Der Spieler lief ihm nach, als er die Partie nach 83 Minuten abgebrochen hatte. „Hast Du Angst?“ Es war mehr ein Schrei als eine Frage. Metzger erwiderte nichts, lief weiter, wollte in die Kabine, weg vom Platz. Der Spieler, den er noch vor der Attacke, die zum Abbruch führte, mit Gelb-Rot in der 76. Minute vom Platz geschickt hatte, schrie ihm nach: „An Deiner Stelle würde ich auch Angst haben“.
Ein Gespräch drei Tage nach dem Abbruch
Es ist Mittwoch, drei Tage sind vergangen, seit Markus Metzger zum ersten Mal in seiner Karriere als Schiedsrichter ein Spiel abbrechen musste. Wir treffen den 31-Jährigen in seiner Wohnung in Bad Säckingen, sitzen am Tisch, trinken Wasser, während draußen ein Gewitter vorbeizieht. Metzger hat auf einem Zettel einige Sätze aufgeschrieben, hat sich vorbereitet auf das Gespräch, auf die Fragen, wie es einem Schiedsrichter geht, der „körperlich angegangen“ wurde, wie es offiziell heißt.
Für Vergehen sind Einzeltäter verantwortlich
„Mir ist ganz wichtig, dass klar herauskommt, dass das Einzeltäter sind“, sagt Metzger. Die Grundstimmung auf und abseits der Fußballplätze sei gut. Eben bis auf 2,3 Personen, aber die gebe es leider überall. „Und bei denen wird der Ton immer aggressiver.“
Die gerade erst begonnene Fußballsaison am Hochrhein hat schon für mehr Aufregungen gesorgt als manche komplette Spielzeit zuvor. Bei einem Spiel in der Kreisliga A wurde vor zwei Wochen ein Spieler aus Gambia wegen seiner Hautfarbe von einem Zuschauer beleidigt. Kebba Manneh brach in Tränen aus, seine Teamkollegen vom SC Lauchringen verließen daraufhin mit ihm zusammen das Spielfeld in Weizen, sodass der Schiedsrichter die Partie abbrechen musste.
Sieben Tage später, am vergangenen Wochenende, ging zunächst ein Trainer des SV Rheintal in der Kreisliga C auf den Schiedsrichter los, was zu einem Spielabbruch führte.
Am Tag darauf pfiff Markus Metzger an gleicher Stelle, also beim SV Rheintal. „Ich habe mich auf das Spiel gefreut“, erinnert er sich während des Gesprächs am Wohnzimmertisch. Angeblich gab es zunächst auch keinerlei Zeichen, dass diese Partie nicht wie jede andere laufen sollte. Vier gelbe Karten zeigte er vor der Pause – alles im Rahmen des Üblichen. „Aber nach der Pause wurde es immer aggressiver, da konnte ich nichts mehr recht machen.“ Am Ende sollten drei Gelb-Rote Karten für das Heimteam in der Statistik stehen, außerdem der Zusatz, dass Geißlingens Co-Trainer und Rheintals Trainer aus dem Innenraum verwiesen wurden.
Eskalation in der 83. Minute
Es lief die 83. Minute, als die Situation eskalierte. „Statt vom Platz zu gehen, stürmte der Spieler auf mich zu“, erinnert sich Metzger. Er erzählt, dass ihm die Notizkarte aus der Hand geschlagen wurde, dass er mit beiden Händen gegen die Brust gestoßen wurde. Beschimpft wurde. Mit Ausdrücken, die „ich gar nicht wiedergeben will“. Der Spieler, es ist übrigens jener Akteur, der am Vortag als Trainer der Zweiten schon deren Spielabbruch verursacht hatte, wird von seinen Mitspielern zurückgehalten. „Er beruhigte sich dennoch nicht, bedrohte mich weiter, hob die Hand, als ob er zum Schlag ausholen wollte – da brach ich die Partie ab.“
Es folgte jene Szene am Anfang dieses Reports, danach kam es noch zu Beschimpfungen durch zwei, drei Zuschauer. Metzger geht in die Kabine, muss erst mal durchatmen. Die Schuhe wechselt er, seine Schiedsrichter-Sachen lässt er an, geht direkt zum Auto. Immerhin: Es gibt auch Zuspruch, einige Zuschauer bestätigen ihm, dass er alles richtig gemacht habe.
19 Spielabbrüche vergangene Saison
Erst vor wenigen Tagen meldete der Deutsche Fußball-Bund, dass 99,51 Prozent aller Spiele bei den Amateuren komplett störungsfrei verlaufen. Das ergab eine Auswertung der Online-Spielberichte der Schiedsrichter. Nur fünf von 10 000 Spielen wurden demnach wegen Gewalt oder Diskriminierung abgebrochen. Allerdings wären das – bei den geschätzten 80 000 Spielen pro Wochenende – schon 40 an jedem einzelnen Wochenende in der Saison. In Südbaden finden etwa 1000 Spiele pro Wochenende statt, vergangene Saison gab es 19 Spielabbrüche und einige weitere wegen Unwettern.
25 Euro bekommen Schiedsrichter für einen Einsatz in der Kreisliga. Wenig genug – und manchmal reines Schmerzensgeld. Am Hochrhein, aber auch am Bodensee oder im Schwarzwald. Spielabbrüche gab es bereits auch hier, wenngleich im Schwarzwald lediglich wegen einer schweren Verletzung eines Spielers. Entscheidend ist aber die Grauzone. In Steißlingen am Bodensee leitete vor wenigen Tagen beispielsweise ein 15-jähriger Schiedsrichter eine Bezirkspokal-Partie, bei der es ebenfalls hoch her ging. Nach dem Spielende, so berichteten Augenzeugen, zog ein Spieler der Gästemannschaft blank und zeigte dem jungen Referee seine entblößten Genitalien. Bestätigen wollte den Vorfall keiner der beiden Vereine, bis heute hat ihn aber auch keiner abgestritten.
