Warum nicht einmal mit dem Blick in den Rückspiegel beginnen? Herbst 2017, Frankfurt, Automesse IAA. Es ist die erste PKW-Neuheitenschau der deutschen Automobilindustrie nach Bekanntwerden des Diesel-Abgas-Skandals im Jahr 2015, des wohl größten Täuschungsmanövers der deutschen Industriegeschichte. Zwei Jahre haben die Autobosse Zeit gehabt, sich neu zu sortieren und den Weg ihrer Konzerne in die automobile Zukunft zu skizzieren. Beobachter werden später sagen, die Messe im Herbst 2017 sei die größte Ankündigungsveranstaltung der letzten Jahre gewesen.

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Tesla prescht voran

Elektro-Strategien werden an bunte Leinwände geworfen, Konzeptfahrzeuge und futuristische Studien vorgestellt. Einzig: Ein reinrassiges Elektroauto ohne Kinderkrankheiten können weder Volkswagen, Daimler, BMW noch Opel präsentieren. Diese Ehre gebührt dem kalifornischen Automobil-Neuling Tesla, der die Branchengrößen mit Verachtung straft und es vorzieht, der Messe fernzubleiben. Gleichzeitig entwickelt sich China zum Testlabor der Elektromobilität. In schneller Taktung stellen dort Autobauer Elektro-Boliden vor. Die deutschen Hersteller, so scheint es, versuchen sich stattdessen mit Verweis auf die beste Lösung, die dann eben etwas später kommt, in die Zukunft zu retten.

Und heute? Zwei Jahre später? „Die deutschen Automobilhersteller sind dabei zu liefern“, sagt Peter Fuß, Automobilexperte bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY). Im Vergleich zu ausländischen Konkurrenten seien die hiesigen Konzerne sehr gut aufgestellt, beim Thema E-Mobilität, aber auch bei der zweiten wegweisenden Technologie, dem autonomen Fahren.

Daniel Kirchert, Chef des chinesischen Herstellers Byton, steht vor dem E-Auto M-Byte.
Daniel Kirchert, Chef des chinesischen Herstellers Byton, steht vor dem E-Auto M-Byte. | Bild: Sean Gallup /dpa

Tatsächlich haben VW, Daimler, BMW und Co. Boden gut gemacht. Allerdings auch, weil die Konkurrenz schwächelt. Insbesondere die einst gefeierten chinesischen Elektro-Start-ups zerlegen sich gerade selbst. Sie seien „zum Teil stark unter Druck geraten“, sagt etwa Lutz Berners, von der auf China spezialisierten Unternehmensberatung Berners Consulting. Klingende Namen wie Nio, Byton oder Xpeng leiden unter dem Abgang wichtiger Manager, knapperen Budgets oder technischen Schwierigkeiten ihrer futuristischen Stromer. Etablierte Autobauer wie BYD, BAIC oder die Volvo-Mutter Geely hätten derzeit die Nase vorn, sagt Berners. Und Tesla muss sich des Eindrucks erwehren, ein Übernahmekandidat zu sein. Wolfgang Porsche, Vertreter der Volkswagen-Eigner-Familien, schloss jüngst am Rande der IAA einen Einstieg bei den Kaliforniern nicht aus. „Man muss immer alles überlegen dürfen“, sagte er.

Der Hongqi S9 wird als Concept-Car des chinesischen Herstellers auf der IAA präsentiert. Der Hybrid soll bis zu 245 km/h schnell sein. ...
Der Hongqi S9 wird als Concept-Car des chinesischen Herstellers auf der IAA präsentiert. Der Hybrid soll bis zu 245 km/h schnell sein. Die Messe wird am Donnerstag (12.09.) offiziell eröffnet. | Bild: Boris Roessler/dpa

Volkswagen setzt auf ID 3

Die deutschen Hersteller fahren dagegen auf der IAA mit echten Neuheiten vor. Allen voran der neue „Volksstromer“. Unter dem Namen ID 3 präsentierte VW den lange erwarteten Hoffnungsträger für das Nach-Diesel-Zeitalter. Für Preise unter 40 000 Euro soll der Flitzer im Frühjahr zu den Händlern rollen. Reichweite: 420 Kilometer. Eine Variante mit kleinerem Akku für gut 30 000 Euro soll später folgen. Das Revolutionäre an dem unspektakulär designten Gefährt ist seine neu entwickelte Plattform. Sie erlaubt es, mit wenig Aufwand neue Modelle nachzuschieben. So will VW bis Mitte des Jahrzehnts den Automarkt mit reinen Stromern fluten. Bis 2028 sollen fast 70 neue E-Modelle in den Markt kommen. 22 Millionen E-Fahrzeuge wolle man bis dahin auf der Straße haben, kündigte Konzern-Chef Herbert Diess am Montagabend im gleißenden Scheinwerferlicht der ID-3-Präsentation an. Ein hoch gestecktes Ziel. Aktuell kommt Volkswagen auf eine Jahresproduktion von knapp 11 Millionen Fahrzeugen – fast alles sind Verbrenner.

