Vom nationalen Buhmann zur systemrelevanten Wirtschaftsbranche – seit dem Einfall Russlands in die Ukraine und seit Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar im Deutschen Bundestag die sicherheitspolitische Zeitenwende ausgerufen hat, ist die Rüstungsbranche im Land obenauf. Wenige Tage nach der Kanzler-Rede wagte sich der Chef des Düsseldorfer Rheinmetall-Konzerns, Armin Papperger, als Erster aus der Deckung und präsentierte eine 42 Milliarden Euro schwere Liste.
Panzer, Munition, Flugabwehr
Darauf vermerkt sind Waffensysteme – vom Radpanzer bis zu High-Tech-Munition – die das Unternehmen bereitstellen könne. „Wir könnten sofort anfangen zu produzieren“, sagte Papperger und stellte bis zu 3000 neue Arbeitsplätze in Aussicht. Vor zwei Wochen legte er dann nach. Der Ukraine könne man flott gemachte Leopard-1-Panzer liefern, sofern die Bundesregierung zustimme. „In sechs Wochen“ sei man bereit.
Auch wenn andere Hersteller in der rund 136 000 Beschäftigte umfassenden Branche deutlich zurückhaltender sind, ist doch klar: Der Rüstungs- und Verteidigungssektor, der jahrelang im gesellschaftspolitischen Abseits stand, ist wieder im Aufwind.
Auch in Baden-Württemberg ist das spürbar. Das Bundesland gehört neben Teilen Bayerns und Nordrhein-Westfalens sowie den Küstenregionen zu den „zentralen Standorten der deutschen Verteidigungsindustrie“, wie es vom Rüstungs-Branchenverband BDSV heißt. Um Stuttgart und am Bodensee ballen sich die Firmen im Südwesten. Von den 100 Milliarden Euro, die der Bund nun zusätzlich zum regulären Verteidigungshaushalt im Sicherheitsbereich ausgeben will, wollen auch sie ein Stück abhaben. Einige Beispiele:
RRPS/MTU
Man begrüße, dass die deutsche Regierung „massiv in die Bundeswehr investieren will“, heißt es auf Anfrage von Rolls-Royce Power Systems (RRPS) aus Friedrichshafen. Das 9000-Mitarbeiter-Unternehmen ist mit seiner Marke MTU einer der Haus-und-Hof-Lieferanten der Bundeswehr für Großmotoren für Panzer und Kriegsschiffe. Bei Antriebssystemen verfüge man über „Know-how und Lösungen, die nun dringend benötigt werden“, sagt ein RRPS-Sprecher. Rund neun Prozent seines Umsatzes von zuletzt 3,2 Milliarden Euro machte die Tochter des englischen Rolls-Royce-Konzerns mit Produkten für Armeen.

Airbus
Beim Luft- und Raumfahrt-Spezialisten Airbus Defence and Space sagt ein Unternehmenssprecher, man sei bereit, die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen umzusetzen und „den kritischen Bedarf an Verteidigungsfähigkeiten so effektiv wie möglich zu decken“. Knapp 10,2 Milliarden Euro erwirtschaftete die Rüstungssparte des in Toulouse ansässigen Unternehmens im Jahr 2021.
In Immenstaad am Bodensee betreibt Airbus einen seiner wichtigsten Standorte für zivile Erdbeobachtungssatelliten. Rund ein Drittel der 2100 Beschäftigten dort arbeitet aber an Rüstungstechnologien. Dazu zählt etwa FCAS, das als Eurofighter-Nachfolgetechnologie die Luftverteidigung in der EU sicherstellen soll.
Außerdem werden am Bodensee wesentliche Systeme für die neue Eurodrohne entwickelt. Das Projekt, das just an dem Tag final besiegelt wurde, als Russlands Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten, soll die EU bei Luftkampf- und -Aufklärungsfähigkeiten gegenüber den USA und Israel auf Augenhöhe bringen. Vor allem in militärischen Anwendungen wolle man in Immenstaad „signifikant wachsen“, sagte Standort-Leiter Dietmar Pilz dem SÜDKURIER jüngst.

Diehl
Auch bei Diehl in Überlingen geht es aufwärts. Ähnlich wie Airbus in Immenstaad weist auch der Überlinger Diehl-Standort eine Doppelstruktur zwischen zivilen und militärischen Anwendungen auf. Und ähnlich wie beim europäischen Großkonzern war die Diehl-Rüstungssparte in den vergangenen Jahren die Stütze des Geschäfts. 2020 verzeichnete man mit einem Umsatz von gut 570 Millionen Euro den zweithöchsten Wert der Firmengeschichte. Werke und Entwicklungskapazitäten sind laut Geschäftsbericht voll ausgelastet.
Am Bodensee, wo hauptsächlich Raketen aller Art entwickelt werden, sucht man neue Mitarbeiter. Ein Ende der aktuellen „langfristigen Wachstumsphase“ sehe man nicht, sagt ein Sprecher.
Rheinmetall
Auch der Rheinmetall-Konzern, der mit einem Rüstungsumsatz von rund 3,8 Milliarden Euro im Jahr 2021 ein Branchenschwergewicht ist, hat mehrere Ableger in Baden-Württemberg. In Stockach arbeitet die Konzern-Tochter Soldier Electronics an Zielsystemen für Handfeuerwaffen, entwickelt Munition und Helme für Spezialkräfte. In Oberndorf am Neckar werden bei der Firmentochter RWM zusätzlich Maschinenkanonen für Kampfjets und diverse Radpanzer der Bundeswehr gebaut.
Um bis zu zehn Prozent sollen die Umsätze 2022 steigen. Macht die Politik die zusätzlichen Milliarden aus dem Sonderprogramm zügig frei, rechnet das Unternehmen noch einmal mit zehn Prozentpunkten Umsatzwachstum obendrauf, wie die Düsseldorfer Mitte März mitteilten.
Fraglich ist indes, wann aus den angekündigten Extra-Milliarden von Kanzler Scholz echte Aufträge werden und wie viel davon bei hiesigen Anbietern hängen bleibt. In der Branche verweist man darauf, dass das 100-Milliarden-Programm zwar angekündigt, aber noch nicht beschlossen sei.
Außerdem hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zwar angekündigt, bei der Beschaffung Tempo zu machen. Gleichzeitig betonte sie aber, einen Schwerpunkt auf bewährte und am Markt verfügbare Produkte zu legen. Insbesondere Großaufträge dürften daher ins Ausland gehen – schlicht weil hiesige Hersteller keine passenden Produkte im Angebot haben.

Deutsche Firmen können manche Produkte gar nicht mehr liefern
Das betrifft etwa die Beschaffung eines Raketenschutzschildes für die Bundesrepublik, das von den USA oder Israel geordert werden könnte. Heimische Firmen wären allenfalls als Kooperationspartner dabei. Als Blaupause kann der vor Kurzem beschlossene Kauf von F35-Kampfjets beim US-Hersteller Lockheed gelten. Die Jets sollen veraltete Tornado-Maschinen ersetzen und die nukleare Teilhabe Deutschlands sichern. Theoretisch hätte diese Aufgabe auch der Eurofighter wahrnehmen können. An ihm hängen bei Airbus bis zu 30.000 Jobs.
Anderswo ist man gänzlich blank. Die Fähigkeiten zum Bau eines großen Transporthubschraubers für die Bundeswehr seien in Europa schlicht nicht mehr vorhanden, sagt ein Rüstungsmanager. Entsprechende Entwicklungsprojekte anzustoßen, habe die Politik jahrelang versäumt. „Jetzt können nur noch die Amerikaner liefern“, sagt er.