Trendsport mit Suchtpotenzial: Warum immer mehr Hobbysportler in die Kletterhallen strömen
Die Faszination am Klettern und Bouldern wächst: Von Jahr zu Jahr strömen immer mehr Freizeitsportler in die Hallen und die Anzahl der künstlichen Anlagen steigt rasant. Zwei junge Hobbykletterer erklären, warum der Sport trotz Muskelkater und Absturzgefahr echtes Suchtpotenzial hat.
Ob mit oder ohne Seil, in der Halle oder draußen am Fels – das Klettern ist Emanuel und Rebecca Orawetz‘ große Leidenschaft.
| Bild: Svenja Graf
Der Blick geht nach oben, die Muskeln sind angespannt. Die Hände, weiß vom feinen Magnesiapulver, klammern sich um die bunten Kunststoffgriffe, während sich die Füße an der Wand entlangtasten und Halt suchen. „Je anstrengender es ist, desto mehr Spaß macht es“, ruft Rebecca Orawetz und lacht. Hier, in der Boulderhalle „Der Steinbock“ in Konstanz, powert sich die 25-Jährige zwei- bis dreimal pro Woche aus. Meist erklimmt sie die bis zu 4,50 Meter hohen Wände gemeinsam mit ihrem Mann Emanuel.
Rebecca Orawetz klettert seit etwa neun Jahren.
| Bild: Svenja Graf
Für das Paar, das in Lengwil bei Kreuzlingen lebt, ist das Klettern eine Leidenschaft. Emanuel Orawetz bezwingt seit 18 Jahren sowohl Felswände im Freien als auch Kletter- und Boulderrouten in der Halle. Seine Frau hat er mit seiner Begeisterung vor neun Jahren angesteckt.
„Das Tolle an dem Sport ist, dass man immer wieder eigene Grenzen austestet und lernt, sie zu überwinden“, erklärt Rebecca Orawetz. Außerdem sei das Klettern ein echtes Ganzkörpertraining, das gleichzeitig die Konzentration fördere, ergänzt Emanuel. Wohl auch deshalb haben sich das Seilklettern und das Bouldern in den vergangenen Jahren zum Trendsport gemausert. „Darüber hinaus ist es eine tolle Gemeinschaft – man kennt sich untereinander, tauscht sich aus und unterstützt sich gegenseitig.“
Durch die stetig wachsende Nachfrage ist die Zahl der Kletterhallen in Deutschland in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Seit 2010 wurden durchschnittlich 24 neue Anlagen pro Jahr in Betrieb genommen, teilt der Deutsche Alpenverein (DAV) mit. Eine davon war im vergangenen Jahr „Der Steinbock“. „Der Andrang war sofort sehr groß“, sagt Betriebsleiter Pirmin Preis. Dabei sei das Publikum bunt gemischt – von jung bis alt, von neugierigen Boulderneuligen bis hin zu erfahrenen Könnern. „Jeder, der auf eine Leiter steigen kann, kann auch das Bouldern problemlos ausprobieren“, sagt Preis.
Pirmin Preis, Betriebsleiter bei „Der Steinbock“
| Bild: Svenja Graf
So sieht es auch Emanuel Orawetz. „Jeder, der Lust aufs Klettern oder Bouldern hat, sollte es einfach mal versuchen“, sagt er. Die nötige Ausrüstung zum Seilklettern – Seile, Gurte, Sicherungsgeräte mit Karabinern und Sicherungsbrillen – kann in den meisten Hallen für zwei bis drei Euro pro Stück ausgeliehen werden. Zum Bouldern reichen Schuhe, die es ebenfalls gegen eine kleine Pfandgebühr gibt.
„Und wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, kommt meistens wieder“, erzählt Rebecca Orawetz. Von dem Muskelkater, der vor allem am Anfang Dauergast war, habe sie sich damals auch nicht abhalten lassen: „Der Sport hat einfach Suchtpotenzial.“
Emanuel und Rebecca Orawetz gehen am liebsten gemeinsam die Wände hoch.
| Bild: Svenja Graf
Anders als der Muskelkater sind Verletzungen bei Kletteranfängern eher selten. „Einsteiger sind besonders vorsichtig, daher passiert kaum etwas“, erklärt Stefan Winter, Ressortleiter Sportentwicklung beim DAV. Es seien eher die leicht Fortgeschrittenen, die sich und das eigene Können überschätzen und dadurch Unfälle verursachen.
Einer von 16.000 verletzt sich
„Statistisch gesehen ist das Unfallrisiko beim Klettern sehr gering“, erklärt Stefan Winter. Im Jahr 2018 kam im Schnitt auf 16 000 Halleneintritte ein Unfall mit Rettungsdiensteinsatz. „Bei Kontaktsportarten wie Fußball oder Handball kommt es viel häufiger zu Verletzungen als beim Klettern“, so Winter.
Stefan Winter, Ressortleiter Sportentwicklung beim DAV
| Bild: DAV/dpa
Grundsätzlich sei es wichtig, sich an Regeln zu halten und die Techniken – vor allem das Sichern beim Seilklettern – fehlerfrei zu beherrschen. Dafür werden in den meisten Hallen spezielle Kurse angeboten. Und sollte doch einmal etwas passieren, sei es gut, wenn man richtig abgesichert ist, sagt der DAV-Experte. „Jeder Kletterer sollte eine Haftpflicht- oder im besten Fall sogar eine Sporthaftpflichtversicherung haben.“
Emanuel und Rebecca Orawetz sind bisher unversehrt geblieben. „Wir haben immer gut aufgepasst“, sagt die 25-Jährige und macht sich wieder auf den Weg in ihre Lieblingsrichtung – nach oben.
Und so sieht es aus, wenn die richtigen Profis die Wände erklimmen:
Aries Susanti Rahayu ist eine indonesische Sportkletterin und wird nicht umsonst "Spiderwoman" genannt. Im vergangenen Jahr stellte sie einen neuen Weltrekord an der 15-Meter-Wand auf:
Doch auch Deutschland hat im Klettersport einiges zu bieten. Alexander Megos aus Erlangen gewann im vergangenen Jahr überraschend den Qualifikationswettbewerb im Olympic Combined bei der WM der Sportkletterer und qualifizierte sich für die Olympischen Sommerspiele 2020: