Frau Schink, es ist zwar noch sehr früh am Tag, aber ich frage Sie trotzdem: Wie viel Zeit haben Sie heute Morgen schon vorm Spiegel verbracht?

Ehrlich gesagt waren es vielleicht zwei Minuten, weil ich mich ungelogen gefragt habe, ob ich meine Haare jetzt waschen muss oder nicht. (lacht) Aber bevor ich an einem normalen Tag das Haus verlasse, brauche ich insgesamt schon eine Stunde, würde ich sagen.

In Ihrem neuen Buch „Pretty Happy“ geht es unter anderem darum, dass wir unserem Aussehen weniger Bedeutung beimessen sollten. Verbringen Sie seit der Recherche weniger Zeit im Bad?

Überhaupt nicht! Wir sagen in „Pretty Happy“ ja nicht: „Schmink dich ab!“ Uns geht es darum zu sagen: Jeder kann, darf und soll das Beste aus sich selbst machen. Das heißt nicht, dass man jeden Tag ungeschminkt sein muss oder sich morgens nicht die Haare föhnen darf. Natürlich darf man das, wenn man sich damit wohlfühlt. Wenn Haare, Make-up und Kleidung das einzige Problem unserer Gesellschaft wären – das wäre ehrlich gesagt schön. Was wir kritisieren, sind die weichgezeichneten Gesichter im Internet. Die Filter, die dazu führen, dass insbesondere Mädchen und Frauen einem unrealistischen Schönheitsideal hinterherrennen, weil sie glauben, schön sein zu müssen, um geliebt zu werden. Wir sind davon überzeugt, dass die Menschen glücklich sind, die mit sich im Reinen sind.

Was bedeutet Schönheit eigentlich?

Wichtig ist vor allem zu erkennen, dass sich Schönheitsideale wandeln. Ich zum Beispiel hätte in der Zeit von Marilyn Monroe nicht dem Schönheitsideal entsprochen, in der Zeit von Twiggy schon eher. Deshalb wollen wir mit unserem Buch auch zeigen, dass es gut ist, sich von der Frage „Was ist schön?“ freizumachen, und die eigene Einzigartigkeit zu erkennen.

Was macht denn einen Menschen in Ihren Augen besonders?

Darüber habe ich während der Recherche viel nachgedacht. Es ist nicht Makellosigkeit oder Perfektion – es ist die Imperfektion. Trotzdem versuchen viele Menschen, in den sozialen Medien ein perfektes Bild von sich zu zeigen. Sie wollen perfekt sein, sich selbst optimieren, benutzen Filter für ihre Fotos und lassen sich irgendwann vielleicht noch Botox spritzen. Dabei liegt die wahre Schönheit in der Unvollkommenheit. Darin, dass der Mensch Ecken und Kanten hat. Nichts ist doch langweiliger als eine glatte Oberfläche!

Hat sich dadurch für Sie etwas verändert?

Ja, das glaube ich schon. Wir sind mutiger geworden in dieser Hinsicht, wollen nicht mehr immer perfekt sein. Aber ich schminke mich weiterhin, ich benutze auch weiterhin roten Nagellack und ich treibe weiterhin Sport, weil es mir gut tut. Aber ich benutze keine Filter mehr in sozialen Medien.

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Sie haben den Selbstoptimierungswahn angesprochen. Verdanken wir den wirklich nur den sozialen Medien? Die Ratgeber-Literatur hat ja auch Unzähliges parat, das uns verspricht, unser Leben zu optimieren.

Ich glaube trotzdem, dass Social Media am gefährlichsten ist, wegen der Filter und der weichgezeichneten Gesichter, die ein völlig falsches Bild vermitteln. Es gibt junge Mädchen, die wünschen sich zum 18. Geburtstag lieber eine Nasen-Operation als die Teilfinanzierung ihres Studiums. Viele Jugendliche filtern ihre Fotos so sehr, dass sie sich am Ende selbst gar nicht mehr ähnlich sehen. Wenn ich solche Leute dann in echt sehe, denke ich oft: „Du siehst ja ganz normal aus!“ Filter vernebeln die Realität, das ist eine große Gefahr. Wenn man einen Pickel mit Make-up abdeckt, fällt er zwar nicht mehr so auf, aber ist er trotzdem noch da und sichtbar. Wenn man einen Filter drüberlegt, ist das etwas ganz anderes. Und ich glaube wirklich, dass diese weichgezeichneten Gesichter die Psyche einer ganzen Generation zerstören. Und dann noch die Frauenzeitschriften …

Was ist damit?

