Kann eine einzige TV-Debatte den Ausgang der Präsidentschaftswahlen entscheiden? Seit dem Duell zwischen Donald Trump und US-Präsident Joe Biden im Juni, das den erkennbar unter kognitiven Problemen leidenden Demokraten die Spitzenkandidatur seiner Partei kostete, muss diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Nun treffen in Philadelphia 90 Minuten lang live im Sender ABC Trump und der Biden-Ersatz Kamala Harris aufeinander.

Noch nie standen sich beide Politiker persönlich so gegenüber. Und noch nie ging es um so viel. Nur noch knapp zwei Monate bleiben bis zum Wahltag. Harris hat das geschafft, was man ihr anfänglich nicht zutraute: Die Partei aus der tiefen Depression nach dem Biden-Debakel zu führen, Enthusiasmus zu verbreiten und Trumps frühere Führung in den Umfragen auszugleichen. Alles ist nun wieder offen, wenn die Stimmen am 5. November ausgezählt werden.

Kein Saal-Publikum, keine Notizen

Strikte Regeln gelten, wenn Harris erstmals beweisen muss, dass sie die oft rüpelhafte und gerne auch beleidigende Art Trumps kontern kann. Es gibt kein Saal-Publikum, das applaudieren oder aufstöhnen kann. Es gibt lediglich zwei Werbepausen, was die Kontrahenten – die keine Notizen mitbringen dürfen – zu maximaler Konzentration zwingt. Harris und Trump dürfen sich gegenseitig keine Fragen stellen.

Der Sender ABC bekräftigte, keiner der beiden werde vorab wissen, welche Themen und Fragen aufkommen werden. Das war in der Vergangenheit schon einmal anders. So wurde eine CNN-Mitarbeitern ertappt, nachdem sie der früheren Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Hinweise über beabsichtigte Fragen zugeschanzt hatte.

Wer an diesem Tag das letzte Wort hat, wurde durch Münzwurf entschieden. Donald Trump gewann und entschied sich, als Letzter das Millionenpublikum zu adressieren.

Harris-Manager beklagen sich

Das Team von Kamala Harris hat bereits im Vorfeld der Debatte versucht, die Erwartungen an die Kandidatin herunterzuschrauben. In einem Schreiben an ABC beklagten sich die Harris-Manager, die Vizepräsidentin werde „fundamental benachteiligt“, weil das Format keine direkten Wortwechsel mit Trump zulasse.

Was bedeutet: Wenn Trump die Unwahrheit sagt, kann Harris nicht unmittelbar kontern, sondern muss die zwei Minuten – die ihr für die nächste Frage der Moderatoren zustehen – dafür nutzen.

Der Republikaner hat zudem weitaus mehr Erfahrung, was hochkarätige Debatten angeht – siehe das letzte Duell zwischen ihm und Biden, das den amtierenden Präsidenten zur Zielscheibe scharfer parteiinterner Kritik machte, die Demokraten in Panik versetzte und ihn schließlich zum Ausstieg zwang. Es bestehen kaum Zweifel, dass Trump diesen Vorgang am MIttwochabend genüsslich thematisieren wird – und dabei auch die Frage stellen dürfte: Warum hatte auch Harris bis zuletzt immer wieder öffentlich betont, Biden sei mental voll auf der Höhe?

Trump und Harris bieten genug Angriffsflächen

Angriffsfläche gibt es für beide Politiker genug. Und Verwundbarkeiten. Trump hatte in der Debatte mit Biden erneut eine Kaskade an Unwahrheiten verbreitet. Die progressive Harris hat bislang der Nation immer noch nicht erklärt, warum sie plötzlich ihre Position bei wichtigen Themen fundamental in Richtung politische Mitte geändert hat – wie etwa bei der Grenzsicherung, wo sie nun, den Wahltag vor Augen, überraschend schärfere Maßnahmen gegen illegal ins Land strömende Migranten will.

Für die Moderatoren steht in Sachen Glaubwürdigkeit viel auf dem Spiel. Deshalb kommen sie vermutlich nicht an der größten Verwundbarkeit der amtierenden Vizepräsidentin vorbei – und der Frage, die auch Trump immer wieder im Vorfeld der Debatte gestellt hat: Warum würde Harris nun so vieles am ersten Arbeitstag als Präsidentin anders machen, wenn sie doch schon über dreieinhalb Jahre lang die zweitmächtigste Person im Land war und jede Menge Akzente hätte setzen können?

Das TV-Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump wird live bei RTL und NTV zu sehen sein. Die beiden Sender übertragen die Debatte Mittwochnacht ab 2.45 Uhr deutscher Zeit.