Wenn es in Friedrichshafen am Bodensee ein Bonmot gibt, das sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt hat, dann dieses: Was gut ist für ZF, das kann für Friedrichshafen nicht verkehrt sein. Ähnliches ließe sich wohl auch über andere Städte und ihre Unternehmen sagen: Daimler und Sindelfingen zum Beispiel oder Ludwigshafen und BASF.
In Friedrichshafen ist das Verhältnis zwischen Stadt und Unternehmen aber besonders innig. Der Grund: Zusätzlich zum Steueraufkommen und der Kaufkraft, für die ZF und ihre Mitarbeiter sorgen, profitieren die Schwaben auch vom Unternehmen ganz direkt. Über die von der Stadt kontrollierte Zeppelin-Stiftung – ihr gehört der Zulieferriese zu knapp 94 Prozent – fließen jedes Jahr Millionen von Euro in den Säckel der Kommune. Und da es ZF gerade sehr gut geht, könnte am schönen Bodensee eigentlich alles in Butter sein. Ist es aber nicht.
Seit einiger Zeit knirscht es gewaltig zwischen der Stadt und ihrem Konzern. Erst am Mittwoch kündigte der Chef des ZF-Aufsichtsrates, Giorgio Behr, überraschend seinen vorzeitigen Rücktritt aus dem Gremium an und fügte vielsagend hinzu, er wolle „Veränderungen nicht im Wege stehen“. Ein extrem ungewöhnlicher Schritt, hatte der 70-Jährige doch wenige Tage zuvor schon klar gemacht, für eine weitere Amtszeit als Chef-Kontrolleur sowieso nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

Seither wundert sich die Welt, was den als ebenso erfahren wie eigenwillig geltenden Schweizer zu der Aussage bewogen hat. „Das war ein Signal“, sagt ein Unternehmenskenner, der ungenannt bleiben möchte.
OB Brand bestimmt die ZF-Geschicke mit
Der Empfänger der verschlüsselten Nachricht sitzt nur einige Hundert Meter von der ZF-Konzernzentrale entfernt im Friedrichshafener Rathaus. Von seinem Amtszimmer aus bestimmt OB Andreas Brand nicht nur die Geschicke der 60 000-Einwohner-Stadt mit, sondern auch diejenigen von ZF mit rund 140 000 Mitarbeitern weltweit. Seinen Einfluß als Rats-Chef des ZF-Eigners Zeppelin-Stiftung und als Aufsichtsrat bei ZF hat der diplomierte Verwaltungswirt in den letzten Monaten mit Nachdruck geltend gemacht – eines seiner Opfer: Giorgio Behr. Dieser gilt als Vertrauter von ZF-Chef Stefan Sommer und steht ebenso wie Sommer für eine dynamische Unternehmensführung, die unter den kommunalen Eignern der ZF höchst umstritten ist.
Bei der ZF gebe es „zwei Denkweisen“, sagte Behr vor nicht allzu langer Zeit dem „Handelsblatt“. „Einerseits können wir jetzt noch ein paar Jahre so weitermachen und sind dann schuldenfrei“. Andererseits müsse ein Unternehmen, das in dieser sehr „schnell ändernden Welt in vielen Bereichen Nummer eins bleiben will“, auch gezielt „interessante Unternehmen“ zukaufen.

Mit der unscheinbaren Einlassung schoß Behr einen Giftpfeil Richtung Zeppelin-Stiftung und OB Brand ab. Wenige Monate zuvor hatten die nämlich ein zentrales Vorhaben von ZF-Chef Sommer torpediert. Im Jahr 2017 scheiterten insgesamt zwei Versuche des ZF-Managements sich für geschätzt sechs Milliarden Euro beim belgischen Bremsenspezialisten Wabco einzukaufen. „Mit zitternden Händen“, so wird es kolportiert, habe Sommer auf das Nein der Aufsichtsratsfraktion um OB Brand beim geplanten Wabco-Geschäft reagiert.
Seit damals – so berichten es Unternehmenskenner – sei das ohnehin schon schwierige Verhältnis zwischen dem smarten Manager Sommer und dem Verwaltungsfachmann Brand beschädigt. Als Indiz mag gelten, dass Sommer danach mit ungewöhnlicher Offenheit vom Aufsichtsrat „die Freiheit zu tun, was nötig ist“ forderte und in Richtung Gesellschafter keilte, sie sollten durch ihr Verhalten das Unternehmen „nicht in seiner Entwicklung einschränken“.
