Wahrscheinlich hat Alexander Wehrle gut daran getan, die Erwartungen für die neue Saison gleich zu dämpfen. Nur wenige Tage, nachdem Mitte Mai die Vizemeisterschaft des VfB Stuttgart in der Fußball-Bundesliga und damit auch die Champions-League-Teilnahme feststand, sprach der Vorstandsvorsitzende davon, möglichst frühzeitig die Marke von 40 Punkten erreichen zu wollen. Es ist die Zahl, mit der man normalerweise den Klassenverbleib sicher hat. Und dann für den Rest der Runde Ruhe.
Das Problem mit den Ausstiegsklauseln
Vielleicht war Wehrle da schon bewusst, dass der VfB vor einem wilden Transfersommer stand und weiter steht – mit der Angst der Fans vor einem Ausverkauf der Topspieler. Denn für die Konkurrenz ist die Aussicht, dank Ausstiegsklauseln Profis wie Torjäger Serhou Guirassy, die EM-Teilnehmer Waldemar Anton und Chris Führich oder den schon zum FC Bayern verkauften Verteidiger Hiroki Ito ohne Ablösepoker zu bekommen, sehr verlockend.
So bastelt VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth, der am 1. Juli zum Sportvorstand befördert wird, fleißig am neuen Kader – wissend, das gleichwertiger Ersatz, der auch sofort einschlägt, schwer zu finden sein dürfte. „Wir gehören noch nicht ins große Orchester, auch wenn wir das Niveau der Bundesliga im letzten Jahr maßgeblich mitbestimmen konnten“, sagt Wohlgemuth der Deutschen Presse-Agentur.
Denn beim Personaletat liegen nach den sportlich und wirtschaftlich schwierigen Zeiten des fünfmaligen deutschen Meisters noch immer Welten zu Clubs wie Meister Bayer Leverkusen, Rekordmeister FC Bayern oder Borussia Dortmund. So bekommen Guirassy und Anton in Dortmund, wohin sie sehr wahrscheinlich wechseln werden, sehr viel höhere Gehälter. Und ob der von Brighton & Hove Albion bisher nur ausgeliehene Nationalstürmer Deniz Undav für eine Summe deutlich jenseits der 20 Millionen Euro fest verpflichtet werden kann, scheint völlig offen. Auch wenn es Signale gibt, dass der VfB den 27-Jährigen unbedingt halten will.
Saisonziel Rang neun bis zwölf
Auch Wohlgemuth ist beim Thema Saisonziel daher vorsichtig. „Davon auszugehen, dass wir wieder Zweiter werden, wäre bestenfalls naiv“, meint der 45-Jährige. „Das, was wir für das kommende Jahr tabellarisch anstreben, ist eine Platzierung zwischen zwölf und neun.“
Sieben externe Neuzugänge hat Wohlgemuth bisher holen können, darunter die ablösefreien Yannik Keitel vom SC Freiburg (Mittelfeld) und Nick Woltemade von Werder Bremen (Angriff), den von Stade Rennes ausgeliehenen Schweizer Mittelfeld- und Nationalspieler Fabian Rieder oder den dank einer Ausstiegsklausel nur vier Millionen Euro teuren Innenverteidiger Julian Chabot von Bundesliga-Absteiger 1. FC Köln. Große Namen sind noch nicht dabei.
Den „Negativkreislauf“ durchbrechen
Mit immerhin schon mehr als 60 Millionen Euro Ablöse, die der VfB jetzt schon für Ito und wohl auch für Guirassy und Anton insgesamt erhält, kann der Verein planen. Weitere Millionen könnten bei einem Abgang von Führich dazukommen. Wohlgemuth hat damit einen gewissen Spielraum, zumindest Guirassy und Anton anspruchsvoll zu ersetzen. Zudem kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass auch Nationalspieler Maximilian Mittelstädt oder der elegante Sechser Angelo Stiller noch gehen. Beide haben keine Ausstiegsklausel im Vertrag, bei „unmoralischen“ Angeboten könnte der VfB noch schwach werden.
Doch zum einen muss Wohlgemuth einen angeblich hohen Transferüberschuss erwirtschaften, zum anderen will der VfB nicht wieder in die Champions-League-Falle wie nach dem bisher letzten Meistertitel 2007 tappen. Damals lief in der Folge das Gehaltsgefüge aus dem Ruder. „Es geht jetzt darum, klug und rational zu entscheiden“, erklärt Wohlgemuth. „Es geht jetzt darum, strategisch mit unseren Mitteln zu haushalten, wenn wir den Negativkreislauf durchbrechen wollen.“
(dpa)