Es ist ein sonniger Frühsommertag im Enkendorf. Gerhard Lange (67) hüpft in seinen Renault-Master-Bus, den er gerade für sich, Ehefrau Carola und Mischlingshund Niko zum Campervan ausbaut. Stolz präsentiert er die Camping-Toilette und den Mini-Kühlschrank.

Beides hat er bereits hinter modernen grauen Einbauschränken versteckt, die sich praktisch ausziehen lassen. Ein Bett, ein Spülbecken und ganz viel Stauraum sollen noch folgen. „Das ist alles von mir maß-angefertigt“, sagt er freudestrahlend. „Wir genießen das Leben – am liebsten bei Campingausflügen im In- und Ausland, haben dann die E-Bikes dabei und radeln durch die schöne Natur.“

Gerhard Lange sitzt in seinem Campervan, den er zur Zeit für sich und seine Frau Carola in ganz viel Selbstarbeit ausbaut.
Gerhard Lange sitzt in seinem Campervan, den er zur Zeit für sich und seine Frau Carola in ganz viel Selbstarbeit ausbaut. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

1995 bekommt er die Diagnose

Dass Gerhard Lange so agil an seinem Camperprojekt werkelt, ist nicht selbstverständlich, denn: 1995 bekam er nach einer Blutuntersuchung die Diagnose „Alpha-1-Antitrypsinmangel“. Die Krankheit wird durch eine vererbte Genmutation verursacht – und der Mangel am gleichnamigen Enzym schädigt die Lunge.

Die Zerstörung lebenswichtiger Lungenbläschen (Lungenemphyseme), Kurzatmigkeit und drohende Blutgerinnsel (Lungenembolien) sind die Folge. „Ich war gerade einmal Mitte 30, als es angefangen hat, dass ich kaum mehr Treppen steigen konnte“, erinnert sich Gerhard Lange, „ständig musste ich stehenbleiben und schnaufen.“

Nach der Diagnose bekommt der zweifache Familienvater und Berufskraftfahrer jede Woche eine Prolastin-Infusion beim Hausarzt. Das Blutplasma soll das Fortschreiten der Symptome aufhalten.

Die Symptome werden schlimmer

Er kann zunächst weiter LKW fahren, weiter an seinen geliebten Trabis schrauben, macht damals mit den Trabifreunden Hochrhein liebend gerne Ausfahrten durch den Südschwarzwald. „Doch dann wurden die Symptome immer schlimmer“, erinnert sich Lange.

Während die Infusionen bei seinem Bruder, der die selbe Erbkrankheit hat, wirken, kommt Gerhard Langes Leben plötzlich zum Stillstand: 2004, mit gerade einmal 47 Jahren, muss er in Vollrente gehen, seinen heißgeliebten Trabi abmelden, das Wohnmobil verkaufen.

Er kann nur noch wenige Schritte laufen

Lange kann nur noch wenige Schritte ohne Pause laufen und ein Sauerstoffgerät wird sein ständiger Begleiter. „Meine Finger und Zehen waren blau gefärbt, mein Gesicht kalkweiß vom Sauerstoffmangel“, sagt Gerhard Lange.

Zwar versorgt das tragbare Sauerstoffgerät seine Organe – und hält sie am Leben. Trotzdem fühlt er in jeder Sekunde Luftmangel: „Das fühlt sich an, wie wenn man ständig nur durch ein winziges Loch in einem Trinkröhrchen atmet, man fühlt sich schwach und hilflos“, erinnert er sich.

Nur mit einem Spenderorgan kann er überleben

2005 wird er auf die Warteliste für eine Lungentransplantation aufgenommen. „Ab dann war klar, dass ich nur mit einem Spenderorgan überleben kann“, sagt er. „Das war erschreckend, aber es hat mir auch Hoffnung gegeben.“

Drei weitere Jahre steht sein Leben still, bis die Ärzte einen erhöhten Kohlendioxidgehalt im Blut, Lungenhochdruck und eine bereits ältere Lungenembolie entdecken: Im April 2008 wird er stationär aufgenommen.

Die einzige Option, um zu überleben: Eine schnelle Transplantation! Am 6. Mai rutscht er auf die höchste Dringlichkeitsstufe für eine Organspende. 19 Tage wartet er in der Klinik in Donaueschingen, bis plötzlich alles ganz schnell geht: „Wir haben eine Lunge für Sie“, ruft eine der Krankenschwester, „sie werden gleich abgeholt.“

Vier Fragen rund um die Organspende

Bei 15-Stunden-OP bekommt er Lunge eines anderen

Mit dem Notfall-Helikopter wird Gerhard Lange am frühen Abend in die Uniklinik in Freiburg geflogen und bekommt noch in der selben Nacht in einer 15-stündigen Operation die Lunge eines anderen Menschen transplantiert. „Der 25. Mai ist seither mein zweiter Geburtstag“, sagt Gerhard Lange. „Ich bin unendlich dankbar, dass ich leben darf!“

Schon wenige Tage nach diesem Lebensverändernden Eingriff läuft Gerhard Lange an der Seite von Ehefrau Carola über die langen Krankenhausgänge: „Das erste mal nach so vielen Jahren wieder tief ein- und ausatmen zu können, war ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt er. „Ich habe mich so frei und lebendig gefühlt und die Schwestern mussten mich ein bisschen bremsen, dass ich mich nicht übernehme!“

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Vier Wochen tankt er in einer Rehaklinik am bayerischen Königssee Kraft, lernt seine Muskeln nach den vielen Jahres des Stillstandes langsam wieder zu trainieren und seinem Körper wieder zu vertrauen. Zurück zu Hause in Wehr beginnt er mit wöchentlichen Besuchen im Fitnessstudio – und schon bald fährt die Familie wieder zum ersten Mal mit dem neu angeschafften Wohnwagen los: An die Seerosenteiche der Mecklenburgischen Seenplatte und weiter an die Ostsee.

Der Spender ist bis heute unbekannt

Wer der Organspender war, weiß Lange bis heute nicht. „Aber 16 Jahre hat mir der Mensch, der bereit war, seine Organe zu spenden, bereits geschenkt“, sagt Gerhard Lange. „Ich hatte so viel Glück!“

Zwar muss er sein Leben lang Medikamente (Immunsuppressiva) nehmen, die verhindern, dass sein körpereigenes Immunsystem das übertragene Organ als fremd wahrnimmt und abstößt. Aber er kann heute wieder ein glückliches und aktives Leben leben.

Gerhard Lange lebt seit 2008 mit einer gespendeten Lunge. Ohne die Organspende hätte der ehemalige Berufskraftfahrer und Trabi-Fan aus ...
Gerhard Lange lebt seit 2008 mit einer gespendeten Lunge. Ohne die Organspende hätte der ehemalige Berufskraftfahrer und Trabi-Fan aus Wehr-Enkendorf nicht überlebt. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Wenn er nicht gerade an seinem Campervan tüftelt oder mit Frau Carola und Hund Niko lange Gassirunden am Rhein oder auf dem Dinkelberg dreht, hilft er bei einem Minijob beim Deutschen Roten Kreuz in Bad Säckingen anderen Menschen: „Ich mache regelmäßig Patientenfahrten und helfe bei kleineren Reparaturen an Fahrzeugen“, sagt er, „ein mal Fahrzeugnarr, immer Fahrzeugnarr – das macht mir richtig viel Freude!“

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