Die Debatte um eine härtere Asylpolitik kocht seit Tagen hoch. Vor allem die Opposition, aber auch die Kommunen formulieren ständig neue Vorschläge und Forderungen. Der Konstanzer Jurist und Asylrechtsexperte Daniel Thym ordnet sie ein, hier seine Einschätzungen im Wortlaut.
Könnte Deutschland Asylsuchende an der Grenze zurückweisen?
An sich geht das nicht. Die europäischen Regeln sehen vor, dass jeder an der Grenze Asyl beantragen kann und dann muss Deutschland ein Verfahren eröffnen. Dessen Ergebnis wird häufig sein, dass ein anderes Land, etwa Griechenland, Bulgarien oder Italien zuständig ist. Allerdings muss das erst geprüft werden. Danach hat Deutschland sechs Monate Zeit, die Menschen zurückzuüberstellen.
Zurzeit prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zuständigkeit, oft dauert das Monate. Ließe sich schon an der Grenze durch die Bundespolizei prüfen, ob Deutschland überhaupt zuständig ist?
Ja, aber auch dann muss das genannte Verfahren durchlaufen werden. Das könnte theoretisch schneller, innerhalb weniger Tage gehen. Dann hat die betroffene Person nach den europäischen Regeln aber immer noch eine Woche Zeit zu klagen. Erst wenn ein Gericht grünes Licht gegeben hat, darf Deutschland abschieben – dann allerdings meistens nicht in die Schweiz oder Österreich, sondern in die Ersteinreiseländer wie Italien und Bulgarien.
Wenn die Überstellung innerhalb von sechs Monaten scheitert – so steht es in der Dublin-Verordnung schwarz auf weiß – muss Deutschland ein reguläres Asylverfahren durchführen. Diese Regeln möchte Friedrich Merz nun aushebeln.
Dafür hat er die Idee einer Notlage ins Spiel gebracht. Kann das funktionieren?
Theoretisch geht das. Auch die Regierung unter Angela Merkel hatte das überlegt, dann aber nicht gemacht. Gerichte müssten entscheiden, ob tatsächlich eine Notlage vorliegt und die deutschen Zurückweisungen verhältnismäßig sind. Was die Gerichte am Ende dazu sagen, lässt sich schwer prognostizieren.
Könnte die Aufnahme von Asylsuchenden komplett gestoppt werden, wie das etwa Markus Söder fordert?
Auf direktem Wege geht das nicht, weder nach Europarecht noch nach dem Grundgesetz. Es gäbe allerdings indirekte Wege, die im Ergebnis dazu führen könnten, dass deutlich weniger Menschen kommen. Zurückweisung wäre ein solches Instrument.
Kooperationen mit Ländern wie der Türkei und Tunesien wären ein anderes Instrument. Italien zum Beispiel hat es durch die Kooperation mit Tunesien geschafft, die Ankunftszahlen binnen eines Jahres um mehr als 50 Prozent zu senken. Das ist natürlich kein vollständiger Stopp, aber ein Rückgang.
Der bayerische Ministerpräsident möchte auch das individuelle Asylrecht abschaffen – wäre das denkbar?
Theoretisch ist viel möglich. Allerdings müssten das Grundgesetz, europäische Gesetze und mehrere internationale Verträge geändert werden. Das dauert lange und könnte auch ganz scheitern, weil sehr viele Staaten und nationale Parlamente zustimmen müssten. Kurzfristig böte das auf keinen Fall Abhilfe.
Dafür sollen Kontingente zugelassen werden. Was heißt das?
Kontingente halte ich für eine gute Idee, weil darüber auch Menschen einreisen könnten, die die irreguläre Einreise nicht schaffen. Bisher ist es ja so, dass vor allem junge Männer herkommen, weil die das Geld und den Mut und auch das Durchsetzungsvermögen haben, eine solche Reise zu wagen.
Mit Kontingenten würden auch andere Gruppen erreicht. Damit ist zugleich gesagt, dass nicht notwendigerweise dieselben Personen Schutz hier bekommen. Kontingente sind ja auch zahlenmäßig begrenzt. Es gibt auf der Welt – ob es uns gefällt oder nicht – sehr, sehr viel Not und Leid. Wenn wir jedes Jahr zum Beispiel 80.000 Flüchtlinge legal einreisen lassen, sind das andere Flüchtlinge als die, die wir an den deutschen Grenzen abweisen.
Viele Flüchtlinge, vor allem aus Syrien und Afghanistan, bekommen in Deutschland subsidiären Schutz. Der greift, wenn zum Beispiel keine politische Verfolgung im Heimatland vorliegt, dafür aber lebensgefährliche Umstände, etwa ein Bürgerkrieg. Die CDU fordert, diese Schutzform abzuschaffen.
Es ist auf jeden Fall möglich, die Vergabe dieser Schutzform strenger zu handhaben. Da sind die deutschen Gerichte und Behörden in den letzten Jahren sehr großzügig gewesen. So haben zum Beispiel fast alle Afghanen Schutz bekommen – auch diejenigen, die nicht von den Taliban verfolgt werden, weil die Lebensbedingungen in Afghanistan so schlecht sind.
