Sebastian, Sie stehen in Ihrer Disziplin iQFoiling zwar auf dem Surfbrett, sind aber Teil der Segelwettkämpfe, die in Marseille ausgetragen werden. Fühlt sich das noch wie Olympische Spiele in Paris an, oder ist es ein Wettkampf wie jeder andere? Schließlich liegen knapp 800 Kilometer zwischen den Städten.
Es ist schon ein bisschen schade, da wir Windsurfer nicht einmal direkt in der Marina von Marseille sind, sondern etwas außerhalb mit den Kite-Surfern. Ich weiß zwar nicht, wie es anders ist, aber es wird sich schon irgendwie nach Olympia anfühlen. Es wird auf jeden Fall der größte Wettkampf in meinem Leben.
Wären Sie lieber – wie die Surfer – in Tahiti angetreten? Nach dem Motto: Wenn schon nicht in Paris, dann wenigstens in der Südsee.
Nein, ich finde das schon schön. Von hier vom Bodensee ist es ja nicht wirklich weit. Meine Freunde werden vor Ort sein, meine Familie und meine Freundin. Es ist schon gut, dass sie dafür nicht zwölf Stunden im Flieger sitzen müssen. Ich kenne auch das Revier gut, war zuletzt über hundert Tage vor Marseille im Wasser und konnte dort super trainieren.
Fahren Sie nach Ihren Rennen nach Paris, um im Olympischen Dorf zu wohnen?
Mit ein bisschen mehr Abstand zu den Spielen war ich mir sicher: Da organisierst du was und schaust die eine oder andere Sache an, aber je näher die Wettkämpfe kommen, desto mehr ist der Fokus nur auf dem 2. August. Das ist der Tag des Finallaufs. Alles andere ist noch eine freie Seite, die ich nicht beschrieben habe. Wenn ich Zeit habe, werde ich bestimmt nach Paris fahren. Andererseits will ich auch für das Team da sein. Die Segel-Wettbewerbe gehen noch länger, und wenn ich da unterstützen kann, mache ich das natürlich. Die Abschlussfeier ist aber fest eingeplant.
Wie groß ist die Vorfreude auf Ihre Olympische Premiere?
Es ist ein Traum, das größte Event, das es gibt. Gerade für so Nischensportarten wie Windsurfen. Rein sportlich gesehen ist es schwieriger, bei einer Weltmeisterschaft 160 Konkurrenten zu schlagen als 24 bei den Olympischen Spielen, aber dazu kommt der ganze Trubel drumherum. Der Druck, die Aufmerksamkeit, die Helikopter im Himmel. Das macht es auf eine andere Art schwierig.
Wie würden Sie Ihre Sportart einem Laien erklären?
Wir fahren alle zusammen los und wer als Erster im Ziel ist, hat gewonnen. Bei ganz wenig Wind fahren wir einen Slalom, der nur etwa sechs Minuten dauert. Bei normalen Winden fahren wir einen Kurs ab, wie die anderen Segel-Disziplinen auch. Eine Besonderheit ist der Marathon, ein langes Kursrennen. Ein normales Rennen dauert etwa 14 Minuten, der Marathon ist auf eine bis anderthalb Stunden angesetzt. Das sind zwischen 45 und 50 Kilometer. Foil-Surfen ist ein Natursport, wir sind vom Wind abhängig und entscheiden das jeden Tag aufs Neue.

Es trifft sich gut, dass Ihre Disziplin in diesem Jahr erstmals olympisch ist?
Zum Glück, denn für die Disziplinen zuvor hatte ich nicht den Körper, da muss man sehr, sehr leicht sein.
Wie sind die Surf-Bedingungen in Los Angeles, wo 2028 die Sommerspiele stattfinden werden?
Ich habe mir schon eine Cappy gekauft mit einem LA-Aufdruck. (lacht) Körperlich wäre es sicherlich möglich, auch da zu starten. Ich fühle mich so fit wie noch nie. Mein Fitnesstrainer hat mich super auf Paris vorbereitet. Die Frage ist, ob ich es will, ob ich mein Leben noch mal komplett dem Sport unterordnen möchte. Mein Coach hat mir von Sportlern erzählt, die nach den Spielen aufhören wollten, und dann war es bei Olympia so besonders, dass sie das unbedingt noch mal erleben wollten. Ich mache jetzt erstmal Paris, dann mache ich Urlaub – und dann denke ich über alles andere nach.
Das heißt: Sie sind im Moment Profisurfer. Kann man von Ihrem Sport leben?
Mit Sporthilfe, Sponsoren und dem Verein kommt man über die Runden, aber nebenher zu arbeiten, ist für mich nicht möglich. Der Trainingsaufwand, den wir betreiben mit den vielen Reisen, ist viel zu groß. Ich bin schonmal froh, dass ich meinen Bachelor absolviert habe.
Könnten Sie nicht auch ohne zu reisen auf dem Bodensee trainieren?
