Es war die bisher wichtigste Bühne im Leben der Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris: Beim 90-minütigen TV-Duell mit Donald Trump musste die amtierende Vizepräsidentin zeigen, dass sie vor einem Millionenpublikum das Zeug hat, zum einen staatsmännisch zu wirken und zum anderen dem traditionell aggressiven Donald Trump Paroli zu bieten.

Kopf an Kopf mit dem Republikaner in Umfragen wusste Harris aus erster Hand, wie wahlentscheidend TV-Debatten sein können. Im Juni hatte sich schließlich ein altersschwacher Joe Biden um Kopf und Kragen geredet – und war nach einer parteiinternen Revolte durch Harris ersetzt worden.

Strahlende Gesichter bei den Demokraten

Am Ende des Abends gab es dann bei den zunächst besorgten Demokraten nur strahlende Gesichter – und das nicht nur, weil US-Superstar Taylor Swift nach dem TV-Duell überraschend ihre Unterstützung für Harris bekanntgab.

Harris hatte sich so gut geschlagen, dass ihr Team nur Minuten nach Debattenende eine zweite TV-Debatte im Oktober vorschlug. Donald Trump, der sich entgegen des Urteils fast aller Beobachter dennoch als Sieger des Abends sah, wollte dieser Idee zunächst nicht zustimmen. Man prüfe es, hieß es. Doch ein zweiter schlechter Abend so kurz vor dem Wahltag am 5. November dürfte für den undiszipliniert und oft abschweifend argumentierenden Trump gefährlich sein.

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Denn die in Debatten unerfahrene Demokratin zeigte nicht nur enorme Detailkenntnis in allen von den Moderatoren angesprochenen Themen, sondern zog sich auch geschickt und eloquent aus der Affäre, als es um ihre Mitverantwortung für die bisherige Regierungspolitik und das wahltaktische Wechseln politischer Positionen ging.

„Ich bin nicht Joe Biden und schon gar nicht Donald Trump“, lautete eine ihrer Kernaussagen, die dann der Republikaner erst in seiner Schlussbemerkung kritisch hinterfragte. Bei den wichtigsten Themen konnte Harris, wie ein Vergleich zeigt, mehr punkten als Trump.

Thema Wirtschaftslage: Es war die erste Frage der Moderatoren, die an Faktenchecks während der Debatte kaum Interesse zeigten. Ob denn das Land beim Thema Wirtschaft heute besser dran sei als vor vier Jahren? Es ist einer der wenige Momente, in denen Harris bewusst ausweicht, weil ihr die stark gestiegenen Preise keine überzeugende Antwort erlauben.

Stattdessen schweift die Demokratin auf einen neuen Plan für Amerikas Mittelklasse aus, der Jungunternehmern und Familien mit Kindern Steuergutschriften geben soll. Trump wiederum wollte festhalten, dass Biden und Harris in Sachen Jobs vor allem von der Erholung nach Covid-19 profitiert und nicht Arbeitsplätze durch ihre Politik geschaffen hätten. Auch konnte Trump auf eine niedrige Inflationsrate während seiner Amtszeit verweisen, die dann unter den Demokraten auf bis zu 9,1 Prozent hochgeschnellt war. Vorteil Trump.

Thema Abtreibungsrecht: Hier liegt die Stärke eindeutig auf Seiten von Harris. Trump versteigt sich in unbewiesene und absurde Behauptungen wie diese: Tim Walz, der Vizepräsidentschaftskandidat von Harris, sei wie auch andere Demokraten für eine Tötung von Babys nach der Geburt. Trump benutzt hier sogar den Begriff „Exekution“. Dem widerspricht auch die TV-Moderatorin. Harris wiederum argumentiert, Trump wolle einen nationalen Abtreibungsbann – was Trump jedoch bestreitet. Vorteil Harris.

Thema Einwanderung: Unter Biden und Harris hat die Zahl der illegal ins Land gekommenen Einwanderer, wie die Moderatoren korrekt feststellten, Rekordhöhen erreicht. Harris gibt Trump die Schuld daran, weil dieser wie die Republikaner im Kongress in diesem Jahr ein Migrationsgesetz abgelehnt hatte.

Doch Trump unterlässt es, darauf hinzuweisen, dass Biden und Harris dreieinhalb Jahre lang eine Politik der ungesicherten Südgrenze betrieben hätten. Stattdessen wütet Trump zunächst gegen kriminelle Migranten, die in einer Stadt in Ohio sogar die Haustiere von US-Bürgern verspeisen würden – eine unbewiesene Polemik. Erst später fragt er, warum die US-Regierung an der Grenze nicht früher gehandelt habe. Am Ende profitiert Harris erneut von der Disziplinlosigkeit ihres Gegners, obwohl sie in diesem Punkt angreifbar ist. Vorteil Harris.

Thema Kriege in Gaza und der Ukraine: Trump behauptet weiter beharrlich, unter ihm hätte es beide Konflikte erst gar nicht gegeben. Sie seien nur der Schwäche der Biden-Regierung zuzuschreiben, die sich auch im von Harris mit getragenen chaotischen Afghanistan-Abzug manifestiert habe. Harris wiederum sagt, dass sie zwar den Abzug befürwortet, aber man dann nur den Trump-Plan für Afghanistan umgesetzt habe – wobei Trump die logische Gegenfrage versäumte: Warum an einem Plan von mir festhalten, wo man sonst meine Politik ablehnt?

Harris kritisiert zudem erneut, dass Israel in Gaza „unschuldige Zivilisten“ nicht ausreichend schütze. Trump vergisst dann, auf die Probleme einer innerstädtischen Kriegführung hinzuweisen – und verurteilt stattdessen die Milliardenhilfen von Biden und Harris für den Iran. Doch auch hier wirkt Trump unkonzentriert und unpräzise. Und auf das Argument von Harris, er habe eine Vorliebe für Diktatoren wie Kim Jong-un und Wladimir Putin, antwortet er nicht direkt. Vorteil Harris.