Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
ich mochte, dass Sie es mochten, anders zu ein. Als Kind in Thüringen wegen Ihrer dunkleren Hautfarbe, die Sie von Ihrem iranischen Vater haben. Oder als Schülerin, weil Sie Spinoza spannender fanden als Discos. Das haben Sie selbst mal so erzählt. Sie waren jedenfalls eine Außenseiterin, schon immer, zumindest gaben Sie sich so.
Deshalb überrascht es auch nicht, dass Sie früh mit kruden Ansichten aufgefallen sind, den Stalinismus verteidigten und der DDR nachtrauerten. Sie sind eine Individualistin, was zwar nicht ganz zum Kommunismus passt, das müssen Sie zugeben. Was aber nicht verkehrt ist.
In der Politik funktioniert dieses Anderssein, weil die Öffentlichkeit das Besondere in der Politik mag. Und Sie waren besonders, Frau Wagenknecht: 2013 saß keine andere Politikerin so häufig in Talkshows wie Sie, Erzkommunistin und Ewig-Oppositionelle. Besonders – das sind Sie auch heute noch.
Als etwa Moderator Markus Lanz Sie im Januar angiftete, Sie seien doch eine realitätsferne Radikale, da solidarisierten sich die Zuschauer mit Ihnen. Als Sandra Maischberger Sie in dieser Woche zu Ihrer russlandfreundlichen Haltung im Ukraine-Krieg befragte, da tobte das Netz, für und gegen Sie.
Außenseiterin sein, das kommt an. Nur bei den eigenen Leuten nicht. Man muss aber auch Verständnis haben, für Ihre Linken, finden Sie nicht? Sie wollen eine neue Partei gründen und fischen dafür offenbar direkt vor der Haustür, in Ihrem Teich, dem linken Teich, wenn man ihn von anderen abgrenzen wollte.
Alle gegen Sahra?
Ihre Anhänger wollen Sie also mitnehmen. Dass der Parteivorstand das ungünstig findet, ist nachvollziehbar. Er will, dass Sie Ihr Mandat zurückgeben. Das wollen Sie aber nicht. Warum eigentlich? Weil Sie die Außenseiterin sind? Alle gegen Sahra, Wagenknecht kämpft weiter?
Es ist nicht das erste Drama, das wir von den Linken sehen. Sie und Ihre Partei, das hat schon lange nichts mehr mit Politik zu tun. Es geht hier eher wie in einer Telenovela zu. Etwas Liebe, viel Intrige, Trennungen. Auch das mag das Publikum – Unterhaltung. Viele sind gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Welche Kapriolen die Erzählung nun wieder schlagen könnte.
Hach, Sie in der Hauptrolle, das muss weitergehen. Denn, und das muss sich die Linkspartei ernsthaft fragen, was wäre sie ohne Wagenknecht, ihre bekannteste Politikerin? Welche Zukunft hat diese Partei, die unter einer fallenden, nein stürzenden Wählergunst leidet, wenn auch noch die Gallionsfigur von Bord bricht?
Eine Partei gründet man nicht in einer Talkshow
Andererseits: Was ist eine Wagenknecht ohne die Linken? Was hätten Sie von einer Abspaltung? Ihre Bewegung „Aufstehen“ zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass alle lieber sitzen blieben. Eine neue Partei gründet man nicht einfach nebenbei in einer Talkshow, nicht einmal als Außenseiterin mit der Rückendeckung ihrer Zuschauer. Vielleicht, Frau Wagenknecht, überlegen Sie sich das nochmal mit der Partei. Und lassen es einfach gut sein.