Frau Baerbock, womit wollen Sie im Wahlkampf-Endspurt noch punkten?

Wer wirklich Veränderung in unserem Land will, der sollte am besten die Grünen wählen – das gilt nicht nur für den Klimaschutz. Wir erleben ja beispielsweise auch bei den Schulen, wie groß der Handlungsbedarf ist, angefangen bei schnellem Internet bis hin zu genügend Lehrkräften und pädagogischem Personal. Kinder, Jugendliche und ihre Familien gehören in den Fokus einer nächsten Bundesregierung. Das Gleiche gilt für den Ausbau der Digitalisierung in unserem Land. Da sind wir auf den hinteren Plätzen unter den Industriestaaten. Da müssen wir jetzt volle Kanne anpacken.

Sie haben kürzlich bezweifelt, dass die Linkspartei regierungsfähig wäre, weil sie etwa das transatlantische Bündnis ablehnt und Europa sehr skeptisch sieht. Ist es nicht Zeit für eine klare Absage an ein Bündnis mit den Linken?

Es geht nicht so sehr darum, was nicht geht, sondern darum, was alles geht in diesem Land. Wir können einen echten Aufbruch schaffen, aber dafür braucht es Grün an führender Stelle der nächsten Bundesregierung. Wir können uns den Stillstand, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, nicht weiter leisten. Blicken wir auf die Corona-Pandemie: Herr Scholz und Herr Laschet sagen, dass Schulen und Kitas nicht mehr geschlossen werden sollen, aber ihre Parteien, die ja in der aktuellen Bundesregierung sind, schaffen nicht mit ausreichender Hartnäckigkeit die Voraussetzungen dafür. Da Kinder derzeit nicht geimpft werden können, ist es wichtig, dass ihr Umfeld den bestmöglichen Impfschutz hat. Heißt also: Impfen, Impfen, Impfen. Und natürlich in den Schulen und an den Arbeitsplätzen testen. Die Kinder haben in den letzten Monaten alles gegeben, jetzt müssen die Erwachsenen – und allen voran die Politikerinnen und Politiker – alles geben, damit die Orte der Kinder, die Kitas und Schulen, offen bleiben.

Mit Laschet oder Scholz werden Sie sich arrangieren müssen. Wenn die SPD vor der Union landet, wäre dann trotzdem Schwarz-Grün oder Jamaika möglich?

Ich kämpfe mit Leidenschaft und Energie um jede Stimme für einen echten Aufbruch. Der geht am besten mit Grün im Kanzlerinnenamt. Am liebsten würde ich gemeinsam mit der SPD regieren, aber es macht auch in diesem Fall einen riesigen Unterschied, ob Grün an führender Stelle Verantwortung trägt oder nur mitregiert. Dafür brauchen wir noch deutlich mehr Stimmen. Wo wir am Ende stehen und was möglich ist, werden wir am 26. September sehen. Natürlich muss der Kern einer Zusammenarbeit Klimaschutz, einen starken sozialen Zusammenhalt und internationale Verantwortung umfassen.

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Vor einigen Wochen, als die Union stärker war, schien alles auf Schwarz–Grün, Grün-Schwarz oder ein Jamaika-Bündnis hinauszulaufen. Davon redet jetzt bei den Grünen kaum jemand mehr. Warum ist die schwarz-grüne Liebe erkaltet?

In der Politik geht es für mich nicht um Liebe, sondern um echte Veränderung. Wenn ich erlebe, dass die Menschen in der Pflege in den letzten Jahren alles gegeben haben, dann möchte ich, dass sie mehr von uns bekommen als nur Applaus. Vielmehr braucht es bessere Arbeitsbedingungen, faire Löhne und neue Arbeitszeitmodelle wie zum Beispiel eine 35-Stunden-Woche. Ich will die Menschen, für die in der Corona-Pandemie applaudiert wurde, in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Das sind vor allem die sozialen Berufe, Fachkräfte im Gesundheitsbereich, Kassiererinnen und Kassierer – sie alle brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Und um den Niedriglohnsektor zu bekämpfen, brauchen wir einen Mindestlohn von 12 Euro als Untergrenze. Und natürlich gibt es gerade in diesem sozialpolitischen Bereich größere Schnittmengen mit der SPD als mit der Union.

