So dünn ist also das Eis, auf dem sich Kremlchef Wladimir Putin bewegt. Seit 16 Monaten überzieht Russlands Präsident sein Nachbarland mit Angst, Schrecken und Zerstörung. Nach den dramatischen Ereignissen an diesem Wochenende deutet sich an, wie dieser Krieg enden könnte – nicht weil die Ukraine die stärkeren Bataillone hat, sondern weil Putin von seinen eigenen Mitstreitern entmachtet wird.
Der Aufstand ist zwar abgeblasen. Aber die Lektion, die Söldnerführer Prigoschin seinem Herrn und Meister erteilt hat, sitzt. Auch wenn der Wagner-Boss bei seinem Marsch auf Moskau in letzter Minute kehrt macht, führt er aller Welt vor Augen, dass Putins Macht Grenzen hat.
Putin hat Prigoschin aufgebaut
Putin hat es sich selbst eingebrockt. Er machte den Schwerverbrecher Prigoschin zum Multimillionär. Er unterstützte ihn dabei, mit Mördern, Vergewaltigern und Totschlägern eine Privatarmee zu gründen. Und er schickte diese apokalyptische Schlächtertruppe an die Front in der Ukraine. Die Wagner-Söldner stehen für den zynischen Versuch, den Krieg zu privatisieren, weil die eigene Bevölkerung nur wenig geneigt scheint, für Putins Großrussland ihre Söhne in den Tod zu schicken.
Jetzt lernt Putin die Kehrseite dieser Entscheidung kennen. Die Geister, die er rief, wenden sich gegen ihn. Anders als die Ukrainer kämpfen Prigoschins Söldner nicht für ihr Land, sondern für sich selbst – und im Zweifel gegen ihre eigenen Landsleute. Nur mit Mühe entging der Kremlchef seinem Schicksal, weil Prigoschin weniger Zulauf fand als er offenbar erhofft hatte, vor allem aber weil sich Russlands Sicherheitsapparat hinter den Präsidenten stellte.
Söldner-Chef verschwindet nach Belarus
Doch Putins Kraft reicht nicht mehr aus, eine Militärkolonne auf die Autobahn zu schicken, den Putschisten festzunehmen und mit ihm abzurechnen. Stattdessen entkommt der Wagner-Chef durch die Hintertür nach Belarus.
Putin bleibt somit angeschlagen. Das Märchen vom allmächtigen, alles kontrollierenden Führer kann er seinen Landsleuten nicht länger erzählen. Diese Maske hat ihm Prigoschin vom Gesicht gerissen. Ein Ende des Kriegs bedeutet dies keineswegs. Aber das Chaos in Putins Staat, nur zwei Autostunden vom Moskauer Machtzentrum entfernt, bestärkt die Ukraine in ihrer Zuversicht, dass dieser Gegner besiegbar ist.