Die Pflegeversicherung wurde am vergangenen 1. Januar 30 Jahre alt. Normalerweise werden solche Jubiläen gefeiert. Aber danach ist keinem zumute, denn die jüngste Säule des deutschen Sozialversicherungssystems ist selbst zu einer Art Pflegefall geworden.

Der Grundgedanke der Akteure um den damaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) war richtig: Im Zentrum stand die im Grunde erfreuliche Tatsache, dass die Deutschen immer älter werden, was jedoch auch die Zahl der Pflegebedürftigen erhöht. Wenn deren Versorgung die Angehörigen nicht stemmen wollten oder konnten, wurde ein Pflegedienst gebraucht, dessen Kosten Renten und Ersparnisse schnell überstiegen, sodass immer mehr Menschen dafür Sozialhilfe beziehen mussten.

Das wiederum überforderte die Kommunen. Als Lösung wurde nach langen Debatten die Pflegeversicherung gestartet – als paritätische Pflichtversicherung nach dem Umlageprinzip: Die Jungen zahlen für die Alten, wie es auch für die Rente gilt.

Der arbeitsfreie Buß- und Bettag musste dran glauben

Um die Arbeitgeber zu entlasten, wurde ein Feiertag gestrichen, in den meisten Ländern der Buß- und Bettag. Solche Vorschläge kommen uns heute wieder bekannt vor. Doch mit einer weiteren Feiertagsstreichung wird man die Pflegeversicherung nicht aus dem Krankenbett bekommen. Dagegen sprechen die Zahlen, die mit ihrer Wucht keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Politik ein schwerer Weg bevorsteht.

Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich in den vergangenen 20 Jahren auf 5,8 Millionen Menschen fast verdreifacht. Pro Jahr kommen 300.000 Personen hinzu. Bis 2055 könnte die Zahl der Leistungsempfänger auf sieben Millionen steigen.

Die Löcher werden immer größer

Wie viele Milliarden Euro das kosten wird, ist offen. Klar ist aber, dass die Gesamtausgaben schon heute bei rund 60 Milliarden Euro liegen – und für 2026 ein Loch von 3,5 Milliarden Euro erwartet wird. Laut Bundesrechnungshof soll das bis 2029 auf 12,3 Milliarden Euro anwachsen.

Angesichts des immer mehr erweiterten Leistungskatalogs ist der Finanzbedarf so groß, dass selbst eine sofortige Rückzahlung der entliehenen Corona-Hilfen in Höhe von sechs Milliarden Euro nur eine kurze Atempause bedeuten würde. Auch die Herausnahme von versicherungsfremden Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige wäre in der Wirkung begrenzt, denn die Pflegekosten galoppieren davon.

3000 Euro Selbstbeteiligung im Schnitt

Inzwischen muss jeder Pflegeheimbewohner im Schnitt monatlich 3000 Euro zuzahlen – wofür teilweise ein ganzes Erbe draufgeht und Häuser wie Eigentumswohnungen zu Geld gemacht werden müssen. Ansonsten zahlt die Sozialkasse.

Für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung ist es also höchste Zeit. Für die Länder bedeutet dies, dass sie ihrer gesetzlichen Zahlungspflicht für die Investitionskosten der Pflegeheime verlässlicher als bisher nachkommen müssen.

Aber ausreichen wird auch das kaum. Da auch die Beiträge für die Pflege gerade erst erhöht worden sind, ist die Zahl der Stellschrauben sehr überschaubar, denn Leistungskürzungen kommen nicht in Frage. Was also tun? Hier hilft die Tatsache, dass jeder Mensch möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben möchte. Viele kommen dort gut klar, wenn man sie medizinisch, sozial und hauswirtschaftlich unterstützt, was weniger Kosten als eine Heimbetreuung verursacht.

Eine Vielzahl von Verbesserungen sind notwendig

In den Städten, aber auch auf dem Land könnte es helfen, neue Lebensformen zu erproben, wie ambulant betreute Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenhäuser. Aber auch das wird allein die Pflege nicht stabilisieren, denn es fehlt an Personal. Bereits jetzt sind 115.000 Stellen nicht besetzt.

Da Anwerbemodelle im Ausland nur Teillösungen sind, wird man neue Wege probieren müssen, etwa durch flexiblere Arbeitszeiten und eine weiterhin adäquate Bezahlung. Und man muss die Pflegenden von Bürokratie wie Berichts- und Dokumentationspflichten entlasten oder diese auf ein Minimum zurückführen. Nicht zu vergessen: Für die Ausbildung von Pflegekräften braucht es ausreichend Ausbildungsplätze. Das ist bisher nicht selbstverständlich.

Der Baustellen sind also eine Menge. Jahrelange Debatten, wie sie vor mehr als 30 Jahren geführt wurden, wird man sich indes nicht leisten können.