Welche Zusagen sind denn für die Grünen Grundvoraussetzung für ein Regierungsbündnis?

Das Pariser Klimaabkommen ist für uns nicht verhandelbar. Das ist der völkerrechtliche Vertrag, an den die große Koalition ihre Klimapolitik in den letzten fünf Jahren hätte ausrichten müssen. Doch da hat sie nicht nur im Bereich Energie, sondern auch beim Verkehr nicht viel auf die Reihe bekommen. Das gefährdet mittlerweile den Industriestandort Deutschland, weil auch die USA und China erkannt haben, dass die Märkte der Zukunft klimaneutral sind. Umso wichtiger ist es, dass wir endlich alles dafür tun, um auf den 1,5-Grad-Pfad von Paris zu kommen.

Annalena Baerbock umgeben von Unterstützern bei der Ankunft zum dritten TV-Triell von ProSieben und Sat.1 in Berlin-Adlershof.
Annalena Baerbock umgeben von Unterstützern bei der Ankunft zum dritten TV-Triell von ProSieben und Sat.1 in Berlin-Adlershof. | Bild: Kay Nietfeld, dpa

Nach einer DIW-Studie schneiden die Grünen beim Klimaschutz besser ab als die anderen Parteien, für die Erreichung der Ziele bis 2030 reichen die Pläne aber nicht. Müssen Sie ihr Programm nachschärfen?

Wir haben ja im Sommer ein Klimaschutz-Sofortprogramm vorgelegt, das nochmal eine Schippe drauflegt. Die Studie macht sehr deutlich, dass konsequenter Klimaschutz eine enorme Herausforderung ist, die von allen, auch von uns, große Anstrengungen erfordert. Konkret heißt das, dass die nächste Bundesregierung Klimaschutz endlich oberste Priorität verleihen muss. Sie muss ehrgeiziger denken und entsprechend ambitionierter handeln. Dafür ist das Programm der Grünen das beste Angebot, damit können wir die Klimaziele noch erreichen, das hat die Studie gezeigt. Die anderen Parteien jedoch fallen hinter das Erforderliche – und auch hinter die eigenen Ziele – meilenweit zurück.

Die beiden Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock haken einander unter beim Bundesparteitag der Grünen.
Die beiden Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock haken einander unter beim Bundesparteitag der Grünen. | Bild: Kay Nietfeld, dpa

Wenn Ihnen jetzt aber etwa FDP-Chef Christian Lindner in Koalitionsverhandlungen anbieten würde, dass Sie viel Klimaschutz bekommen und dafür aber die Hände von der Vermögenssteuer lassen, dann wäre die Sache klar?

Naja, da wäre meine Gegenfrage, egal ob es jetzt Christian Lindner wäre oder jemand anderes, wie wir eine solide Finanzpolitik hinbekommen. Wir haben da ein durchdachtes Konzept. Angefangen bei den dringend nötigen Investitionen. Brücken sind marode, Schulen auch, und das geht auf die Substanz des Landes. Hinzu kommt ein großer Investitionsbedarf für den Klimaschutz. Dafür wollen wir die Schuldenbremse um eine Investitionsregel erweitern. Dann setzen wir darauf, kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten und dafür im Gegenzug die wirklich Reichen etwas stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Und wenn man die Vermögenssteuer, die ja den Ländern zusteht, wieder einführt, könnte das Geld gut in die Bildung fließen. Das sind unsere Vorschläge. Kreditaufnahme und Steuern sind ja nie ein Selbstzweck. Wenn andere Parteien andere Wege aufzeigen können, um diese Ziele zu erreichen, kann man darüber natürlich sprechen. Aber einfach zu sagen, wir lehnen alle Vorschläge der Grünen im Finanzbereich ab, geht nicht. Und was auch nicht geht, ist auf Wahlplakate zu schreiben, dass wir schöne Schulen brauchen, dann aber nicht das Geld zur Verfügung stellen.