Nein, er will nicht bloß spielen. Das tun Alphatiere für gewöhnlich nicht. Der Auftaktsieg von Max Verstappen beim Großen Preis von Bahrain ist schnell abgehakt, obwohl es der erste für Red Bull seit zwölf Jahren war. Aber schon würde Mercedes-Pilot George Russell Geld darauf setzen, dass der Niederländer nicht wie im Vorjahr 15, sondern gleich alle 23 WM-Läufe gewinnen wird. Es ist normal zum Beginn einer Mammutsaison, dass die Emotionen bei Siegern und Verlierern überschäumen, die Nacht am arabischen Golf verstärkt die Gefühle noch. Es gab hinterher nur ein paar Anstandsfragen an den Titelverteidiger, der mit angezogener Handbremse zum Triumph fahren konnte. Ausführlicher und unterhaltsamer war die Fragerunde an den Senior der Formel 1, Fernando Alonso.
Mit seinem dritten Platz, dem 99. Podiumsbesuch seiner Karriere, ist er schon jetzt der Mann der Rennsaison. Mercedes, Ferrari, Renault – alle hat er sie schon durch gehabt bei seinem verzweifelten Versuch, doch noch zum dritten Mal Weltmeister zu werden – und nun soll das ausgerechnet in einem Aston Martin klappen?
Sebastian Vettel, sein Vorgänger im britischen Team, muss sich grün ärgern. Plötzlich ist der als Milliardärs-Spielzeug verhöhnte Rennstall die zweite Kraft im Feld, zumindest fürs Erste. Natürlich kommen da noch andere Strecken, aber es wird immer der gleiche Alonso sein. Mercedes und Ferrari, den großen Verlierern des Wüstenabends, bleibt nur das Konzernjammern. Aber Alonso scheint das richtige Näschen gehabt zu haben: „Vor acht Monaten war mein Wechsel nur ein Glücksspiel gewesen.“ Eines, das sich jetzt ausgezahlt hat.
Komplett neues Auto für Aston Martin
Zum 99. Mal in seiner Karriere steht der Kämpfer aus Asturien damit auf dem Podium, erlebt mit 41 Jahren seinen x-ten Frühling und findet selbst, dass sich das „unwirklich“ anfühle. Vor allem hat der Grand-Prix-Sport einen Geheimfavoriten, das tut gut gegen die sich einstellende Monotonie ganz vorn.
Natürlich ist Bahrain nicht der Archetyp aller Rennstrecken, aber die Basis des Rennwagens, an dem 95 Prozent aller Teile neu sind, stimmt schon – obwohl Alonso ankündigt, dass bis zum Sommer noch mehr Weiterentwicklungen aus dem Windkanal kommen. Der Lauf, den Aston Martin plötzlich hat, ist nicht zu unterschätzen. Alonso war schon immer auch ein Magier der Gefühle.
Zur Erinnerung: die beiden Weltmeistertitel, die dem Mann aus Asturien bis heute zu wenig sind, resultieren aus einer Zeit, als er gegen Michael Schumacher im Ferrari kämpfte. Danach fehlte ihm ein gutes Händchen bei der Wahl seines Arbeitsplatzes.
Als Sebastian Vettel im letzten Sommer nach zwei Jahren eher erfolgloser Aufbauarbeit seinen Abschied von Aston Martin bekanntgab, traf sich Alonso wenig später heimlich mit dem kanadischen Multimilliardär Lawrence Stroll, der das ursprünglich zum Wohl seines Sohnes Lance gekaufte Team zu einem „Sechs-Sterne-Rennstall“ ausbauen will. Aber wer wechselt schon ohne Not zu einem Team, das bloß Siebter der Konstrukteurswertung war?
Das Team hinter dem Team
Gesetzt hatte der Rennfahrer bei seinem Poker vor allem auf die Personalien, die vor seinem Wechsel beschlossen worden waren und die entscheidenden Positionen hinter der Boxenmauer betreffen. Aston Martin hatte mit Dan Fallows einen Cheftechniker bei Red Bull abgeworben, der vom genialen Adrian Newey ausgebildet worden war. Von Mercedes kam der Aerodynamiker Eric Blandin, und beide brachten noch weitere Vertraute mit. So setzt sich das Auto aus Ansätzen der beiden führenden Teams des letzten Jahrzehnts zusammen. Als Beweis für die gute Arbeit dient auch der sechste Platz von Lance Stroll, der nach einem Fahrradunfall frisch am Handgelenk operiert worden war und mit gebrochenem Zeh fuhr.
Was auch peinlich ist für das Mercedes-Werksteam. Im grünen Auto steckt der gleiche Antriebsstrang wie bei ehemaligen Abonnementssieger, die Heckpartie ist praktisch deckungsgleich, Aston Martin testet im gleichen Windkanal – und der erfolgsverwöhnte Mercedes-Teamchef Toto Wolff muss eingestehen: „Wir haben die Seuche, und Aston ist eigentlich die zweite Kraft. Ich muss zugeben, dass sie einen außergewöhnlichen Job gemacht haben.“
Fernando Alonso sieht als treibende Kraft vor allem den Ehrgeiz von Rennstallboss Lawrence Stroll – da zollt ein Alphatier dem anderen Respekt. Seine eigene Aggressivität im Cockpit muss sich dahinter gewiss nicht verstecken. Der 41 Jahre alte Spanier ist in seinem 357. Rennen auf dem Gipfel seiner Leistungsfähigkeit.