Außerdem soll Menschen das Aufenthaltsrecht entzogen werden, die ihre Heimat besucht haben. Was ist davon zu halten?
Hier sagen die Gerichte: Es kommt darauf an. Es ist ja politisch und moralisch nachvollziehbar, wenn jemand heimlich über Libanon für ein paar Tage nach Syrien reist, um dort die alte Großmutter noch mal zu besuchen. Das ist etwas anderes, als wenn jemand andauernd für drei Wochen über Damaskus nach Syrien reist, ganz offiziell über den Flughafen, und die Regierung das genau mitbekommt – und in Deutschland sagt die Person dann, sie werde von Assad verfolgt. Diese Differenzierung können wir uns schon zumuten.
Aber noch viel wichtiger ist etwas anderes: Wie sollen die Behörden das flächendeckend feststellen? Da gilt es aufzupassen, dass da keine Einfachheit versprochen wird, die sich nicht einlösen lässt.
Friedrich Merz möchte „Dublin wirksamer umsetzen“. Das bedeutet: Die Ersteinreiseländer in der EU stärker in die Pflicht zu nehmen. Wie realistisch ist das?
Das lässt sich in der Gegenwart verbessern, etwa in dem Italien davon überzeugt wird, wieder Rückführungsflüge oder Abschiebungen mit dem Bus zu akzeptieren. Das macht Italien derzeit nicht. Auch da dürfen wir uns aber nichts vormachen: Wenn Deutschland jetzt Asylbewerber in großem Stil nach Italien abschiebt – wie wollen wir eigentlich verhindern, dass die auf irgendwelchen Wegen dann doch wieder zurückkommen?
Selbst wenn wir Zurückweisungen an den Grenzen machen, werden die nie hundertprozentig effektiv sein. Es gibt immer Schleichwege. Ab dem Augenblick, an dem es Zurückweisungen gibt, werden die Menschen schauen, wo sie über Wiesen, Wäldern, oder Brücken in Südbaden einreisen können und sich so Grenzkontrollen entziehen.
Könnten Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die Sozialleistungen gestrichen werden?
Das Bundesverfassungsgericht handhabt das Existenzminimum sehr streng und argumentiert mit der Menschenwürde. Allerdings sehe ich zwei Möglichkeiten: Wenn jemand nicht in seine Heimat ausreist, obwohl das rechtlich und tatsächlich möglich ist, könnte die Leistung auf ein Minimum reduziert werden, auf Brett, Brot und Seife, ein wirkliches physisches Existenzminimum. Ob die Gerichte das mitmachen, ist unklar, versuchen könnte man es.
Die zweite Möglichkeit: Wenn innerhalb der EU in einem benachbarten Land die Sozialleistungen für eine ausreisepflichtige Person konkret erreichbar und ausreichend hoch sind (vielleicht anders als in Griechenland), dann könnten wir zwei Wochen Überbrückungsleistung und das Ticket zahlen – und danach gibt es null. Wir machen das bereits bei EU-Bürgern. Das ist hart, aber das macht Deutschland.
Dürfen abgelehnte Asylbewerber in zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft gesteckt werden?
Das ist ein dickes Brett. Abschiebungshaft darf prinzipiell nur angeordnet werden, wenn die Abschiebung real möglich ist und schon geplant wird. Das ließe sich aber ändern, ein entsprechendes EU-Gesetz wird gerade auch verhandelt. Daneben muss dann wohl auch das Grundgesetz noch geändert werden. Denn ob es der Politik gefällt oder nicht: Die teilweise gar nicht alten Gerichtsurteile dazu schränken sie ein.
Wenn das zu kompliziert ist, gäbe es weichere Varianten: Die Menschen könnten zentral untergebracht werden, irgendwo auf dem Land, wo sie die Unterkunft zwar verlassen dürfen, aber nur wenige Integrationsangebote haben. Das könnte dazu führen, dass weniger Leute ohne Schutzbedarf irregulär kommen und mehr freiwillig ausreisen.
Aber das ist natürlich auch ein Dilemma: Es erleichtert vielleicht die Abschiebung, erschwert aber gleichzeitig die Integration, wenn die Menschen faktisch doch bleiben. Da müssen wir uns ehrlich machen. Es passt nicht zusammen, wenn man viel mehr Abschiebungen fordert und gleichzeitig die Integration dieser Menschen massiv fördert.
Könnten die Grenzkontrollen in Deutschland noch ausgeweitet werden?
Das würde nichts bringen. Über die Benelux-Länder, an deren Grenzen nicht kontrolliert wird, kommen keine Asylsuchenden. Und dauerhafte Grenzkontrollen – das wäre für die Bürgerinnen und Bürger in den Grenzregionen nicht gut, Schengen ist eine tolle Errungenschaft.
Die deutsche Politik sollte sich auch nicht der Illusion hingeben, das Asylproblem ließe sich nachhaltig an der eigenen Grenze lösen. Dafür braucht es europäische Kooperation – vielleicht mit einem anderen System als bislang. Zurückweisungen könnten dafür ein Startschuss sein.