Das „Sparbuch der Zeppelin-Stiftung“
Gut möglich, dass er damals auch schon von Plänen des OBs wusste, die Ausschüttungen der ZF an die Stadt deutlich zu erhöhen. Statt 50 Millionen Euro pro Jahr sollen künftig rund 160 Millionen Euro an die Zeppelin-Stiftung abfließen und dort in einer „Ferdinand gGmbH“ geparkt werden – sozusagen als „Sparbuch der Zeppelin-Stiftung“. Angesichts eines Jahresumsatzes von rund 35 Milliarden Euro ist das für die ZF verkraftbar, allerdings nicht ohne Weiteres. Wie alle Zulieferer steckt auch ZF in der Klemme. Einerseits muss man aus den Gewinnen das klassische Geschäft ausbauen. Andererseits muss das Unternehmen Millionen in neue Geschäftsfelder rund um das automatisierte Fahren, die E-Mobilität sowie digitale Anwendungen investieren. Ein Spagat, den derzeit unter anderem die ZFler durch Lohneinbußen mitfinanzieren. Dass sich der Gesellschafter in so einer Situation einen Nachschlag gewähre, sei schwer zu vermitteln, sagt ein Automobilfachmann. Statt Geld aus dem Unternehmen herauszuziehen, sei es angebracht, dessen Zugang zu frischem Kapital zu verbessern. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer spricht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit eines (Teil-) Börsengangs von ZF an.
Entsprechende Pläne existierten offenbar auch bei dem Duo Sommer und Behr – und trafen auf den entschiedenen Widerstand der kommunalen Eigner. Wieder mal krachte es. Und jüngst wurde auch noch Entwicklungs-Chef Harald Naunheimer fristlos gekündigt.
Bei all dem ist die Zukunft von Konzern-Chef Sommer unklar. Angesichts der sich ändernden Machtverhältnisse im Aufsichtsrat ist ungewisser denn je, ob die Botschaft, die er vor einigen Tagen seinen Mitarbeitern übermittelte, lange Bestand hat. Er sei überzeugt, sagte er, dass man auch künftig „gemeinsam erfolgreich sein“ werde.
Das ZF-Stiftungsmodell
Die Verflechtungen zwischen der Zeppelin-Stiftung und ZF sind aus historischen Strukturen gewachsen und bergen Konfliktpotenzial.
ZF ist ein Stiftungsunternehmen. Das bedeutet, dass die Aktien des Konzerns nicht wie die von Siemens oder Daimler an der Börse gehandelt werden, sondern im Besitz von zwei Stiftungen sind. Hauptaktionär mit 93,8 Prozent der Aktien ist die Zeppelin-Stiftung. Die restlichen Anteile (6,2 Prozent) besitzt die Dr. Jürgen und Irmgard Ulderup Stiftung. Letztere ist nach der Volkswagen-Stiftung die zweitgrößte Stiftung in Niedersachsen und seit 2003 im Besitz der ZF-Anteile. Die Geschichte der Zeppelin-Stiftung reicht deutlich weiter zurück. Sie wurde schon 1908 gegründet. Ursprünglicher Stiftungszweck war die Förderung des Luftschiffbaus. Heutiger Stiftungszweck ist laut Satzung vor allem die Förderung von Wissenschaft, Forschung, Bildung, Erziehung, Kunst und Kultur in der Region. Unter anderem fördert die Stiftung die Zeppelin-Universität, das Graf-Zeppelin-Haus und das Klinikum Friedrichshafen. Das Stiftungsvermögen stellt somit ein städtisches Sondervermögen dar.
Vorsitzender der Zeppelin-Stiftung, die auch mit 3,75 Prozent an der Zeppelin GmbH und zu 100 Prozent an der gemeinnützigen Vermögenstochter "Zeppelin-Stiftung Ferdinand gGmbH" beteiligt ist, ist Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand. Der Lokalpolitiker sitzt auch als einfaches Mitglied im ZF-Aufsichtsrat. Früher war der OB sogar Vorsitzender des ZF-Gremiums. Kontrolliert wird die Zeppelin-Stiftung vom Gemeinderat.
Dass sich Lokalpolitiker ins operative Geschäft des globalen Unternehmens einmischen, ist ZF-Chef Stefan Sommer ein Dorn im Auge. "In dem Moment, in dem zum Beispiel lokalpolitische Erwägungen aus Friedrichshafen die Unternehmensstrategie bestimmen, wird es für den unternehmerischen Erfolg kritisch", hatte der Unternehmenslenker im Sommer gesagt und damit einen Streit mit der Stiftung provoziert.
OB Brand sieht das naturgemäß anders. „Die wichtigste Aufgabe ist es, das Vermögen der Stiftung zu sichern und zu erhalten“, erklärte er. Deshalb fordert er eine hohe Dividende.
(von Thomas Domjahn)