Experten vermuten hohe Dunkelziffer
Thaya Vester vom Institut für Kriminologie der Universität Tübingen sagt dazu: „Das, was in den Statistiken auftaucht, ist die Spitze des Eisbergs. Wir haben einen riesigen Graubereich an Unhöflichkeiten und Beleidigungen.“ Und dabei sei so etwas wie der Schlachtgesang „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“, das ja formal eine Bedrohung sei, heute nicht mal mehr eine Beleidigung, sondern „allgemeines Liedgut“. Ein Verfall der Sitten? „Emotionen gehören dazu“, erklärt Metzger. Manches dürfe man nicht so ernst nehmen und an sich ranlassen. Es dürfe auch laut werden, kritisiert werden. „Fehler macht jeder, auch der Schiedsrichter.“ Aber es gibt Grenzen. Klare Grenzen. Und die dürfen nicht überschritten werden.
Am Hochrhein wurde vor fünf Jahren ein ganzer Spieltag abgesagt
Am Hochrhein wurde vor fünf Jahren ein kompletter Spieltag abgesagt, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Damals war es zuvor zu mehreren Spielabbrüchen gekommen. „Danach wurde es besser“, weiß Ralf Brombacher, Chef der Schiedsrichter im Bezirk Hochrhein. Er nimmt die Vereine in die Pflicht. „Die kennen ihre Leute, die müssen endlich reagieren.“ Deutliche Worte wählt auch Markus Metzger, angesprochen auf die Ursachen der Aggressionen. „Wissen Sie, ich beobachte manchmal, wie Personen zum Sportplatz kommen, Eintritt zahlen, zehn Schorle trinken und sich dann nicht mehr im Griff haben.“
Zu viel Alkohol, zu viele Pöbeleien
Der Verein freut sich, wenn Umsatz an der Theke gemacht wird, aber wenn es dann ausartet, sollte eben eingegriffen werden. Dafür sind übrigens bei jedem Spiel Ordner zuständig, die die Heimmannschaft stellen muss. In Paragraf 36a der Spielordnung heißt es dazu allerdings nur, so Siegbert Lipps von der Geschäftsstelle des Südbadischen Fußballverbands, dass ausreichend Ordner da sein müssen, die eine Armbinde oder Weste zu tragen haben. Kontrolliert wird das freilich kaum.
Nächster Einsatz in Schönau
Markus Metzger hofft auf ein Umdenken, hofft, dass sich Vereine Gedanken machen um „Respekt, um den Umgang miteinander, um Vereinskultur“. Am Sonntag pfeift er wieder. FC Schönau gegen den FC Erzingen in der Bezirksliga.
Zur Person
Markus Metzger ist 31 Jahre alt und stammt aus Öflingen. Sein Heimatverein ist die SpVgg Brennet, bei der er als kleiner Junge mit dem Fußballspielen begann. Schon als Jugendlicher wurde er Schiedsrichter, seine ersten Spiele in den Männerklassen leitete er mit 16 Jahren. Seine höchstklassigsten Einsätze absolvierte er in der Landesliga. Am vergangenen Wochenende musste er zum ersten Mal in seiner Schiedsrichter-Karriere eine Partie abbrechen. Metzger ist verlobt und wohnt in Bad Säckingen. Er arbeitet als Controller in einem Schweizer Industrieunternehmen. Neben seiner Schiedsrichter-Tätigkeit ist der 31-Jährige in seiner Freizeit zudem noch als Tauch- und Skilehrer aktiv. (sal)
Weshalb wird ein Spiel abgebrochen?
- Irreparable Beschädigung eines Tors
- Ausfall des Flutlichts
- Zuschauer auf dem Spielfeld
- Abschuss von Feuerwerkskörpern auf das Spielfeld
- Blenden durch Laserpointer
- Angriff auf Unparteiische, Trainer oder Team-Offizielle
- Rassistische Aggressionen von Zuschauern
- Angriff auf die Unparteiischen durch Spieler
- Schlägerei in einer „Rudel-Bildung“, die für den
Schiedsrichter nicht mehr kontrollierbar ist - Reduzierung einer Mannschaft durch Platzverweise oder
Verletzungen auf weniger als sieben Spieler - Besonders schwere Verletzung eines Spielers
- Ausfall des Schiedsrichters (Verletzung, Erkrankung)
- Todesfall im Umfeld des Spiels
Bevor es aber zu einem Spielabbruch kommt, müssen gemäß den Erläuterungen des Deutschen Fußbal-Bundes „...alle zumutbaren Mittel, das Spiel fortzusetzen, erschöpft sein“. Zu diesen Mitteln gehört es, die Spielführer zur Fairness und zum Respekt gegenüber der gegnerischen Mannschaft aufzufordern. Bei störenden Einflüssen durch die Zuschauer muss der Ordnungsdienst einschreiten. Und bei einer Verschlechterung der Platzverhältnisse oder einem aufziehenden Gewitter muss der Unparteiische die Frist von 30 Minuten beachten, ehe er das Spiel abbricht. Helfen diese Maßnahmen nicht, wird die Partie abgebrochen.