Auf nichts kann man sich mehr verlassen, nicht einmal mehr auf unsere Jugend. Faul sind die jungen Menschen, anstrengen wollen sie sich nicht und für Politik ist auch kaum Interesse vorhanden – so die Vorurteile. Und dann erscheint mit der Shell-Studie die vielleicht größte Untersuchung zur Verfassung der Menschen zwischen 12 und 25 Jahren in Deutschland und zeichnet ein ganz anderes Bild.
Familie, Freunde, Bildung
Hoffnungsfroh blicken die jungen Menschen in die Zukunft und glauben, dass Deutschland alle Chancen bietet, um eigene Träume verwirklichen zu können. Materielles ist ihnen wichtig, Familie und Freunde auch, sie wünschen sich Sicherheit und sie wissen, dass Bildung die Möglichkeit auf eine gute Zukunft erhöht.
Hört sich fast an wie die Wiederkehr des Spießertums – wenn der Begriff „Spießer“ nicht so negativ klingen würde – und zeugt doch von einem gesunden Blick auf die Umstände und Bedingungen, die gerade in unserem Land herrschen.
Überraschung auch für die Experten
Die Studie trägt auf rund 300 Seiten die Ergebnisse von mehr als 2500 befragten Jugendlichen zusammen. Dabei ist die Erhebung kein Schlaglicht, sondern wird seit 1953 regelmäßig wiederholt, so dass gute Vergleiche zu vorherigen Generationen gezogen werden können.
Die Ergebnisse überraschen sogar die Experten, eine Gruppe aus erfahrenen Wissenschaftlern. Denn dass trotz Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, Klimanotstand und Migrationskrise die jungen Menschen positiv nach vorne blicken, war nicht zu erwarten. Auch dass Werte wie Fleiß und Eigenverantwortung weiterhin hoch im Kurs stehen, dass das Vertrauen in die Institutionen der Republik und in unser Recht unverändert fest ist, verblüfft – mit dieser Stabilität hatte niemand gerechnet. Wie sich die Experten das erklären? Mit den Folgen der Corona-Krise.
Das Vertrauen wurde gestärkt – durch Corona
Studienleiter Mathias Albert analysiert in einem Interview, dass die heutige Jugend die erste Generation nach dem Krieg sei, die live miterlebt habe, wie die Gesellschaft in relativ kurzer Zeit durch eine Megakrise gekommen ist. Das würde das Vertrauen in stabilisierende Rahmenbedingungen stärken – und eben auch zu eigener Sicherheit führen.
Wenn man so will, sind unsere Youngster im Großen und Ganzen gestärkt aus der Krise hervorgegangen und stellen sich entsprechend selbstbewusst für das Kommende auf.

Jugend ist nicht gleich Jugend
Das Besondere an der Shell-Studie ist die umfangreiche Differenzierung der Ergebnisse. Die Antworten der jungen Menschen werden nach Bildungsgrad, Herkunft und Wohnort gegliedert. Ein Beispiel sind die Einstellungen zu Israel und dem Gaza-Krieg: Auf die Frage, ob Deutschland Israel gegenüber eine besondere Verpflichtung habe, stimmen 37 Prozent der Jugendlichen mit höherer Bildung eher zu, mit niedriger Bildung sind es nur 16 Prozent. Kinder mit arabischem Hintergrund lehnen diese Haltung zu 42 Prozent sogar ab.
Im Westen sind die Jugendlichen mit unserem demokratischen System zufriedener als im Osten und vor den Folgen von Migration und Zuwanderung sorgen sich eher Jugendliche mit niedrigem Bildungsgrad.
Jugendliche wollen neues Schulfach
Aus diesen Beispielen lässt sich herauslesen, dass Bildung einen Unterschied macht. Dass die Vermittlung der Merkmale von Demokratie, Sozialstaat und Wertesystemen einen Unterschied macht. Wer mehr darüber weiß, plappert nicht nur nach, sondern bildet sich eine eigene Meinung.
Die jungen Menschen fordern das sogar ein: Der Wert der politisch interessierten Jugendlichen ist seit 2002 von 34 Prozent auf 55 Prozent gestiegen – sie wollen verstehen, sie wollen diskutieren und sie wollen mitgestalten. Und sie informieren sich aktiv, zumeist digital über seriöse Nachrichtenseiten und andere Portale. Hier haben die jungen Menschen laut Studie sogar eine konkrete Forderung: verpflichtenden Schulunterricht.
90 Prozent wollen, dass der Umgang mit digitalen Medien, das Erkennen von Fake News und der Umgang mit Künstlicher Intelligenz verpflichtend in der Schule unterrichtet wird. Eine Forderung, die Ausdruck von Unsicherheit und Weisheit gleichermaßen ist. Denn die jungen Menschen wissen, dass sie im Netz verführt werden sollen. Und sie wollen erkennen können, wann genau das der Fall ist. Um eben nicht Lüge und Propaganda auf den Leim zu gehen.
Appell an die Kultusminister
Bisher ducken sich alle Kultusminister weg bei den Forderungen nach einem Schulfach Medienkompetenz und reden sich damit raus, dass das irgendwo schon an der Schule unterrichtet würde. Heraus kommt Stümperei, weil auch die Lehrkräfte nicht geschult sind. Wer die Shell-Studie ernst nimmt und die differenzierten Ergebnisse auswertet, der kann zu keinem anderen Schluss kommen als: Wir brauchen ein neues Schulfach. Schnell. Weil die jungen Leute es wollen und die Demokratie es braucht.