Ich habe mir für die Recherche seit Langem mal wieder welche gekauft – und ich war erschrocken. Bekommen die Verlage nicht mit, dass sich die Welt verändert hat? Dass es für Frauen Wichtigeres gibt, als einen Lidstrich zu ziehen und zehn Kilo abzunehmen? Was ich dort gelesen habe, hat mich extrem enttäuscht. Es stimmt schon: Der Selbstoptimierungswahn kommt von allen Seiten, und vor allem natürlich auch von Menschen. Aber die sozialen Medien sind schon ein wichtiger Faktor. Auf Instagram zum Beispiel bewerten Mädchen gegenseitig ihr Aussehen und geben sich Noten. Öffentlich!

„Pretty Happy. Lieber glücklich als perfekt“ (240 Seiten, 14,95 Euro) ist bei Edel Books erschienen.
„Pretty Happy. Lieber glücklich als perfekt“ (240 Seiten, 14,95 Euro) ist bei Edel Books erschienen. | Bild: Edel Books

Also sollten wir den Gedanken an unser Aussehen hinten anstellen?

Ich glaube wirklich, dass man sich davon frei machen muss. Selbstsicherheit wirkt übrigens hübscher als das perfekte Aussehen. Und das hat sich bei mir tatsächlich verändert: Ich fasse mir nicht mehr so viel an die Haare – wenn man das dauernd macht, zeigt das große Unsicherheit. Dabei ist es doch auch kein Weltuntergang, wenn die Haare mal komisch sitzen. Wir alle bewundern doch letztendlich die Menschen am meisten, die komplett bei sich sind, die sich wohlfühlen und das auch ausstrahlen. Perfektion können wir eh nicht erreichen, warum sollten wir ihr also hinterher rennen?

Wen finden Sie denn schön?

Hannelore Elsner, seit ich ein Teenager bin. Keine Frau war für mich jemals so alterslos und so schön – nicht nur wegen ihres Aussehens.

In Ihrem Buch nennen Sie einige Frauen, die Ihrer Ansicht nach zum Vorbild taugen, Jackie Kennedy zum Beispiel. Welche Frauen von heute sind Vorbilder?

Früher hatte ich auf diese Frage immer eine Antwort, da hätte ich Ihnen spontan einige Frauen genannt. Das Problem ist nur: Manche Vorbilder habe ich getroffen, und dann waren sie plötzlich keine mehr. Ich tue mich mittlerweile mit dem Begriff extrem schwer – weil man eben nie weiß, wie eine Person in Wirklichkeit ist. Deshalb nehme ich mir eigentlich nur noch Frauen zum Vorbild, die ich persönlich kenne – viele meiner Freundinnen haben zum Beispiel Eigenschaften, die ich sehr bewundere und die ich auch gerne hätte. Aber wenn ich eine prominente Frau nennen müsste, dann wäre es die Journalistin Arianna Huffington. Und die Modeschöpferin Diane von Fürstenberg. Was sie geleistet haben, was sie aufgebaut haben, das ist großartig. Ich habe schon immer Frauen bewundert, die beruflich erfolgreich sind.

Sie betonen in Ihrem Buch ja auch, wie wichtig es ist, nicht immer auf andere zu schauen, sondern zuerst einmal sich selbst zu akzeptieren. Warum fällt es denn insbesondere Frauen oft so schwer zu sagen: Ich bin, wie ich bin, und das ist gut so?

Weil wir Frauen von klein auf kritisiert werden – und weil wir uns auch von klein auf gegenseitig kritisieren und bewerten. Da nehme ich mich gar nicht aus. Seit ich „Pretty Happy“ geschrieben habe, ist mir aufgefallen, was ich falsch mache. Einmal saß ich in einem Restaurant. Da war ein kleines Mädchen, und was sage ich? „Ist die süß!“ In dem Moment, in dem ich das gesagt habe, ist mir der Fehler schon aufgefallen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich jemals über einen kleinen Jungen gesagt habe: „Oh! Ist der aber hübsch!“ Wir assoziieren Mädchen und Frauen immer mit dem Aussehen, und das ist natürlich komplett falsch. Wie oft sagt man zu einer Freundin: „Oh! Das ist aber ein tolles Kleid!“ oder „Hast du abgenommen?“ Wir sollten wirklich anfangen, unser Verhalten zu hinterfragen.

Zwei gut aussehende Frauen, die sagen, dass Schönheit nicht glücklich macht? Vivien Wulf (links) und Nena Schink wissen um den Widerspruch.
Zwei gut aussehende Frauen, die sagen, dass Schönheit nicht glücklich macht? Vivien Wulf (links) und Nena Schink wissen um den Widerspruch. | Bild: Peter Müller

Aber der Druck kommt ja nicht nur von den Frauen selbst, oder?

