Sie helfen uns, zu widerstehen, aber nicht zu siegen. So sagte es kürzlich der auch bei uns wohlbekannte und in seinem seltenen Niveau hochgeschätzte ukrainische Schriftsteller Jurko Prochasko. Ist das gerecht, ist das fair – angesichts der Unterstützung, die die Ukraine seitens der Nato und der EU erfährt? Auch Deutschland liefert inzwischen unverzichtbare Waffen, was auch die Führung der Ukraine anerkennt. Die Zeiten, da uns der ukrainische Botschafter wegen Untätigkeit fast täglich geißeln musste, sind vorbei.
Nicht vorbei bei aller laufend betonten Solidarität ist es freilich mit der roten Linie, die der Westen dem tödlich bedrohten Land anhaltend zieht: Wir muten der Ukraine zu, wir erwarten, wir verlangen von ihr, dass sie ihren Verteidigungskrieg führt, ohne die logistischen Zentren des Aggressors weit hinter der Front, tief in seinem eigenen Hinterland anzutasten. Und das, obwohl Russland über die Mittel verfügt, gerade von dort aus die Lebensgrundlagen der Ukraine zu zerstören. Die Beschränkung scheint nicht verhandelbar. Sie ist die Bedingung, das Maß für die westlichen Waffenlieferungen, so dynamisch sich diese in den anderthalb Jahren des Krieges auch entwickelt haben.
Einzelne international bekannte Osteuropahistoriker, einzelne hochrangige Militärs außer Amt sind mutig und integer genug zu fragen, wie man unter solchen Bedingungen denn überhaupt einen Krieg führen will. Man könne es nicht. Es sei schlicht absurd. Kein amerikanischer Soldat würde jemals gezwungen werden, unter solchen Bedingungen zu kämpfen.
Aber so etwas wie eine öffentliche Debatte über diese sinnwidrige Entscheidung gegen ein um seine Existenz kämpfendes Land gibt es nicht. Ihre Beweggründe bleiben im Dunkeln oder doch Halbdunkeln. Sollte es Angst sein – die Angst unserer Staaten, irgendwie in den Krieg hineingezogen zu werden – , wäre das eine doppelt kriegsverlängernde Botschaft an den Kreml. Aber die Entscheidung bleibt unerörtert, unlegitimiert. Sie bleibt ein Tabu. Was nur heißen kann, dass sie aus den Zentren der politischen Macht kommt. Die eben auch darüber entscheiden möchten, was gesagt werden darf und was nicht. Wir sollten hier vielleicht nicht gleich über das Weltbild und die politische Strategie Joe Bidens und seiner Regierung sprechen. Sondern zur Abwechslung erst einmal über die Gefolgschaftstreue unserer eigenen Regierung.
Aber geht es denn anders? Amerika ist die Vormacht des Westens. Ohne sie gäbe es eine unabhängige Ukraine schon nicht mehr. Ist es in diesem exzeptionell angespannten Kontext nicht einfach das Allerbeste, sich den USA anzuschmiegen und immer nur das zu tun, was sie vorgeben?
Oder versteckt sich das politische Deutschland nicht vielmehr hinter den USA – wie von lauter werdenden kritischen Stimmen auch in der Ampel zu hören ist? Dann wäre die mit Elan proklamierte „Zeitenwende“ wohl nicht richtig vorangekommen. Dann wäre die außenpolitische Führung, die Machtentfaltung, die sich viele in Polen, in den baltischen Staaten und in der Ukraine von Deutschland erhoffen, bloßes Wunschdenken. Und dann müssten wir Deutschen als eine wehrhafte Demokratie erst noch geboren werden.
Der Verfasser war Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz.