Der Veruntreuungsskandal um den Chef von Nissan, Renault und Mitsubishi zieht weite Kreise. Für die japanische Wirtschaftswelt sind die Verfehlungen von Carlos Ghosn, der Anfang der Woche festnommen wurde, auch eine moralische Offenbarung. Schließlich war er für fast 20 Jahre ein Liebling der japanischen Öffentlichkeit.
Der gebürtige Brasilianer pflegte doch so viele Tugenden, die man in der ostasiatischen Industrienation ganz besonders schätzt. Bekannt war er dafür, morgens als Erster im Büro zu sitzen und abends als Letzter zu gehen. Sein Blick für strategische Allianzen, der Nissan, Renault und Mitsubishi zusammenführte, machten ihn im ersten Halbjahr 2018 zum Chef der größter Autobauerallianz der Welt. Wegen solcher Erfolge interpretierte man sein Beharren auf radikale Rationalisierungen wohlwollend als Sparsamkeit. Carlos Ghosn, „den Kostenkiller“, feierte man als Star der Wirtschaftswelt.
Millionen unterschlagen
Jetzt ist er ein Betrüger hinter Gittern. Über fünf Jahre hat der 64-jährige offenbar ab 2011 etwa 5 Milliarden Yen (38,8 Millionen Euro) an Einnahmen unterschlagen. So soll ihm der Nissan-Konzern, den Ghosn um die Jahrtausendwende sanierte, über eine Unternehmenstochter luxuriöse Wohnungen in Rio de Janeiro, Beirut, Paris und Amsterdam im Wert von 2 Milliarden Yen finanziert haben. Bisher ist nichts bewiesen, doch die Empörung ist groß: Der selbsterklärte Sparfuchs steht nun als Gierhals da.
Nun will sich die Nissan-Führung von Ghosn, der nach jahrelanger Arbeit als Vorstandsvorsitzender ab 2017 auf die Position des Verwaltungsratschefs wechselte, schnellstmöglich trennen. Am Donnerstag werde entschieden. In Frankreich hieß es aus Regierungskreisen, Ghosn sei als Chef von Renault, wo der französische Staat 15 Prozent hält, nicht mehr tragbar. Mitsubishi Motors, wo Ghosn seit einer Übernahme vor zwei Jahren ebenfalls in der Chefetage sitzt, will nächste Woche über dessen Verbleib entscheiden.
Fassungslosigkeit und Häme
In Japan, dem Epizentrum des Skandals, geht es dabei um viel mehr als Geld und Aktienpreise. In der Öffentlichkeit machen sich Fassungslosigkeit und Häme breit. Die Tageszeitung Sankei Shimbun titelte: „Der Verlust des Ansehens ist ein schwerer Schlag.“ In sozialen Medien geht ein Bild von Ghosn herum, auf dem er eine Miene wie ein verdutzter Mister Bean zieht. Dass er mit seinem Privatjet direkt im Knast landen würde, habe Ghosn wohl nicht gedacht, lästert ein Kommentar.
Enorme Bezüge
Schließlich galt Ghosns Bezahlung in Japan, wo Konzernbosse normalerweise weniger verdienen als in anderen Industrieländern, schon als maßlos, bevor die Veruntreuung ans Licht trat. Im letzten Geschäftsjahr hat er je 735 Millionen Yen (5,7 Millionen Euro) von Nissan, 227 Millionen Yen (1,76 Millionen Euro) von Mitsubishi und 7,4 Millionen Euro von Renault kassiert. Und das war noch weniger, als Ghosn eigentlich wollte. 2017 nickte die französische Regierung erst ab, als Ghosn sich bereit erklärt hatte, sein Salär um ein Drittel zu reduzieren.
So hat der Skandal um den einstigen Liebling Carlos Ghosn besondere Qualität. Zwar fielen Japans Konzerne in den letzten Jahren immer wieder mit Verfehlungen auf: der Stromanbieter Tepco verheimlichte erst jahrelang die Risiken bei Naturkatastrophen und tat dann nach den den Kernschmelzen in Fukushima im Jahr 2011 immer wieder so, als sei nichts gewesen. Toshiba wurde 2015 bei der Bilanzfälschung erwischt, Autobauer Mitsubishi erlebte 2016 ein Dieselgate. Überall nahmen Konzernbosse irgendwie doch in Ehre ihren Hut, schließlich hatten sie zwar betrogen, dies aber immerhin im Dienst des Konzerns getan.