Frau Schink, was oder wer müsste denn passieren, damit Sie Grün wählen?
Ich glaube, damit ich Grün wähle, müsste Boris Palmer Kanzlerkandidat sein. Auch wenn wir nicht bei allen Themen einer Meinung sind, gerade was den Umweltschutz betrifft. Aber ich mag seine liberalen Gedanken. Und ich fand ihn während der Corona-Zeit verdammt mutig. Ich glaube, wir brauchen mutige Politiker. Sich einem so starken Gegenwind auszusetzen, auch gegen die eigene Partei – davor habe ich große Hochachtung.
Für wie realistisch halten Sie es denn, dass er jemals Kanzlerkandidat wird?
Boris Palmer wird niemals Kanzlerkandidat der Grünen werden. Er wird wahrscheinlich auch nie Bundesminister der Grünen werden, weil er ein Freigeist ist. Die besten Politiker werden ja meistens von der eigenen Partei beseitigt.
Sie nennen die Grünen eine „Wohlfühlpartei für bürgerliche Wähler“, die aus Ihrer Sicht im Grunde unwählbar erscheint. Warum eigentlich?
Ich nenne Ihnen drei Beispiele. Erstens ist da die Wirtschaft. Wir können uns Grün einfach nicht leisten. Die Marktwirtschaft, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt hat, ist eine ganz große Errungenschaft. Aber die Grünen setzen vor allem auf Verbote. Der zweite Grund, warum die Grünen nicht gut für unser Land sind, ist das Steuer-System. Wenn die Vermögenssteuer wieder eingeführt wird, die 1997 abgeschafft wurde, werden Top-Unternehmer Deutschland verlassen. Das wäre ein Super-Gau, denn genau diese Leute brauchen wir. Der dritte und wichtigste Grund ist Annalena Baerbock. Meine größte Angst ist, dass sie Kanzlerin wird und wir dann Grün-Rot-Rot haben. Das wäre definitiv der Untergang für Deutschland als Industrie-Nation. Vor allem jetzt, denn nach Corona sind die Kassen leer. Deutschland kann in den nächsten Jahren kein Land sein, das weiter finanzielle Geschenke packt, sondern muss ein Land werden, das auf die Kosten achtet. Das ist nicht schön, das ist nicht sexy und damit gewinnt man auch keine Wählerstimmen, aber ich glaube, dass wir da vorankommen müssen.
Also sind die Grünen für Sie unwählbar?
Grün ist nicht generell unwählbar. Wir sind an einem Punkt, an dem die Grünen eine Kanzlerkandidatin stellen. Das heißt, sie wollen das Kanzleramt haben. Aber dafür sind sie nicht bereit. Die Grünen bedienen seit Jahrzehnten ein gewisses Klientel und sie sind auch wichtig, das will ich ihnen nicht absprechen. Sie haben den Klimawandel zum Thema gemacht, sie haben viel für die Umwelt getan. Aber sie sind einfach keine Volkspartei. Und das sollen sie meiner Meinung auch nicht werden. Vor allem taugt Annalena Baerbock absolut nicht zur Kanzlerkandidatin.

Als Sie Ihr Buch „Ich bin nicht grün“ geschrieben haben, war Baerbock auf einem Höhenflug, seitdem ist viel passiert. Glauben Sie, dass sie noch eine Chance hat, Kanzlerin zu werden?
Ja. Das Problem ist, und ich glaube, dass das viele vergessen: Am Wahltag erinnert sich kein Wähler mehr daran, dass sie ihren Lebenslauf beschönigt hat, dass sie ihr Buch in Teilen abgeschrieben hat und dass sie ihre Nebenverdienste zu spät gemeldet hat. Es gab die Flutkatastrophe, das wird den Grünen Auftrieb geben. Auch wenn natürlich nicht nur sie die Umwelt retten können. Der Umwelt ist es egal, wo wir am 26. September unser Kreuz setzen – Ausnahme ist die AfD, die aus dem Pariser Klima-Abkommen aussteigen will. Ich hätte an Stelle der Grünen Annalena Baerbock durch Robert Habeck ersetzt. Ich glaube, das hätte ihnen einen großen Auftrieb gegeben, und vor allem wäre es verdammt ehrlich gewesen. Aber ich bin eigentlich dankbar, dass sie es nicht gemacht haben.
