Der Prozess gegen einen 45 Jahre alten Mann wegen des Vorwurfs, seine damals minderjährige Tochter mehrfach sexuell missbraucht zu haben, ist auf die Zielgerade eingebogen. So weit war das Verfahren vor der Ersten Großen Jugendkammer des Landgerichts Waldshut allerdings schon mehrmals, weshalb Prozessteilnehmer auch jetzt noch außerordentlich zurückhaltend sind, wenn es darum geht, das Datum des Urteilsspruch vorherzusagen. Richter Martin Hauser, der Vorsitzende der Großen Jugendkammer, jedenfalls ist fest entschlossen, am Dienstag, 12. August, in diesem Fall im Namen des Volkes Recht zu sprechen.

Was ist bisher geschehen?

Zuvor aber müssen noch die Beweisaufnahme abgeschlossen und die Plädoyers noch einmal gehalten werden. Die hatten – in dieser völlig atypischen Reihenfolge – Strafverteidiger Sascha Böttner und Staatsanwältin Bisegger bereits gehalten, doch unmittelbar bevor Anwältin Ulrike Heim als Vertreterin der Nebenklägerin zu ihrem Plädoyer ansetzen konnte, wurde das Gericht von einem ähnlich gelagerten Fall überrascht, der sich in Konstanz zugetragen hatte.

Dort hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen einen Mann eingestellt, dem die mittlerweile volljährige Tochter des in Waldshut angeklagten Mannes vorgeworfen hatte, sie vergewaltigt zu haben.

Weil die Vorwürfe in Konstanz ähnlich gelagert sind wie jene, über die das Landgericht in Waldshut aktuell zu verhandeln hat, mussten sich Richter, Schöffen, Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidiger mit diesem Fall ebenso befassen, wie mit dem des Vaters einer Freundin des Opfers. Auch er soll sexuell übergriffig geworden sein, wurde allerdings nicht deswegen verurteilt, sondern ausschließlich, weil er dem Opfer Fotos seines Gliedes geschickt hatte.

Es geht erneut um die Glaubwürdigkeit des Opfers

So drehte sich am inzwischen achten Verhandlungstag vor der Jugendkammer in Waldshut abermals alles um die Glaubwürdigkeit des Opfers. Dazu wurden die damalige Leiterin eines Jugendkollegs am Bodensee und eine ihrer Mitarbeiterinnen in den Zeugenstand gebeten. Jenes Jugendkolleg nahm die damals noch minderjährige Frau auf, nachdem deren Mutter das Sorgerecht für sie per Gericht verloren hatte.

Die damalige Mitarbeiterin des Jugendkollegs wurde per Videokonferenz befragt, da sie ganz am anderen Ende Deutschlands lebt und ihr aus gesundheitlichen Gründen die Reise aus Schleswig-Holstein an den Hochrhein nicht zugemutet werden kann. Sie wurde befragt, weil sie in einer polizeilichen Vernehmung davon berichtet hatte, dass die junge Frau schon mehrfach Opfer sexueller Gewalt gewesen sei.

Keine neuen Erkenntnisse für die Klärung der Vorwürfe

Neue Erkenntnisse brachte ihre knapp zweistündige Befragung vor Gericht nicht. Dafür aber eine Art Schrecksekunde für die Prozessbeteiligten. Als die Zeugin dem Gericht wärmstens empfahl, sich die Dokumentation zu besorgen, mit welcher die Jugendhilfeeinrichtung am Bodensee detailliert alles festhalte, drohte plötzlich ein weiterer Tag Beweisaufnahme im Landgericht.

Entwarnung kam dann Stunden später von der damaligen Chefin dieser Mitarbeiterin der Jugendhilfeeinrichtung. Sie brachte Auszüge aus besagter Dokumentation mit und versicherte, dass es darüber hinaus keine schriftlichen Unterlagen gibt.

Gericht sichtet Videoaufnahmen

Neue Erkenntnisse zu den sexuellen Übergriffen, die sich zwischen 2018 und 2020 in einem kleinen Schwarzwalddorf im Norden des Kreises Waldshut ereignet haben sollen, brachte aber auch sie nicht mit.

Den Rest des Tages verbrachte das Gericht damit, sich Videoaufzeichnungen von polizeilichen und richterlichen Vernehmungen des Opfers im Falle des Vaters ihrer Freundin anzuschauen.

So geht der Prozess weiter

Und auch am Montag, 11. August, werden die Blicke in den ersten Stunden auf die beiden großen Bildschirme an den Wänden des Sitzungssaals gerichtet sein.

Danach und nach einigen Regularien sollen die Plädoyers gehalten werden. Richter Hauser hat drei Stunden veranschlagt – pro Plädoyer eine Stunde. Das würde bedeuten, dass sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung ihre Plädoyers aktualisieren. Staatsanwältin Bisegger hatte für den Angeklagten vor Wochen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten gefordert; sein Verteidiger Sascha Böttner hingegen wegen erwiesener Unschuld einen glatten Freispruch.

Pikant: Jenes Plädoyer war Böttners letztes aktives Einwirken in diesem Prozess. Direkt danach bestieg er ein Flugzeug nach Hamburg, wo er seither einen Mitangeklagten im aufsehenerregenden Entführungsfall Block vertritt. In Waldshut lässt er sich von einem örtlichen Anwalt vertreten. Der hat schon angekündigt, das Plädoyer Böttners ergänzen zu wollen. Das dritte Plädoyer des Tages wird Ulrike Heim halten, die Anwältin des Opfers, das als Nebenklägerin auftritt.

Am Dienstagvormittag, 12. August, werden sich die zwei Berufsrichter und die beiden Schöffen zu mehrstündigen Beratungen zurückziehen und am späten Nachmittag dann soll das Urteil verkündet werden.

So lief die bisherige Verhandlung

Erster Prozesstag: Das wird dem Angeklagten vorgeworfen

Zweiter Prozesstag: Das Opfer sagt mehr als drei Stunden aus

Dritter und vierter Prozesstag: Der Gutachter hält das Opfer für glaubwürdig

Fünfter und sechster Prozesstag: Die Plädoyers sind gesprochen, doch ein Urteil im Missbrauchs-Prozess wird noch nicht fallen

Siebter Verhandlungstag: Die Jugendkammer betrachtet zwei ähnliche Fälle, in denen das Opfer angibt, vergewaltigt oder missbraucht worden zu sein.