Zuletzt ging alles ganz schnell. Als Kurz am Samstagabend seinen Rückzug aus der Regierung bekanntgab, war diese Entscheidung erst wenige Stunden alt. Noch Freitagabend hatte er erklärt, im Amt bleiben zu wollen. Doch die Härte, mit der sein Koalitionspartner, die Grünen, „eine untadelige Person“ als Kanzler forderten, und steigender Druck aus den ÖVP-Landesparteien, zwangen ihn, seine Meinung zu ändern.

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In seiner Rücktrittserklärung sagte er: „Der Koalitionspartner hat sich entschlossen, sich klar gegen mich zu positionieren.“ Er fügte hinzu: „Ich wäre auch dankbar, wenn die Unschuldsvermutung für alle Menschen in diesem Land gelten würde.“ Er trete zurück, um Chaos zu verhindern. Kurz will Parteivorsitzender der Österreichischen Volkspartei bleiben und in Zukunft als ÖVP-Fraktionsvorsitzender im Parlament die Politik der Koalition mitbestimmen.

Ermittlungen gegen Kurz und neun seiner engsten Mitarbeiter – Umfragen gefälscht?

Die mehr als 300.000 Textnachrichten, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf einem Handy eines engen Vertrauten von Kurz sichergestellt hat, sind erst zum Teil ausgewertet. Es wird befürchtet, dass weitere zweifelhafte oder kriminelle Machenschaften ans Tageslicht kommen können. Eine richterliche Anordnung zur Hausdurchsuchung im Kanzleramt und im Finanzministerium sowie in der ÖVP-Zentrale hatte SMS in die Öffentlichkeit gebracht, die Ermittlungen gegen Kurz und neun seiner engsten Mitarbeiter ausgelöst haben.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) wird Nachfolger von Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) wird Nachfolger von Bundeskanzler Sebastian Kurz. | Bild: Robert Jaeger/APA/dpa

Darunter den Handybesitzer Thomas Schmid, damals Generaldirektor im Finanzministerium. Zu den Vorwürfen gehört, dass Schmid im Auftrag von Sebastian Kurz seit 2016 Umfragen fälschen ließ, die den damaligen Außenminister Kurz besonders positiv und den ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner negativ darstellten. Die manipulierten Umfragen sowie wohlwollende Berichte seien von der Boulevardzeitung „Österreich“ veröffentlicht worden, diese wurde dafür mit Inseraten bezahlt. Für diese Inserate und die Umfragen sollen Scheinrechnungen erstellt worden sein, die aus dem Etat des Finanzministeriums aus Steuermitteln beglichen wurden.

Ziel der Manipulation sei es gewesen, den damaligen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zu stürzen. Seiner Regierung mit SPÖ-Chef Christian Kern warf Kurz einerseits Stillstand vor, intrigierte andererseits, um erfolgversprechende Projekte, wie beispielsweise die Ganztagsbetreuung im Kindergarten, zu torpedieren.

Geschmacklose Formulierungen in Chat-Protokollen

Die Formulierungen in den Chat-Protokollen sind rüde und geschmacklos. Kurz wies in seiner Erklärung darauf hin, dass er „auch nur ein Mensch“ sei und manches heute nicht wiederholen würde. Doch die ÖVP-Landeshauptleute dürften sich durchaus selbst angegriffen gefühlt haben, wenn Kurz beispielsweise seinen Vorgänger Mitterlehner als „Oarsch“ bezeichnet. In einer SMS von Schmid, der sich als Kurz „Prätorianer“ bezeichnet, heißt es: „Mitterlehner is dead like a dodo“. Andere ÖVP-Politiker nannte Schmid „alte Deppen“.

Die Landesvorsitzenden hatten dem Wahlsieger Kurz nach dem Sturz Mitterlehners absolute Macht in der ÖVP gegeben. Er durfte die Wahllisten bestimmen und seine Personalentscheidungen ohne Rücksprache mit der Partei fällen. Die Tragweite der Chatprotokolle erfassten sie offenbar erst peu à peu. Donnerstagnacht stellten sie sich noch hinter Kurz. Dann sprach der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer von einer „unfassbaren Härte der Vorwürfe“. Die niederösterreichische ÖVP-Chefin Johanna Mikl-Leitner solll getobt haben. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter musste zugeben, die Protokolle am Donnerstag noch nicht gelesen zu haben.

Ermittlungen gegen Kurz ziehen sich lange hin

Die Konsequenz, mit der die Grünen ankündigten, eine neue Mehrheit ohne die ÖVP zu suchen und die Bereitschaft der Sozialdemokraten, wieder mit FPÖ-Chef Herbert Kickl zu sprechen, ließ die ÖVP-Landeschefs auch befürchten, es könne zu einer wenig handlungsfähigen Vierer-Regierung ohne ÖVP-Beteiligung kommen. Dann wären neue Gesetze zur Klimapolitik auf die lange Bank geschoben worden, auf die sich die türkisgrüne Koalition bereits geeinigt hat. Auch der künftige fünfjährige Länderfinanzausgleich und das Budget hätten nicht mehr mit von der ÖVP gestaltet werden können.

Die grüne Fraktionschefin Sigrid Maurer schloss nun aus, dass Kurz ins Kanzleramt zurückkehrt. Tatsächlich ziehen sich Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sehr lange hin. Zudem genießt Kurz als Abgeordneter Immunität. Er hat angekündigt, darauf zu verzichten. Rechtsexperten rechnen jedoch trotzdem erst in frühestens einem Jahr mit einer Anklage.

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