Szenen zeigt in erschütternden Details die Folgen dieses Irrtums: Die Fehleinschätzungen in Berlin kosten Menschen in Kabul das Leben und Afghanistan die Freiheit.

Ein paar hundert Afghanen konnte die Bundeswehr nach der Machtübernahme der Taliban bisher noch retten: Aus Kabul evakuierte Personen ...
Ein paar hundert Afghanen konnte die Bundeswehr nach der Machtübernahme der Taliban bisher noch retten: Aus Kabul evakuierte Personen warten am Dienstag nach der Landung mit einem Transportflugzeug Airbus A400M der Bundeswehr in Taschkent darauf, dass sie das Flugzeug verlassen können. Die Bemühungen kommen dennoch viel zu spät. | Bild: Marc Tessensohn/dpa

Zum Entsetzen über das Chaos am Hindukusch kommt in Deutschland somit das Erschrecken über das Versagen der eigenen Regierung. Im Nachhinein erscheint es geradezu unglaublich, wie beharrlich die zuständige Ministerriege die Situation schönredete. Wie können sich Politiker an der Spitze eines Staates nur so irren? Außenminister Maas schlug im Bundestag alle Warnungen in den Wind und versorgte Kanzlerin und Ministerkollegen mit rosaroten Lageberichten.

Wo bleiben die Rücktritte?

Bundeswehr-Chefin Kramp-Karrenbauer machte keinen Finger krumm, um deutsche Staatsangehörige und afghanischen Hilfskräfte in Sicherheit zu bringen, als dafür noch Zeit gewesen wäre. Innenminister Seehofer ging es vor allem darum, sein Abschiebungsprogramm durchzuziehen und eine neue Flüchtlingsdebatte abzuwehren. Wohin man schaut, Fehlurteile, Fehlverhalten und – ja, wohl auch Fehlbesetzungen. In früheren Zeiten wäre angesichts eines solchen Rundum-Versagens eine ganze Reihe von Rücktritten fällig gewesen. Die Minister in Berlin denken nicht daran.

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Die Verantwortung für ihre Entscheidungen tragen sie trotzdem. Vorerst ist die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik erschüttert und das Vertrauen der Bürger in die Kompetenz der Regierenden in Trümmer gelegt. Daran ändern auch die reumütigen Auftritte der Kanzlerin und ihres völlig überfordert wirkenden Außenministers nichts. Für viele afghanischen Hilfskräfte der Bundeswehr kommt der Sinneswandel zu spät: Die neuen Herren des Landes sind bereits dabei, mit ihnen abzurechnen. Die Bundesrepublik hat sie im Stich gelassen. Es ist der traurige Schlusspunkt einer Mission, die mehr Frieden und mehr Sicherheit schaffen sollte und mit der Errichtung eines neuen Terrorstaates endet. Ein Debakel – politisch, militärisch, moralisch.