Wenn der Wind gut ist, ist es das schönste Revier für mich überhaupt. Gelernt habe ich das Surfen in Radolfzell, auf dem Untersee, aber am schönsten finde ich die Kulisse und den Wind auf dem Überlinger See. Ich bin auch schon einmal den kompletten See abgefahren – von Bodman bis kurz vor Lindau und wieder zurück. Das ist leider nur zu selten möglich.
Bei welchen Bedingungen sind Ihre Chancen bei den Olympischen Spielen am größten?
Solange nicht ganz, ganz wenig Wind ist und nicht ganz, ganz viel, geht‘s mir am besten. Mittlere Winde sind mir am liebsten, ob Slalom oder Kursrennen, ist mir eigentlich gleich.
Zählen Sie sich selbst zu den Favoriten? Schließlich haben Sie 2022 die Weltmeisterschaft gewonnen.
Die letzten Trainingsregatten liefen gut. Ich fühle mich stark, fahre aber nicht als Favorit nach Marseille. Sagen wir mal, ich habe eine Außenseiterchance auf eine Medaille. Dass ich das Potenzial habe, um alle zu schlagen, habe ich bei der Weltmeisterschaft gezeigt. Mein Ziel ist es, mit der richtigen Einstellung hereinzugehen und meine Leistung auf den Punkt abzurufen.
Wie sieht Ihr Programm aus?
Wir fahren 20 Qualifikationsrennen und ein Medal Race. Dieser Modus ist eine ganz krasse und einzigartige Geschichte im Segeln, dass sich alles in diesem Medal Race entscheidet. Normalerweise sammelt man Punkte und hat einzelne Streicher. Wir machen das so bis zum letzten Tag, bis die Top Ten das Medal Race fährt. Was vorher war, ist fast ganz egal. Die sieben Starter zwischen Platz vier und zehn stehen im Viertelfinale. Davon kommen zwei weiter, die im Halbfinale auf den Zweit- und Drittplatzierten treffen. Davon kommen zwei ins Finale, für das sich der Beste der Qualifikation direkt qualifiziert. Der ist der Einzige, der eine Medaille sicher hat. Für uns Athleten ist das die absolute Folter, für die Zuschauer ist es superspannend. Am letzten Tag brennt das Wasser, das ist echtes Drama, wenn in sechs Minuten entschieden wird, wer Gold gewinnt.
Worin liegt für Sie generell die Faszination am Foil-Surfen?
Es ist ein wunderbares Gefühl, wie Fliegen. Grandios. Es ist eine wunderschöne Freiheit auf dem Wasser. Das Board haut auch nicht so auf die Wellen wie beim normalen Windsurfen.
Wie schnell sind Sie unterwegs?
Mein Topspeed liegt bei knapp 32 Knoten, etwa 60 Stundenkilometer.
Mit solchen Geschwindigkeiten übers Wasser zu rauschen, führt bestimmt auch zu gefährlichen Situationen.
Ständig. (lacht) Als Jugendlicher bin ich mal unterm Segel gelandet und im Trapez hängengeblieben. Ich hatte schon Wasser eingeatmet und kam nicht mehr weg. Ein anderes Mal habe ich einen Mast auf den Kopf bekommen und hatte eine superkrasse Beule und eine große Wunde an der Oberlippe. Ich habe seitdem 20 Stiche im Gesicht. Ein Oralchirurg, der mit mir auf dem Wasser war, hat mich gesehen und gesagt: Komm, ich flicke dich zusammen. Dann lag ich bei ihm zwei Stunden auf dem Tisch. Ansonsten hatte ich aber nur Schnittwunden, weil die Foils sehr scharf sind.
Sind Sie privat auch eher der abenteuerlustige Typ?
Der Nervenkitzel reizt mich schon. Ich bin gerne draußen. Ich habe eine Zeit in Spanien gelebt, da bin ich im Training viel Mountainbike gefahren. Dabei ist das Risiko für eine Verletzung aber zu groß. Wie auch beim Basketball, was ich früher gespielt habe und sehr liebe. Ich fahre auch gerne Ski. Das wurde mir bis zu den Spielen komplett verboten. Deshalb freue ich mich besonders auf diesen Winter. (lacht)
Was ist für Sie Heimat? Der Hegau, wo Sie aufgewachsen sind, Spanien, wo Sie zwischenzeitlich lebten, oder Hamburg?
Ich bin schon zum zweiten Mal Hamburger Sportler des Jahres geworden, bin gerne dort und schätze die Gesellschaft im Norddeutschen Regattaverein sehr. Aber ich bin so viel unterwegs. Wie ein Heimatloser. Mit Heimat verbinde ich Aach. Die Leute machen für mich die Heimat. Meine Familie und meine Freunde. Ich bin sehr, sehr gerne im Hegau, aber viel zu selten. Mal schauen, was die Zukunft so bringt.