In der Ukraine gelten sie als Verräter: Männer, die vor dem Dienst an der Waffe fliehen. Verlässliche Zahlen, wie viele es sind, gibt es nicht. Das bestätigt auch das Bundesinnenministerium.

Schätzungen zufolge müssen es aber Hunderttausende sein, die sich dem Einberufungsbefehl in der Heimat verweigern. Und viele davon halten sich in Deutschland auf.

Tausende Wehrdienstpflichtige sind geflohen

Es geht um Männer, die die Ukraine eigentlich nicht verlassen dürfen, außer aus bestimmten beruflichen oder gesundheitlichen Gründen. Sie sollen kämpfen – für die Freiheit ihres Landes. Denn das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, haben in der Ukraine tatsächlich nur einige religiöse Gruppen.

Trotzdem haben es Tausende geschafft, mithilfe von Schleusern oder über die grüne Grenze zu fliehen, um dem Krieg gegen Russland zu entkommen.

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Weil es so viele von ihnen gibt, hat Kiew immer wieder zur Rückkehr aufgerufen, mal behutsam, dann deutlicher. „Wir sind alle hier“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache am Tag nach dem russischen Überfall. Mittlerweile wird der Ton rauer.

Im Januar erst forderte ein Berater Selenskyjs Gastländer dazu auf, ihre Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge zu streichen, „damit sie heimkehren“. Die Ukraine brauche die Männer, sagte er, als Steuerzahler, und vor allem: in der Verteidigung.

Ukrainischer Armee fehlen die Soldaten

Denn die Armee ächzt unter Personalproblemen, an der Front fehlen Soldaten. Kürzlich hat die Regierung die Regeln für die Mobilisierung noch enger gefasst. Wer den Krieg verweigert, wird härter bestraft, nicht nur mit Geldbußen oder dem Entzug der Fahrerlaubnis.

Rudi Friedrich weiß, wie hart die Folgen für Betroffene sein können. Er arbeitet für den Verein Connection e.V., der sich weltweit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzt, auch für solche aus der Ukraine.

Widersetzen sich Männer ihrer Rekrutierung, veranlasse das Militär eine strafrechtliche Verfolgung, sagt er. Das Strafmaß betrage zwischen einem und fünf Jahren. Manchmal auf Bewährung.

Eine Frau neben einer Gedenkmauer für gefallene ukrainische Soldaten: Die Front der Ukraine kämpft mit Nachschubproblemen.
Eine Frau neben einer Gedenkmauer für gefallene ukrainische Soldaten: Die Front der Ukraine kämpft mit Nachschubproblemen. | Bild: Andrew Kravchenko/dpa

Zum Krieg gezwungen werden können Kriegsdienstverweigerer hierzulande aber nicht. „Die Ukraine kann keine Hoheitsgewalt in Deutschland ausüben“, erläutert Kilian Umbach vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Die Heimat hat hier also keine Handhabe.

Ausgeliefert werden, zumindest in der Theorie, könnten Betroffene aber schon: bei Straftaten etwa, sofern es denn ein Auslieferungsgesuch der Ukraine gebe, meint der Wissenschaftliche Mitarbeiter.

In diesem Fall müssten diese Männer in der Ukraine wegen Kriegsdienstverweigerung strafverfolgt oder verurteilt und aus der Ukraine geflohen sein. Zudem müsste die Auslieferung in der Ukraine anhand der Vorgaben aus der Europäischen Menschenrechtskonvention geprüft werden. Dass Deutschland Männer ausliefert, hält Kilian Umbach allerdings für unwahrscheinlich.

Kiew erhöht den Druck auf Kriegsdienstverweigerer

Unterdessen erhöht Kiew den Druck. Die Ukraine gibt nun auch keine Reisepässe mehr an Männer aus, die sich im Ausland befinden, wenn sie zwischen 18 und 60 Jahre alt sind – im wehrpflichtigen Alter. So steht es in einer Verordnung, die am Mittwoch im amtlichen Onlineportal der Regierung erschienen ist.

Damit wird es für ukrainische Wehrpflichtige schwieriger, sich über eine bestimmte Zeit hinweg in Deutschland aufzuhalten. Chancen auf Asyl dürften die wenigsten haben.

Zwar hat nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf, jeder Ausländer hierzulande das Recht, um Asyl zu bitten. Wer es am Ende bekommt, entscheide sich aber im Einzelfall, heißt es dazu. Die Wehrpflicht und die Flucht davor, so viel ist sicher, stellen grundsätzlich keine Verfolgungsgründe dar.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, versucht, die geflohenen Wehrpflichtigen ins Heimatland zu holen.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, versucht, die geflohenen Wehrpflichtigen ins Heimatland zu holen. | Bild: Evgeniy Maloletka/dpa

Anders ist es bei Soldaten, die etwa an einem völkerrechtswidrigen Angriff beteiligt sind – darunter fallen Deserteure aus der Russischen Föderation, die sich am Angriffskrieg nicht beteiligen wollen. Sie, schreibt das Bamf, dürften regelmäßig internationalen Schutz erhalten. Die Ukraine aber ist das Gegenteil: ein angegriffenes Land.

Doch wegen der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie müssen Ukrainerinnen und Ukrainer aktuell gar kein Asyl beantragen. Sie dürfen in der EU bleiben und auch arbeiten. Dieser Schutzstatus ist verlängert worden und gilt mittlerweile bis März 2025.

Irgendwann könnte der Krieg vorbei sein

Für den Verein Connection e.V. und Rudi Friedrich ist das immer noch zu wenig. Zumal völlig unklar sei, wie danach weiter verfahren werde.

Denn irgendwann könnte auch dieser Krieg vorbei sein. Ukrainer könnten in ihre Heimat zurückkehren wollen, auch diejenigen, die sich der Waffe entzogen haben. Gut möglich, dass Letzteren dann immer noch Strafen wegen Kriegsdienstverweigerung drohen.

Sind geblieben: Ukrainische Soldaten feuern eine Haubitze M101 auf russische Stellungen an der Frontlinie bei Awdijiwka.
Sind geblieben: Ukrainische Soldaten feuern eine Haubitze M101 auf russische Stellungen an der Frontlinie bei Awdijiwka. | Bild: Efrem Lukatsky/dpa

„Das ist nicht hinnehmbar“, sagt Rudi Friedrich. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Sie sollte gemeinsam mit der Europäischen Union gegenüber der Ukraine darauf drängen, dass ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung garantiert wird. Gerade auch im Krieg.