Selbst Friedrich Merz hatte kürzlich eine schwache Minute, in der er Verständnis für Olaf Scholz durchblitzen ließ. Vor einer größeren Herausforderung könne ein Bundeskanzler kaum stehen, abgesehen von einem Krieg auf dem eigenen Territorium, befand der Oppositionsführer. Sein Hinweis zeugt von Fairness.

Der Kanzler steht wegen seiner Ukraine-Politik unter Dauerbeschuss. Viele Vorwürfe erklären sich aus der schwierigen Lage, die ein Krieg unweigerlich mit sich bringt. Nicht alle sind berechtigt – einige aber schon.

Olaf Scholz steht in der Kritik – hat teilweise aber sogar noch Glück in der Bewertung seines Handelns.
Olaf Scholz steht in der Kritik – hat teilweise aber sogar noch Glück in der Bewertung seines Handelns. | Bild: JOHN MACDOUGALL/AFP

Und diese wird sich Scholz weiter anhören müssen, ob er will oder nicht. Seit der Krieg in der Ukraine wütet, wandelt der Kanzler auf dem schmalen Grat zwischen Eingreifen und Heraushalten. Aller Kritik zum Trotz hat er seine Strategie nie nachgebessert, nicht einmal seine Kommunikation darüber.

Scholz bleibt der, der er immer war. Er schweigt, bis er nicht mehr schweigen kann. Dann kündigt er mit markigen Worten Waffenlieferungen an, tritt wenig später auf die Bremse und warnt vor nicht absehbaren Folgen. Nicht einmal der Satz, die Ukraine möge den Krieg gewinnen, kommt dem Kanzler über die Lippen.

Nur Lambrecht ist sperriger

Übertroffen wird er in seiner Zögerlichkeit nur noch von der Parteifreundin im Verteidigungsministerium, Christine Lambrecht, einer Sozialdemokratin, die dem linken Flügel der SPD angehört und sich beim Reizthema Rüstungshilfe entsprechend sperrig anstellt. Dass Scholz unbeirrt an ihr festhält, lässt tief blicken.

Mit dieser Kluft zwischen Reden und Handeln hat Scholz viel Vertrauen verspielt, im Inland wie im Ausland. Die Regierung der Ukraine macht aus ihrer Enttäuschung kein Geheimnis. Es sind aber nicht nur die gänzlich undiplomatischen Nadelstiche des Herrn Melnyk, die das Kabinett in Berlin in Verlegenheit bringen. Die Reaktionen aus Polen und anderen Partnerstaaten im Osten Europas sind kaum gnädiger. Dort wird der Vorwurf immer lauter, Deutschland lasse die Ukraine im Stich.

Ganz korrekt ist das nicht. Soeben hat Scholz angekündigt, der Ukraine eines der modernsten Flugabwehrsysteme zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung liefert zwar weiterhin keine Kampfpanzer nach Kiew, doch es ist nicht so, dass Deutschland keinen Finger rührt, um einem überfallenen Land zur Seite zu stehen.

Scholz‘ Ukraine-Politik: Alles ungern, alles verspätet

Aber Scholz tut eben nur so viel, wie er unbedingt tun muss, um vor den Verbündeten nicht als Drückeberger und unsicherer Kantonist dazustehen. Ukraine-Politik unter diesem Kanzler heißt: Wir liefern, was die anderen liefern – allerdings höchst ungern und immer mit ein paar Wochen Verspätung.

Das Problem ist, dass die Ukraine diese Zeit nicht hat. Jeder Tag des Wartens, Taktierens und Hinauszögerns hilft Putin und schmälert die Chancen der Ukraine, den russischen Angriff zurückzuschlagen. Von den Schlachtfeldern im Osten des Landes erreichen den Kremlchef derzeit ermutigende Nachrichten: Die russischen Invasionstruppen haben dazugelernt. Sie rücken mit einer Feuerwalze vor und erobern Dorf um Dorf, Stadt um Stadt.

Das stärkt im Kreml den Glauben, ein Sieg über die gesamte Ukraine sei weiterhin möglich. Spätestens im Herbst, so heißt es in Moskau, bröckelt der westliche Beistand. Europa wird des Helfens müde, und auch über Öl und Gas wird dann neu verhandelt, weil die kalte Jahreszeit naht.

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Im Moment trägt Deutschland einiges zu diesem Eindruck bei – unglücklicherweise. Weiß der Kanzler, was er in der Ukraine will? Weiß es seine Koalition? Vor fünf Wochen hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition und der Union beschlossen, der Ukraine schwere Waffen zu liefern. Passiert ist seither nicht viel. Vielleicht, weil sich die Bundesregierung nie darauf festgelegt hat, was das Ziel ihrer Ukraine-Politik sein soll.

Putin darf und wird diesen Krieg nicht gewinnen, sagt Scholz nur. Andere werden deutlicher, darunter die grüne Außenministerin Annalena Baerbock und die Riege der FDP-Minister. Sie sagen: Die Ukraine soll diesen Krieg gewinnen. Sie muss es, weil es andernfalls in Europa keinen Frieden geben kann.

Sein Problem reicht tiefer

Was Scholz unter Druck setzt, ist somit nicht nur sein Unvermögen, seine Politik zu vermitteln, so wie dies etwa Robert Habeck beherrscht. Sein Problem reicht tiefer: Der Kanzler zögert, weil seine Partei zögert. Scholz weiß genau: Wagt er sich in diesem Krieg zu weit vor, laufen ihm große Teile in Partei und Wählerschaft davon.

Noch nehmen viele Bundesbürger seine Zögerlichkeit als Besonnenheit wahr, als kluge Zurückhaltung in einer Zeit, da eine Eskalation mit unabsehbaren Folgen droht. Andere sehen darin die Weigerung, die Führungsrolle in Europa anzunehmen, die einem deutschen Kanzler zwangsläufig zufällt. Scholz kann nicht beiden Erwartungen gerecht werden. Er wird sich entscheiden müssen.