Keine Währung ist im politischen Betrieb wertvoller als die Währung der Zustimmung. Wer ausreichend Rückhalt hat, agiert mit breiter Brust und Legitimation. Das war schon immer so – und doch haben sich CDU und Grüne gleichermaßen darüber hinweggesetzt und sich bei der Besetzung des Spitzenkandidaten anders entschieden. Obwohl die Basis der CDU kaum überhörbare Sympathie für Markus Söder hatte, wurde es Armin Laschet und bei den Grünen die unerfahrene Annalena
Baerbock und nicht der vermeintlich routinierte Robert Habeck. Nach Dutzenden Interviews, Wahl-Arenen und Fernseh-Triellen lässt sich sagen: Bei beiden ist es schief gegangen.
Was wird aus meiner Stimme?
Das führt zu der Situation, dass CDU und SPD in den Umfragen auf ähnlich niedrigem Niveau unterwegs sind und sich die Grünen eher mit der FDP auf Augenhöhe bewegen als Chancen auf das Kanzleramt zu haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Bundesregierung aus drei Parteien bestehen wird, ist hoch und das führt zu der Situation, dass die Wähler im Moment nicht wissen, was aus ihrer Stimme werden wird. Wer grün wählt, kann am Ende doch einen Kanzler Laschet bekommen. Wer liberal wählt, doch einen Kanzler Scholz. Mancher Wähler empfindet das als Beliebigkeit und tut sich schwer, eine Entscheidung zu treffen. Als politische Lager noch klarer waren, fiel das jedenfalls einfacher.

Vielleicht war diese Entwicklung aber auch schon lange vorgezeichnet, weil sich Menschen zunehmend damit schwertun, sich festzulegen und sich lieber situativ neu entscheiden. Die SPD kann ein Lied davon singen. Aber mindestens die CDU hat diesen Prozess für ihre Partei mutwillig beschleunigt, indem sie – aus nachvollziehbaren Gründen – auf einen Mann gesetzt hat, der um Ausgleich bemüht ist und die Abteilung Attacke gar nicht drauf hat. Der dem Ruhepuls der noch regierenden Kanzlerin sehr nahe kommt und sich alle Kanten rund geschliffen hat. Von dem man deshalb aber auch nicht weiß, warum man ihn wählen soll.
So aufregend wie eine Parkuhr
Es ist kurios: Weil weder Laschet noch Baerbock überzeugen, überzeugt plötzlich Olaf Scholz. Der SPD-Mann, den eigentlich niemand mehr auf der Rechnung hatte, weil er in etwa so aufregend ist wie eine Parkuhr. Der Mann, an dem sämtliche Wirecard- und Cum-Ex-Skandale abperlen. Skandale, die in früheren Zeiten zum Rücktritt eines Finanzministers geführt hätten, ihm aber nachgesehen werden. Scholz hat sich mit seiner drögen hanseatischen Art eine Aura der Verlässlichkeit und Beständigkeit erworben, gepaart mit dem Bonus des Vize-Kanzlers. Die Wundertüte ist deshalb weniger er selbst, sondern die Partei hinter ihm. Es ist augenfällig, wie sehr sich der linke Flügel um Saskia Esken und Kevin Kühnert gerade unsichtbar macht, um den guten Lauf des Genossen Olaf nicht zu gefährden. Spätestens aber nach einem guten Abschneiden bei der Wahl werden sie wieder da sein. Heißt: Wer den SPD-Kandidaten Scholz wählt, weiß kaum, was er bekommen wird.
In diesem Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob es Deutschland gelingt, die gewaltigen Herausforderungen der Klimakrise zu bewältigen und gleichsam den wirtschaftlichen Wohlstand und den sozialen Frieden zu erhalten. Es wird ein Jahrzehnt harter Entscheidungen und Einschnitte werden. Dreierbündnisse in Regierungen sind dabei selten gut, weil sie Kompromisse erfordern, die kaum über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausgehen.
Selten war es deshalb so wichtig, dass sich Wähler zu einem Blick in die Wahlprogramme bemühen, denn die Parteien geben auf die großen Fragen durchaus andere Antworten. Es ist nicht egal, wer unser Land regiert – auch wenn manche politikmüde Stimme anderes behauptet.
Sechs Monate dauerte die Regierungsbildung bei der Wahl 2017
Erstmals nach 16 Jahren Angela Merkel ist eine Mehrheit jenseits der Union möglich, mit Rot-Grün-Rot sogar ein radikaler Kurswechsel. Königsmacher wird in diesem Jahr vermutlich Christian Lindner mit seiner FDP werden. Ob mit SPD und Grünen oder mit CDU und Grünen – Lindner wird sich den Wert seiner Zustimmung teuer zahlen lassen. Er liebäugelt schon jetzt mit dem Finanzministerium, um sein zentrales Wahlversprechen auch einlösen zu können: keine Steuererhöhungen.
Wie auch immer die Wahl am 26. September ausfallen wird, die Regierungsbildung wird – wenn sich die Umfrageinstitute nicht kolossal irren – ein schwieriges Stück Arbeit werden. 2017 hatten die Deutschen am 24. September die Wahl, erst ein halbes Jahr später stand das Kabinett und wurde vereidigt. Das würde für uns alle bedeuten: Angela Merkel bleibt bis dahin Kanzlerin und hält auch dieses Mal die Neujahrsansprache. Da ist sie wieder.