Parteiübergreifend will eine Gruppe Abgeordneter mehr Menschen hierzulande dazu bringen, dass sie nach dem eigenen Tod ihre Organe spenden, damit andere ein zweites Leben bekommen. Wer nicht ausdrücklich widerspricht, soll automatisch Organspender werden. Die Idee vereint das Ziel, mehr Schwerstkranken zu helfen und gleichzeitig Mündigkeit und Selbstbestimmung des Einzelnen zu verbinden.
Wer seine Organe nicht spenden will, muss aktiv werden und das ausdrücklich kundtun. Die jetzige Rechtslage würde umgekehrt werden. Eine gute Idee?
Pro: Jeder sollte zumindest einmal im Leben über Organspende nachdenken
Und nichts anderes will die Widerspruchslösung: Keiner wird dazu gezwungen, Organspender zu werden. Man muss sich nur mit dem Thema auseinandersetzen – und sich dann für das eine oder das andere entscheiden. Das ist nicht zu viel verlangt, wenn man bedenkt, wie viele Menschen in Deutschland vergeblich auf eine Organspende warten. 2023 gaben 965 Menschen nach ihrem Tod ein Organ oder mehrere Organe frei, auf Wartelisten standen aber 8400 Patienten.
Dass das Potenzial für Organspenden in Deutschland eigentlich viel größer wäre, zeigen Umfragen. Bei einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2022 kam heraus, dass 84 Prozent der Befragten dem Thema positiv gegenüberstehen, nur 44 Prozent aber hatten einen Organspendeausweis. Fast ebenso viele (36 Prozent) hatten noch keine Entscheidung getroffen.
Tatsächlich ist das Thema auch keines, mit dem man sich ständig beschäftigt. Man braucht schon einen Anlass aus dem persönlichen Umfeld, was glücklicherweise sehr selten ist. Einen weniger dramatischen Anlass müsste der Gesetzgeber schaffen, wenn es zur Widerspruchslösung kommt: Ein Gespräch mit dem Hausarzt könnte ein solcher sein. Das ist Aufwand, das stimmt – aber den zu finanzieren wäre der Staat verpflichtet, um die Bürger nicht zu überfordern.
Er würde sich lohnen.
Contra: Bei Entscheidungen über den eigenen Körper hat sich der Staat zurückzuhalten
Der Vorschlag löst Unbehagen aus und irritiert, weil er fundamentale Fragen des Menschseins berührt. Reicht die Selbstbestimmung über den Tod hinaus? Wie weit geht Nächstenliebe und lebt nach einer Organtransplantation etwas von einem selbst in einem anderen Menschen fort?
Die Antworten auf diese Fragen können unterschiedlich ausfallen und man kann mit gutem Grund zu dem Ergebnis kommen, dass jeder Organspender werden sollte, wenn dem nicht explizit widersprochen wird. In der gegenteiligen Sichtweise ist die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eine Grenze, die der demokratische Staat nicht überschreiten darf. Während der Corona-Pandemie hat er es mit der Impfpflicht für medizinisches Personal und Soldaten getan. Zur Abstimmung im Bundestag stand sogar eine allgemeine Impfpflicht gegen das Virus, die schließlich aber keine Mehrheit fand.
Seinerzeit hat der Impfzwang den Druck in einer ohnehin aufgeladenen Ausnahmesituation verstärkt. Die Erfahrung der Pandemie lehrt, dass der Staat in medizinischen Angelegenheiten sehr behutsam vorgehen muss und im Zweifel die Selbstbestimmung des Einzelnen höher zu bewerten ist als der gesellschaftliche Nutzen. In diesem Sinne sollte es deshalb dabei bleiben, dass jeder selbst aktiv entscheiden muss, ob er seine Organe nach dem Tod spenden will. Wegen der Dimension der davon berührten ethischen Fragen ist das die richtige Vorgehensweise.