Nein. Was mich während meiner Recherche fuchsteufelswild gemacht hat, war ein rosa Mülleimer bei Obi, auf dem steht: „Wenn der Prinz nicht kann, muss die Prinzessin eben ran.“ Da greift man sich doch an den Kopf, oder? Mädchen sind von klein auf hübsch und Jungen Helden. Das fängt bei den Schulranzen an und hört bei den Mülleimern auf.

Das verstärkt den Druck, den Frauen sich selber machen?

Ja, natürlich. Ich habe in meiner Jugend darunter gelitten, dass ich – meiner Meinung nach – nicht weiblich genug war. Aber heute weiß ich, das ist für mich die wichtigste Lehre aus „Pretty Happy“, dass man nicht schön sein muss, um geliebt zu werden. Wer denkt, dass Glück durch Schönheit kommt, steht seinem Glück am Ende selbst im Weg. Denn mal ehrlich: In wie vielen Momenten ist man glücklich, weil man toll aussieht? Für mich kann ich sagen: in keinem einzigen.

Sie nennen einige Glücksfaktoren – welche sind am wichtigsten?

Selbstliebe und Freiheit. Dazu gehört es natürlich auch, finanziell unabhängig zu sein und seine eigenen Entscheidungen zu treffen, aber ich glaube, dass es der größte Glücksfaktor ist, wenn man es schafft – und das wird wahrscheinlich keinem jemals ganz gelingen –, sich von den Urteilen anderer freizumachen und von dem Wunsch, ihnen zu gefallen, und einfach man selbst zu sein. Das wirkt übrigens auf viele Menschen attraktiv.

Stimmt die Redewendung „Wahre Schönheit kommt von innen“?

Zu 100 Prozent. Vor dem Buch hätte ich noch gesagt, 30 Prozent außen, 70 Prozent innen. Meine Uroma zum Beispiel hat keinem klassischen Schönheitsideal entsprochen. Aber sie wurde mehr geliebt als die meisten Menschen, die ich kenne, weil sie Leidenschaft in anderen geweckt hat. Ich glaube fest daran, dass es nicht wichtig ist, wie wir aussehen, sondern welches Gefühl wir den Menschen geben. Was nützt es, wenn jemand bildschön ist, aber andere schlecht behandelt? Aber selbst, wenn man weiß, dass wahre Schönheit von innen kommt, ist es ein langer Prozess, bis man dieses Wissen umsetzt und zum Beispiel aufhört, Fotos zu filtern. Das ist mir auch schwergefallen.

Bei Instagram gibt es die meisten Likes für die perfekte Illusion. Was wünschen Sie sich von den Influencern, damit sich da etwas ändert?

Nicht von den Influencern, sondern von den Konsumenten wünsche ich mir, dass sie ihre Likes auch mal für Leistung vergeben. Meine Co-Autorin Vivien Wulf zum Beispiel bekommt für ein Bild, auf dem sie hübsch aussieht, schon mal 2000 Likes. Und nun raten Sie mal, wie viele Likes sie für unser Buch-Cover bekommen hat?

500?

Nicht mal 300. Sie hat mit 27 Jahren ein Buch geschrieben, auf das sie zu Recht stolz ist, und sich monatelang mit diesem Thema auseinandergesetzt. Und dann das! Wie wenig das wertgeschätzt wird, zeigt mir, dass auf dieser Plattform etwas falsch läuft.

Schauspielerin Vivien Wulf (27), gebürtige Karlsruherin, hat das Buch gemeinsam mit Nena Schink geschrieben.
Schauspielerin Vivien Wulf (27), gebürtige Karlsruherin, hat das Buch gemeinsam mit Nena Schink geschrieben. | Bild: Peter Müller

Im Buch gibt es auch ein Interview mit der Influencerin Hanna Weig …

Und von der Idee war ich anfangs überhaupt nicht begeistert. Aber das Interview hat mich wirklich bewegt, weil es zeigt, welchen Druck, sich optisch zu perfektionieren, sie und andere verspüren, damit sie Likes bekommen. Hanna Weig hat uns erzählt, dass Instagram sie dazu animiert hat, sich die Lippen aufspritzen zu lassen.

Andererseits zeigen sich dort doch auch immer mehr Menschen so, wie sie sind.

Das ist das andere Extrem. Warum macht man morgens, wenn man gerade aufgestanden und ungeschminkt ist, solche gestellten Fotos? Wieso mögen wir eigentlich nicht den Durchschnitt? Auf Social Media geht es irgendwie immer um Extreme.

Hat sich seit Ihrem Buch „Unfollow!“, in dem Sie mit Instagram hart ins Gericht gegangen sind, denn irgendetwas zum Positiven verändert?