Finden Sie an ihr nichts gut?
Doch. Annalena Baerbock ist definitiv ein Vorbild, zum Beispiel weil sie den Spagat zwischen Familie und Beruf schafft. Das finde ich bemerkenswert – auch bei Männern. Die Grünen haben gute Ansätze, und es ist wichtig, dass es sie gibt. Aber nicht als Kanzler.
Sie werfen den Grünen die Lust am Verbieten vor. Keine Inlandsflüge mehr, Tempolimit auf Autobahnen … Sie haben keine Lust, sich vom Staat bevormunden zu lassen und plädieren für mehr Eigenverantwortung. Glauben Sie wirklich, dass es zum Beispiel beim Klimaschutz in die richtige Richtung gehen würde, wenn der Staat auf Freiwilligkeit setzt?
Total! Ich persönlich fürchte mich mehr vor der Bevormundung des Staats als vor der Ignoranz der Gesellschaft. Unsere Gesetze umfassen ja bereits viele Vorgaben, Regeln und Verbote, und die sind auch nicht alle schlecht. Solche Bestimmungen machen ein friedliches und sicheres Zusammenleben erst möglich. Und es ist natürlich richtig zu verbieten, mit Tempo 150 durch die 30er-Zone vor einer Grundschule zu rasen. Gesetze sollen unser Verhalten so regeln, dass wir alle möglichst unversehrt durchs Leben kommen. Aber das muss in Maßen passieren. Und Maß hält man nicht mit Masse.
Irgendwann ist es einfach zu viel des Guten. Die Grünen wollen unter dem Deckmantel des Umweltschutzes Leitplanken setzen, zwischen denen sich alle Bürger zu bewegen haben. Ich habe große Angst davor, dass unser freies Land Schritt für Schritt zu einer Verbots-Nation mutiert. Der Idealzustand, den wir meiner Meinung nach in Deutschland haben, sollte sein: Die Gesellschaft schützt uns vor Bösem, aber sie soll unser Leben nicht durch Lifestyle-Vorgaben erschweren.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel, dass auf jedes Eigenheim Solaranlagen sollen. Man sollte sie fördern, das ist richtig und das ist wichtig. Aber ich habe das Gefühl, uns ist unsere persönliche Freiheit gar nichts mehr wert. Die Frage ist im Moment nicht: Wie viel darf der Staat regeln? Die Frage ist: Wie viel lassen wir den Staat noch regeln? Meiner Meinung nach zu viel.
Können Sie sich vorstellen, dass es in manchen Bereichen einen starken Staat braucht, damit etwas passiert? Sonst würden doch bestimmt immer noch Plastik-Trinkhalme produziert werden.
Ich hätte sie nicht verboten. Aus einem guten Grund: Ich glaube an den mündigen Bürger. Wenn niemand mehr einen Plastik-Trinkhalm hätte haben wollen, dann hätte sich der Markt ganz schnell verändert. Wir können keine Planwirtschaft gebrauchen, die hat noch nie funktioniert. Und mir geht diese Panikmache auf den Geist. Angst ist ein unfassbarer Beschleuniger. Und auch die Grünen bedienen sich dieser Angst. Für 93 Prozent der EU-Bürger ist der Klimawandel ein ernstes Problem. Also brauchen wir keinen Staat, der uns vorschreibt, wie wir uns zu verhalten haben, sondern es muss sich nur jeder ein bisschen ändern. Ich glaube einfach, man muss nicht grün sein, um etwas für die Umwelt zu tun. Und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass nicht alles verboten wird. Lassen wir die Bürger Freude daran haben, mitzuhelfen, dass der Klimawandel gestoppt wird.
