Der Wähler ist ein seltsames Wesen. Besonders im Osten, muss man – ganz ohne westdeutsche Überheblichkeit – nach diesen Landtagswahlen sagen. Wer sich die Wechsel im Vergleich zu den Wahlen 2019 anschaut, erfährt Verblüffendes.

Die CDU, beispielsweise, hat sich in Thüringen und Sachsen wacker geschlagen. Aber warum? Eine erste Vermutung legt nahe: Friedrich Merz‘ klarer Rechtskurs hat im Osten verfangen, sein Gepolter gegen die Ampel und deren Asylpolitik, sein Vorwurf an den Kanzler, diesem „entgleite das eigene Land“. Möglicherweise hat das der CDU tatsächlich Punkte gebracht. Aber nicht an beabsichtigter Stelle.

Die meisten Stimmen jagte die CDU der Linken ab

Abgeluchst haben die Christdemokraten die Stimmen nämlich nicht der AfD. Die Wählerwanderung von den Blauen zu den Schwarzen ist nach den Auswertungen der Demoskopen jedenfalls zu vernachlässigen. Der Wähler, der sich in Merz‘ Ansagen bestätigt fühlte, blieb dann doch beim Original der Verunsicherungsmasche. Stimmen streitig machte die CDU dafür den Ampel-Parteien – was Wunder?!

Die Wählerwanderungsströme legen aber auch unerwartete Wahl-Verwandtschaften offen: Die meisten Stimmen jagte die CDU in Thüringen ausgerechnet der Linken ab, in Sachsen stehen die Ex-Linken-Wähler nach Nichtwählern und Ex-Grünen-Wählern immerhin an dritter Stelle bei den CDU-Neuwählern.

Es geht nicht nur um Empörung

Über die fehlende Parteienbindung im Osten ist schon viel geschrieben worden. Meistens denkt man dabei allerdings nicht an Bürger, die massenhaft von der Linken zur CDU abwandern. Die Begründung wird eher dann bemüht, wenn es darum geht zu erklären, weshalb den etablierten Parteien die Bürger davonlaufen und ihr Kreuzchen bei AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht machen. Beide greifen mit ihrem Empörungspotenzial sicherlich viele Unzufriedene ab.

Die Verunsicherung geht aber weit darüber hinaus. In einem von Polarisierung geprägten politischen Angebot erscheint manchen Linken-Wählern offenbar die CDU als letzter Hort der Stabilität – zumal wenn Grüne und SPD als zuverlässig in den Landtag einziehende Kräfte ausfallen.

Das Parteienspektrum scheint in zwei große Blöcke zu zerfallen im Osten: die Etablierten und die Neuen. Die einzige Partei, die der AfD in nennenswertem Umfang Stimmen abjagen konnte, war die andere populistische Partei, das erst in diesem Jahr gegründete BSW. Der Erfolg der Sahra-Wagenknecht-Partei speist sich in weiten Teilen (vor allem in Thüringen) aus Ex-Linken-Wählern, aber auch die CDU gab Zehntausende Stimmen an sie ab.

Auch die CDU sollte flexibler sein – wie ihre Wähler

Der CDU sollte diese Wähler-Flexibilität zu denken geben. Unvereinbarkeitsbeschlüsse sind etwas für Parteitage. Der Wähler, das seltsame Wesen, stellt einen im wirklichen Leben aber vor andere Herausforderungen. In Thüringen sind Lösungen gefragt, wie denn das Land überhaupt noch zu regieren sein soll – ohne die AfD. Ohne eine wie auch immer geartete Beteiligung der Linken wird es unmöglich.

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Die CDU sollte sich klarmachen, dass sie mit der Linken aller inhaltlicher Differenzen zum Trotz in einer Liga spielt: der Pragmatiker und Bewahrer, derjenigen, von denen sich die Menschen im Osten Sicherheit erwarten. Nimmt man sich Bodo Ramelow, den abgewählten linken Ministerpräsidenten von Thüringen, zum Beispiel, sind Unvereinbarkeitsbeschlüsse ohnehin kaum nachvollziehbar. Man hat vielleicht andere Prioritäten in der Bildungspolitik im Sinn, aber das trennt die CDU auch von Grünen oder der SPD.

Entwicklungen sind umkehrbar

Der Wähler mag bisweilen ein seltsames Wesen sein, aber er hat es dennoch verdient, dass die Parteien das Beste aus seinem Votum machen. Dass im Osten so vieles im Fluss ist, kann übrigens auch Hoffnung machen. Entwicklungen sind nicht unumkehrbar. Wer 2019 die CDU und aktuell die AfD wählen konnte, der ist in fünf Jahren vielleicht bereit, sein Kreuz bei SPD, CDU oder BSW zu machen. Dafür muss man ihm oder ihr aber jetzt ein anständiges Regierungs-Angebot machen.