Ich neige ja zum Größenwahn (lacht), und ich habe wirklich gedacht, damit etwas verändern zu können. Aber nein, im Großen und Ganzen hat sich in den vergangenen zwei Jahren leider nichts verbessert, und das ist schon ein bisschen traurig. Aber vielleicht muss man auch einfach sagen: Instagram ist gerade mal zehn Jahre alt und steckt noch in den Kinderschuhen. Vielleicht wird es ja noch besser. Aber es ist halt auch eine Bilder-Plattform – leider eine, die das Spiel mit der Schönheit auf die Spitze getrieben hat.

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Was würden Sie Frauen raten, die damit aufhören wollen, ihr Glück von ihrem Aussehen abhängig zu machen?

Wenn man auf Instagram unterwegs ist, sollte der erste Schritt sein, die eigenen Fotos nicht mehr zu filtern. Im echten Leben könnte man zum Beispiel versuchen, mal ungeschminkt zu einem Treffen mit Freundinnen zu gehen. Das muss jede Frau für sich selbst entscheiden. Aber ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit dem puren Ich sehr dabei hilft, dass man diese Dissonanz aus dem Kopf bekommt, dass man zu sich selbst findet. Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht hübsch machen darf. Einzigartigkeit darf auch mit Make-up unterstrichen werden. Aber ich glaube, um sich selbst zu akzeptieren, hilft es, mal ein wenig die Maskerade fallen zu lassen. Mir tut es auf jeden Fall gut, Make-up-freie Tage zu haben. Natürlichkeit ist ja nicht hässlicher als eine dick geschminkte Fassade. Es ist sogar meistens hübscher. „Pretty Happy“ hat für mich deshalb auch viel von einer Versöhnung mit dem eigenen Ich.

Vivien Wulf und Sie sind gut aussehende junge Frauen ohne sichtbare Makel. Ihnen fällt es vermutlich leicht zu sagen, dass Perfektion langweilig ist und Glück nichts mit Schönheit zu tun hat.

Uns war klar, dass wir wie Heuchlerinnen wirken werden. (lacht) Da stellen sich zwei schlanke Blondinen hin und sagen: „Schönheit macht nicht glücklich.“ Klar, dass das wie ein Widerspruch wirkt. Aber wir wollten diese Herausforderung annehmen. Ich sage Ihnen auch warum: Als Vivien mir von ihren Selbstzweifeln erzählt hat und davon, dass sie lange geglaubt hat, schön sein zu müssen, um geliebt zu werden, habe ich das nicht ernst genommen. Stattdessen habe ich gesagt: „Du kannst dich doch wirklich nicht beschweren. Was sollen denn andere Mädchen sagen?“

Inzwischen habe ich Studien gelesen, die zeigen, dass gerade Mädchen, die objektiv einem Schönheitsideal entsprechen, mehr Selbstzweifel haben als andere. Dabei sollte es Schönheitsideale meiner Meinung nach gar nicht geben. „Pretty Happy“ ist meine größenwahnsinnige Hoffnung, dass wir akzeptieren, jeder Selbstzweifel haben darf und wir das ernst nehmen, und auch, dass wir Frauen aufhören, uns untereinander zu beurteilen. Wer schön ist, ist nicht nur nicht automatisch glücklich, sondern auch nicht automatisch selbstbewusst und mit sich im Reinen. Man muss aufpassen, sie nicht auf ihr Aussehen zu reduzieren.

Was hat letztendlich den Ausschlag dafür gegeben, dass Sie dieses Buch schreiben wollten?

Als ich mit Freundinnen zusammen saß und jede sich über etwas anderes beschwert hat – hier Pickel, dort drei Kilogramm zu viel – da habe ich mich gefragt, ob eine der Anwesenden überhaupt weiß, wer unser Bundespräsident ist. Die Antwort: Nein. Und dann habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass Schönheit in unserer Gesellschaft vor Inhalt kommt. An dem Tag habe ich Vivien angerufen und ihr gesagt, dass wir dieses Buch zusammen schreiben werden.

In der Danksagung Ihres zweiten Buchs versprechen Sie Ihrem Verlobten, ganz bestimmt kein drittes zu schreiben. Werden Sie sich daran halten?

Ehrlich gesagt habe ich für „Pretty Happy“ ein anderes Buch verschoben. Es sollte „Mehr Geld als Verstand“ heißen und eine gesellschaftliche Analyse meiner Generation sein. Ich bin leider schwer zu ertragen, wenn ich schreibe. (lacht) Deshalb muss ich mal schauen, ob mein Verlobter und ich ein drittes Buch überstehen. Ich glaube, er braucht jetzt mal ein Jahr Pause – und dann kann ich anfangen.