Der Konzernbetriebsrat des Autozulieferers Marquardt aus Rietheim-Weilheim geht auf Distanz zu seinem Arbeitgeber. Offenbar ist das Verhältnis zwischen der Geschäftsführung und dem zentralen Mitbestimmungsgremium des 10 000-Mitarbeiter-Unternehmens schon seit Herbst angespannt. Es geht um die Umsetzung von flexiblen Arbeitszeitregeln, die seit Jahresbeginn in der Metall- und Elektrobranche greifen. Der Betriebsrat fühlt sich bei wichtigen Verhandlungen ausgeschlossen.
"Die Mitarbeiter sind vom Verhalten der Unternehmensleitung sehr enttäuscht", sagte der Vorsitzende des Konzernbetriebsrates, Antonio Piovano, unserer Zeitung. Man sei immer an einer guten Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung interessiert gewesen. Diese stehe jetzt aber auf dem Spiel.
Metaller können seit Januar bis zu acht Freitage pro Jahr zusätzlich nehmen
Um was geht es? Seit Januar haben Metaller die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit um bis zu acht Tage pro Jahr zu verkürzen, wenn sie im Gegenzug auf ein tarifliches Zusatzentgelt von 27,5 Prozent eines Brutto-Monatsgehalts verzichten. Voraussetzung ist, dass es möglich ist, die fehlende Arbeitszeit auszugleichen, etwa indem andere mehr arbeiten, oder neue Arbeitskräfte befristet eingestellt werden. Dafür den Weg zu bereiten, ist Sache der Firma und der Mitarbeitervertretung.
ZF Friedrichshafen, MTU und Aesculap geben Mitarbeitern Freiräume
Viele Unternehmen haben sich mit ihren Beschäftigten auch schon auf entsprechende Maßnahmen geeinigt. Firmen wie ZF Friedrichshafen, Rolls Royce Power Systems (RRPS) oder das Medizintechnikunternehmen Aesculap aus Tuttlingen haben beispielsweise Arbeitszeitkonten und Schichtmodelle an die neuen Anforderungen angepasst. Um den Wegfall von Arbeit zu kompensieren, erhalten Mitarbeiter, die gerne länger zulangen wollen, leichter als bislang 40-Stunden Verträge. Bei Aesculap ist es auf diese Weise gelungen, alle Anträge auf kürzere Arbeitszeiten zu bewilligen.
Anders beim Familienunternehmen Marquardt. Hier haben die Mitarbeiter nicht die Möglichkeit auf acht zusätzliche freie Tage, obwohl allein am Stammsitz 330 Personen Interesse zeigten. Gerade ältere Schichtmitarbeiter, die seit Jahrzehnten am Band stehen, hätten das sehr begrüßt, sagte Betriebsratschef Antonio Piovano unserer Zeitung. Das Unternehmen begründet seine Haltung mit Vollauslastung. Man brauche jede Stelle, teilte der Zulieferer dem SUDKURIER mit. Außerdem seien "trotz mehrerer konstruktiver Gespräche mit dem Betriebsrat keine geeigneten Kompensationsmaßnahmen" für die Fehlzeiten identifiziert worden.
Marquardt-Konzernbetriebsrat vermutet Verzögerungstaktik des Unternehmens
Die Beschäftigtenvertreter bringt das in Rage. Mit der aktuellen Regelung sei die Mitarbeitervertretung weder "einverstanden" noch habe sie sie "mitentschieden", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Konzernbetriebsrats. Richtig sei, dass im Ingenieursbereich Stellen unbesetzt seien, sagte Piovano. In Abteilungen wie der Fertigung, im Einkauf oder in der Qualitätssicherung gebe es aber "sehr wohl noch Luft". Des weiteren seien die Gespräche zu dem Thema mit den Marquardt-Personalverantwortlichen "in keinster Weise konstruktiv" gewesen. Vielmehr seien Unterredungen "immer wieder hinausgezögert", worden heißt es in der Stellungnahme. Obwohl der Betriebsrat ab Oktober 2018 mit Nachdruck auf Gespräche gedrungen habe, sei ein erster Gesprächstermin erst am 17. Dezember zustande gekommen. Nach einem weiteren Austausch "zwischen Tür und Angel" sei kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember, die Absage erfolgt. Der Konzernbetriebsrat vermutet hinter dem Vorgehen System. Denn mit Jahresende 2018 ist auch die Frist verstrichen, noch einmal nachzuverhandeln.
Nachfragen dieser Zeitung bezüglich der oben geschilderten Sachverhalte ließ Marquardt unbeantwortet. Man ziehe es vor, diese Themen "direkt mit Vertretern des Betriebsrates zu besprechen". Man könne aber verstehen, dass sich einige Mitarbeiter eine andere Entscheidung gewünscht hätten.
Mitarbeiter verzichteten bereits im Jahr 2015
Dem Konzernbetriebsrat reicht das nicht. Die Beschäftigten seien dem Unternehmen bislang immer beigesprungen, hieß es. Um Verlagerungen zu verhindern, erklärte sich die Belegschaft 2015 zu einer Aufstockung der Wochenarbeitszeit um drei Stunden ohne Gehaltsausgleich sowie verzögerten Tariferhöhungen bereit – im Gegenzug zum Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und eine Millioneninvestition am Stammsitz. Wünsche der Unternehmensführung – etwa die Ausweitungen von Schichten oder von Wochenendarbeitszeiten – habe man immer mitgetragen. "Das Verhältnis war jahrelang gut", sagt Piovano. Den aktuellen Bissen will der Betriebsrat aber nicht hinunterschlucken. Wenn sich Marquardt in der Frage der freien Tage nicht bewege, habe man entsprechende Hebel, sagte er. "Dann raucht es im Karton."