Sie sprechen vom mündigen Bürger. Obwohl die Wahlbeteiligung sinkt?
Ja. Aber wir müssen etwas gegen diese Politikverdrossenheit tun. Ich habe für das Buch zum ersten Mal alle Wahlprogramme gelesen und miteinander verglichen. Wissen Sie was? Das hat richtig Spaß gemacht! Ich vergleiche das gern mit Brokkoli und Zuckerwatte. Politik ist erst mal richtig schwer, und Kinder müssen ja auch daran gewöhnt werden, Brokkoli zu essen. Und Zuckerwatte ist so leicht, so wie zum Beispiel Klatsch-Meldungen. Wir brauchen beides. Aber jetzt brauchen wir vor allem mehr Brokkoli und mehr politisches Interesse. Freiheit bedeutet Verantwortung. Die Menschen haben für das Wahlrecht gekämpft. Wenn dann Leute zu mir sagen, sie gehen nicht wählen, frage ich mich, warum jemand keine Lust hat, sich mit seiner Zukunft zu beschäftigen – mündige Bürger sollten Bock darauf haben. Aber in meinem Modell darf ein mündiger Bürger natürlich auch keine Lust haben, wählen zu gehen.
Stört es Sie eigentlich, wenn man Sie konservativ nennt?
In meiner Generation ist es überhaupt nicht hip, konservativ zu sein. Es ist hip, links zu sein, es ist hip, grün zu sein, aber konservativ zu sein ist eigentlich uncool. Ich sehe das völlig anders. Konservativ zu sein bedeutet ja nicht, dass ich die CDU wähle. Konservativ zu sein, das ist für mich eine Lebenseinstellung. Das Wort kommt von „conservare“, bewahren. Es stimmt, man will, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber man überlegt auch, was man verbessern könnte, ohne die Gesellschaftsordnung umzuwerfen. Konservativ zu sein, das ist nichts Schlechtes. Es ist gut, Werte zu haben.
Wenn Sie sagen, Sie sind nicht grün, wird Ihnen sicher schnell unterstellt, dass Sie mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit nichts am Hut haben.
Inzwischen hat ja jede Partei das Thema auf dem Schirm. Wenn es aber nicht nur um die Klimaziele geht, sondern auch um den Weg dahin, gibt es Unterschiede. Das ist mir wichtig: Wir brauchen mit Blick auf den Klimawandel alle Maßnahmen. Wir müssen den CO2-Ausstoß reduzieren, wir brauchen aber auch ergänzende Technologien. Und wir müssen uns dem Klimawandel anpassen. Die Debatten drehen sich aber fast nur um den CO2-Ausstoß.
Sie sind jemand, der seine Meinung sagt – auch gegen die Mehrheitsmeinung.
Ihnen fehlt es an Nein-Sagern. Warum gibt es Ihrer Meinung nach so wenige?
Es ist die Angepasstheit. Was ich am grünen Lifestyle meiner Generation verurteile, ist ja, dass man sich so offen gibt und zum Beispiel gendert. Aber sobald jemand eine andere Meinung hat, verurteilt man ihn. Seit 1953 haben sich nicht mehr so wenige Menschen in Deutschland getraut, ihre Meinung zu sagen. Aber wir müssen uns wieder trauen, unsere Meinung zu sagen. Und wir müssen mehr Lust auf die Meinung anderer haben. Früher standen die Grünen auch für eine Lust am Streiten, die ich bewundert habe. Heute gibt es keine angepasstere Truppe.
Hätten Sie Lust, in die Politik zu gehen?
Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Aber was hätte ich Deutschland mit 29 Jahren als Berufspolitikerin zu bieten? Es ist schon gut, wenn man erstmal Karriere in der freien Wirtschaft macht und viel Wissen und Erfahrung aufbaut. Politik hat mich immer gereizt. Aber ich liebe es auch, Journalistin zu sein.