Am Stand des Automobilzulieferers Bosch auf der IAA sind Komponenten für Elektrofahrzeuge zu sehen.
Am Stand des Automobilzulieferers Bosch auf der IAA sind Komponenten für Elektrofahrzeuge zu sehen. | Bild: Thomas Frey / dpa

E-Corsa und VW-Up günstig zu haben

Für Absatz sollen auch die Konzernmarken sorgen. Audi führt den Sportwagen e-Tron, Seat den elektrischen Mii und Skoda den Citigo e ins Feld. Die Kleinwagen sollen rund 20 000 Euro kosten. Daneben hagelt es günstige Leasingangebote. Den VW-E-Up drücken die Wolfsburger in diesem Herbst für monatlich 159 Euro in den Markt, wie auf der IAA zu hören ist. Etwas tiefer muss man für den Porsche Taycan, einen Supersportwagen mit mehr als 600 PS und reinem E-Antrieb, in die Tasche greifen. Der Grundpreis für den Tesla-Jäger liegt bei rund 185 000 Euro.

Michael Lohscheller, Geschäftsführer der Opel Automotive GmbH und Vorstandsmitglied der PSA-Gruppe (l) steht mit Jürgen Klopp, ...
Michael Lohscheller, Geschäftsführer der Opel Automotive GmbH und Vorstandsmitglied der PSA-Gruppe (l) steht mit Jürgen Klopp, Cheftrainer des FC Liverpool, vor dem auf der Messe IAA vorgestellten Opel Corsa. | Bild: Thomas Frey /dpa

Aber der Wolfsburger Konzern ist nicht der einzige, der beim Thema E-Mobilität Fahrt aufnimmt. BMW bringt den E-Mini und Opel den e-Corsa. Daimler wartet nach dem dem Elektro-Sportgeländewagen EQC nun mit dem Strom-Van EQV auf.

Jürgen Klopp, Cheftrainer des FC Liverpool steht am Opel-Stand vor dem auf der Messe IAA vorgestellten Opel Corsa.
Jürgen Klopp, Cheftrainer des FC Liverpool steht am Opel-Stand vor dem auf der Messe IAA vorgestellten Opel Corsa. | Bild: Thomas Frey / dpa

Die Konzerne können gar nicht anders, als ihre Modellpalette auf Elektroantriebe zu trimmen. Der Grund liegt weniger im oft postulierten Sinneswandel in Sachen Klimaschutz, sondern in wirtschaftlichen Erwägungen. Ab dem kommenden Jahr gelten neue, strenge CO2- und Verbrauchsziele der EU für die Fahrzeugflotten. Werden sie gerissen, drohen den Autobauern hohe Strafzahlungen, die sich leicht auf dreistellige Millionenbeträge pro Jahr summieren können. Die Hersteller haben also nur die Wahl, die Zahlungen zu akzeptieren und einen damit verbundenen Imageschaden in Kauf zu nehmen oder mit aller Macht zu versuchen, Elektrofahrzeuge an den Kunden zu bringen.

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Das allerdings, könnte schwierig werden. Eine pünktlich zur IAA präsentierte Studie von EY weist dem Verbrauchervertrauen in die neue Antriebsform ein vernichtendes Zeugnis aus. Für zwei Drittel der befragten Autofahrer kommt der Kauf von E-Autos vorerst nicht in Frage. 28 Prozent monieren zu geringe Reichweite, 27 Prozent den hohen Preis. Insbesondere, die Angst, irgendwo auf der Strecke ohne Strom liegen zu bleiben, treibt die Kunden um.

„Wette auf die Zukunft“

Die Hersteller reagieren darauf mit Modellen, die sowohl einen Elektro- als auch einen Verbrennungsmotor unter der Haube haben. Diese Hybrid-Autos, setzten sich „gerade stark durch“, sagt Autoexperte Peter Fuß von EY. Die sogenannte „Reichweitenangst“ sei bei den Kombi-Kutschen kein Thema mehr. Was die reinen E-Autos angehe, bleibe Elektro-Mobilität aber eine „Wette auf die Zukunft“, so Fuß.