Naturwissenschaften waren immer die Leidenschaft von Marco Kühne (50). Er studierte Chemie und Physik – „dann wollte ich beruflich voll durchstarten, meine erste Stelle nach der Promotion antreten“, erinnert er sich, „vielleicht sogar im fernen Ausland.“ Aber alles kam anders.

28 Jahre alt ist Kühne, als seine rechte Hand zu zittern beginnt. „Irgendwann kam die linke Hand dazu, dann hatte ich Krampfanfälle, meine Bewegungen wurden immer steifer“, sagt er.

Krankheit bremst berufliche Träume aus

Die Diagnose: Parkinson – eine Nervenkrankheit, die zum schrittweisen Verlust der Muskelkontrolle führt. „Damit konnte ich die geplante Arbeit mit Chemikalien und Reagenzgläsern im Labor vergessen, musste mich umorientieren.“

Und das tut er: Nach Recherchen stößt er auf die Möglichkeit, in Baden-Württemberg als Lehrer quereinzusteigen. „Ich habe noch einmal die Schulbank gedrückt, um Pädagogik-Konzepte zu lernen“, sagt er. 2010 verschlägt ihn sein neuer Job nach Waldshut und er wird Lehrer für Physik und Chemie am Hochrhein-Gymnasium.

Hirnschrittmacher soll Balance bringen

„Viele Jahre ging das gut und die Arbeit mit den Jugendlichen hat mir auch Freude gemacht“, sagt er. Weil das Zittern immer schlimmer wird, bekommt er 2015 einen Hirnschrittmacher. Das ist ein winziger Impulsgeber, der unter das Schlüsselbein implantiert wird. Kabel führen unter der Haut am Hals hinauf in das Gehirn, wo Erregungsimpulse abgegeben werden.

Der Schrittmacher reduziert Schwankungen zwischen extremer Überbeweglichkeit (On-Phasen) und plötzlicher Steifheit und Unbeweglichkeit (Off-Phasen) sowie Zittern. Marco Kühne selbst kann die Stromstärke verstellen, um die eigenen Bewegungen in Balance zu bringen.

Krankheit zwingt erneut zur Neuorientierung

Das Zittern und die Krämpfe nehmen ab, aber seine Stand- und Gangstabilität leidet. „Und ich konnte immer weniger flüssig und laut sprechen – das ist als Lehrer aber natürlich eine wichtige Voraussetzung“, sagt Kühne. Nach den Osterferien 2018 kann er nicht mehr unterrichten. Wieder orientiert er sich um und übernimmt von Waldshut aus einen Bürojob für das Freiburger Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung.

Der Kopf giert nach Herausforderungen

Während seine körperlichen Funktionen immer mehr abbauen, ist sein Kopf klar und giert nach Informationen und Herausforderungen. „Früher waren vor allem Sportarten wie Tennis und Basketball meine liebsten Hobbies, aber das geht nicht mehr“, sagt er. Doch als 2022 eine Bekannte sagt: „Komm doch mal mit in den Bridgeclub Hochrhein“, verändert das ein Stück weit Marco Kühnes Leben.

„Hier im Club habe ich nicht nur Anschluss und Geselligkeit, sondern auch ein wahnsinnig spannendes Kartenspiel kennen und zu beherrschen gelernt“, sagt er mit leuchtenden Augen. Bridge ist bekannt für strategische Tiefe und Komplexität – „ein bisschen wie Schach mit Karten“, beschreibt Cornelia Zenz-Winter, die seit 2014 den Vorsitz des Clubs innehat, das Spiel.

Bridge ist bekannt für strategische Tiefe und Komplexität
Bridge ist bekannt für strategische Tiefe und Komplexität | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Dass Marco Kühne durch seine Krankheit zu langsam die Karten zieht und den Spielbetrieb aufhält – davor hatten die Mitspieler anfangs etwas Angst. Aber Kühne hat es allen gezeigt, trainiert mit Leidenschaft und Neugier bis heute in jeder freien Minute Bridge-Strategien – und wurde im April sogar mit seiner Stamm-Teampartnerin zum Clubmeister gekürt.

Nach zwei Jahren spielt er alle an die Wand

„Andere spielen teilweise mehr als drei Jahrzehnte, Marco hat nach zweieinhalb Jahren schon alle an die Wand gespielt – das ins bemerkenswert“, sagt Zenz-Winter.

Marco Kühne (50) musste durch Parkinson seinen Job und viele Lebensträume aufgeben. Im Bridge Club Hochrhein findet er Herausforderungen ...
Marco Kühne (50) musste durch Parkinson seinen Job und viele Lebensträume aufgeben. Im Bridge Club Hochrhein findet er Herausforderungen fürs Köpfchen und Begegnungen für die Seele. Hier trainiert er mit der Club-Vorsitzenden Cornelia Zenz-Winter. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Und das Schönste: Er ist nicht nur schnell genug für Bridge und hat geselligen Anschluss, sondern das Spiel selbst gibt ihm auch ganz viel. „Meine Motorik und meine grauen Zellen werden trainiert und das gibt mir ganz viel Lebensqualität zurück!“

Umzug in das Betreute Wohnen

Weil die Parkinson-Symptome voranschreiten und er immer mehr auf Unterstützung angewiesen ist, ist Marco Kühne im vergangenen Jahr in das Betreute Wohnen am Bilgergarten der Caritas Hochrhein in Waldshut gezogen.

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Ein Großteil der anderen Bewohner ist über 80 oder 90 Jahre alt. Wie fühlt sich das für einen 50-jährigen Naturwissenschaftler an? „Es ist nicht immer einfach“, gibt er zu, „aber mein Bridge-Hobby erfüllt mich sehr. Und auch hier trifft sich zweimal wöchentlich eine Gruppe zum Kartenspielen. Die älteren Herrschaften haben Canasta ganz schön raus, da muss auch ich abliefern und auf Kartenglück hoffen!“