Dass das letzte Duell der Spitzenbewerber zumindest optisch auf Augenhöhe stattfand, lag an einem Podest. Auf das durfte sich der eher kompakte Thomas Kutschaty stellen, damit ihn CDU-Amtsinhaber Wüst nicht zu sehr überragte.
Am Sonntagabend kurz nach 18 Uhr, das bevölkerungsreichste Land der Republik hat gerade sein Parlament gewählt, zeigen sich die wahren politischen Größenverhältnisse. Hendrik Wüst, der 46-jährige Jurist aus dem Münsterland, liegt unerwartet deutlich vor Kutschaty, dem 53-Jährigen aus Essen. Wie schon in der Woche zuvor in Schleswig-Holstein gelingt der CDU ein klarer Sieg. Traditionell gilt die Wahl in Nordrhein-Westfalen als „kleine Bundestagswahl“, die die Stimmung im ganzen Land widerspiegeln soll. Nun ist klar: Die Stimmung dreht sich gegen Kanzler Olaf Scholz und seine SPD, die in ihrer „Herzkammer“ so schlecht abschneidet wie nie zuvor.
Wüst siegt ohne Amtsbonus
Wüst siegt, obwohl er noch keinen echten Amtsbonus aufbauen konnte – er war erst im Oktober als Nachfolger des bei der Bundestagswahl gescheiterten Armin Laschet ins Amt gekommen.
Dass er über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus eine gewisse Bekanntheit erreicht hat, liegt nur an dem Umstand, dass er turnusmäßiger Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist und deshalb etwa nach den Corona-Gipfeln im Kanzleramt sprechen darf.
Auch Kutschaty, obwohl ehemaliger Landesjustizminister, ist für viele Bürger ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. So geriet der Urnengang zum Stellvertreter-Duell zwischen dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD. Beide brachten sich intensiv in den Wahlkampf ein, unterstützten „ihre“ jeweiligen Kandidaten nach Kräften. Kutschaty, eigentlich Vertreter des linken Parteiflügels, ließ das Kanzler-Konterfei sogar mit auf manche seiner Plakate drucken. Doch der Lackmus-Test für seine Ampel-Regierung gerät zur Blamage für Scholz.
Schien an Rhein und Ruhr zwischenzeitlich sogar ein Machtwechsel greifbar, hat sich das Klima immer weiter gegen die Sozialdemokraten gedreht. War die Niederlage eine Woche zuvor in Schleswig-Holstein gegen den beliebten Landesvater Daniel Günther von der CDU noch eingepreist, schmerzt die neue SPD-Schlappe den Kanzler umso heftiger. Das Signal in Richtung Berlin scheint eindeutig. Kutschaty, so scheint es, hat aufs falsche Pferd gesetzt, wurde stellvertretend für Scholz abgestraft.
Kanzler ist der eigentliche Wahlverlierer
Der Kanzler, der im Verlauf der Ukraine-Krise massiv an Beliebtheit eingebüßt hat, weil viele Bürger sein Handeln etwa bei Waffenlieferungen an die Ukraine oder Sanktionen gegen Russland als zu zögerlich empfinden, ist der eigentliche Wahlverlierer. Kutschatys klassisch sozialdemokratisches Wahlprogramm – Kita-Gebühren abschaffen, die Mieterrechte stärken und die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessern – ging vor diesem Hintergrund fast unter.
Scholz, so heißt es auch in den eigenen Reihen, wird nun nicht an einer Kurskorrektur vorbeikommen. Nach der missglückten NRW-Wahl könnte er etwa die deutsche Unterstützung für die Ukraine ausbauen. Auch eine Kabinettsumbildung scheint nicht ausgeschlossen. Die unglücklich agierende Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und der irrlichternde Gesundheitsminister Karl Lauterbach gelten als angezählt.
Erhoffter Heimsieg für Merz
Für den Sauerländer Friedrich Merz bringt die Abstimmung dagegen erhofften Heimsieg. Im Gegensatz zum Kanzler war der Oppositionsführer bereits in Kiew. In Sachen Impfpflicht führte er die Ampel-Regierung vor. Stärker noch als nach dem CDU-Triumph in Schleswig-Holstein, wo Daniel Günther mit einem gewaltigen persönlichen Amtsbonus angetreten war, darf er aus dem Wüst-Erfolg Zustimmung für seine Politik im Bund ableiten.
Wüst steigt mit seinem Abschneiden in die Riege derjenigen CDU-Politiker auf, die die nächste Kanzlerkandidatur unter sich ausmachen werden. Sein Alter spricht für ihn, Merz selbst wäre 2025 bereits 70 Jahre alt.
FDP bleibt weiter hinter Hoffnungen zurück
Lange Gesichter gibt es am Wahlabend bei der FDP, dem bisherigen Juniorpartner der CDU. Mit Spitzenkandidat Joachim Stamp, dem Vize-Regierungschef und Familienminister, bleiben die Liberalen weit hinter ihren Hoffnungen zurück, mussten lange um den Einzug in den Landtag zittern. Das kann auch FDP-Chef Christian Lindner nicht kalt lassen.
Der Bundesfinanzminister stammt aus Nordrhein-Westfalen und hatte sich im Wahlkampf bis zuletzt mächtig reingehängt. Doch das schwarz-gelbe Bündnis in Düsseldorf ist definitiv Geschichte, worauf der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bei einem Interview am Wahlabend hinweist – die Niederlage der eigenen Partei herunterspielend.
Die Grünen verdreifachen Ergebnis
So gut wie sicher ist am Wahlabend, dass die Grünen der künftigen Landesregierung angehören werden. Sie konnten ihr Ergebnis von vor fünf Jahren verdreifachen. Spitzenkandidatin Mona Neubaur, die dem Realo-Flügel angehört, kommt nun die Rolle der Königsmacherin zu. Im Wahlkampf hatte sie die komplette Verkehrs- und Energiewende gefordert und hatte wohl von der zuletzt soliden Zustimmung zu Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock profitiert.