Die Hälfte aller US-Bürger feiert, und in Deutschland dürfte die Freude sogar deutlich überwiegen. Der Demokrat Joe Biden wird im dritten Anlauf der 46. Präsident, und noch nie hat das Land einen so alten Politiker – bei seiner Amtseinführung wird er 78 Jahre sein – gewählt. Doch das schien für keinen seiner Anhänger ein Problem zu sein.
Wer für Biden stimmte, wollte nur eins: Trump loswerden
Auch hat es niemanden unter den Demokraten-Unterstützern davon abgehalten, für einen Mann zu stimmen, der im Wahlkampf eher lustlos wirkte und das genaue Gegenteil von einem Innovator ist, als der sich Bidens früherer Chef Barack Obama dem Volk verkaufte. Denn wer für Biden stimmte, wollte nur eines: Donald Trump loswerden, der nun dabei ist, der weiter die Gültigkeit der Wahl anzweifelt und damit das Vertrauen in de Demokratie vergiftet.
Für jene Bürger ist der Sieg ihres Kandidaten auch ein gewaltiger moralischer Sieg, denn sie sahen im amtierenden Präsidenten vor allem eines: Die Personifizierung von Unehrlichkeit, Unmoral und dem Bösen in der Politik.

Von Januar an wird Biden nun unter massivem Druck stehen, mehr als nur die Entsorgung eines bei der Hälfte der Nation verhassten Präsidenten zu liefern – vor allem in der eskalierenden Coronavirus-Krise.
Was kann Biden umsetzen?
Doch vor allem aufgrund der erwarteten republikanischen Führung im Senat und einer dünnen Mehrheit im Repräsentantenhaus stehen die wesentlichen Versprechen Bidens, auf die auch der unruhige linke Flügel in der Partei drängt, vermutlich auf dünnem Eis. Eine staatliche Gesundheitsversorgung (“Medicare“) für alle dürfte ebensowenig Chancen haben wie massive Einschränkungen beim Waffenbesitz oder die geplanten Steuererhöhungen für Besserverdienende.
Biden kann zwar mit einer Exekutivanordnung, die er für den ersten Tag im Amt – also den 20. Januar 2021 – plant, die Weltmacht wieder in das Pariser Klimaschutzabkommen zurückführen. Doch ob es innenpolitisch zu jenem „New Green Deal“, jenem von den Progressiven in der Partei geforderten radikalen Umdenken in der Umweltpolitik kommt, ist noch nicht abzusehen.
Deshalb könnte sich der Wahlsieger erst einmal in der Rolle des Chef-Heilers wiederfinden, die er in seiner Siegesrede am Samstagabend selbst beschwor.
Mehr Erfolg im Ausland als im Inland
Aufgrund seines ruhigen, undramatischen und berechenbaren Charakters wäre er theoretisch geeignet, Brücken über den Graben zu bauen, der das tief gespaltene Land trennt. Doch erinnern wir uns: Auch Obama versuchte dies zunächst, nur um dann zu lernen, dass ihm die Republikaner nichts außer frontaler Konfrontation entgegenbringen wollten. Und ein großer Teil der Trump-Anhänger wird der Rhetorik ihres Idols folgen und Biden als illegitimen Präsidenten ansehen – so wie viele Demokraten Trump stets als Mann betrachteten, der sich nur durch die Hilfe Russlands und anderer Tricks ins Weiße Haus geschlichen habe.
Mehr Erfolg dürfte Biden deshalb bei seiner Heiler-Rolle im Ausland finden. Er wird auch Berlin irgendwann versichern, dass die USA als berechenbarer Partner in die Reihe der führenden Nationen zurückgekehrt ist. Und das ist doch eigentlich das, was die Deutschen und Europa vom neuen Präsidenten hören wollen.