Mal ist es nur ein Campingtisch, mal der Kofferraum eines Autos, mal eine kleine Holzbude am Straßenrand, mal der Laderaum eines LKW. Doch die leuchtend orange Farbe verrät weithin sichtbar: Hier werden Orangen verkauft. „Hingen vor zwei Tagen noch am Baum“, wie die Verkäufer versichern. „Beste Qualität und natürlich unbehandelt.“
Von Erdbeeren, Kirschen, Kartoffeln, Äpfeln, Zwetschgen – kurz von allem, was regional wächst und gerade Saison hat, kennen die Kunden die Direktvermarktung am Straßenrand, auf dem Wochenmarkt, über Verkaufsautomaten oder Hofläden. Sie hat in den vergangenen Jahren überall zugenommen. Weil die Landwirte so oft mehr Geld verdienen können. Und die Kunden die frische Ware schätzen. Kurz vor Weihnachten haben Orangen Hochkonjunktur. Sie kommen vor allem aus Italien.

Da Südfrüchte in Deutschland allerdings nicht heimisch sind, werden sie auch nicht direkt von den heimischen Landwirten verkauft. Sondern von Menschen wie Sören Wild. Bereits in der zweiten Generation beliefert er mit der Firma Wild-Früchte im Landkreis Konstanz private Haushalte und Restaurants mit Zitrusfrüchten und hat zudem einen Verkaufsstand in Rielasingen.
„Mit den Jahren sind immer mehr Kunden dazu gekommen, weil sich einfach herumspricht, wie gut Orangen schmecken, wenn sie nicht vorher monatelang gelagert wurden wie die Supermarktfrüchte“, sagt Wild.
Einmal die Woche kommt ein Sattelzug aus Sizilien, der Wild und andere Verkäufer in Baden-Württemberg mit Orangen beliefert, die zwei Tage zuvor noch am Baum hingen. „Wir bekommen etwa zwei bis drei Tonnen in der Woche“, sagt Wild. Die italienischen Landwirte, von denen die Orangen kommen, kennt er persönlich: „In Sizilien wachsen die Bäume auf fruchtbarer Vulkanerde, das Klima ist ideal, daher kommt der gute Geschmack.“
Auch Adriano Scroppo bezieht seit vielen Jahren Zitrusfrüchte direkt aus Sizilien. „Irgendwann haben mich Arbeitskollegen darauf angesprochen, warum man in Deutschland eigentlich keine guten Orangen kaufen kann“, erzählt der Italiener. Also machte er sich während eines Urlaubs in seiner sizilianischen Heimat auf die Suche nach einem Bauern, der ihm Früchte verkaufen würde.

Anfangs waren es 90 Kisten. Die Nachfrage wuchs stetig und allein durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Scroppo gründete das kleine Familienunternehmen Italgenuss mit Sitz in Emmingen-Liptingen im Landkreis Tuttlingen. Inzwischen verkauft er jährlich rund 5000 Kisten Orangen weiter. Bis 2023 hat er bis in Richtung Konstanz, Sigmaringen und Reutlingen ausgeliefert, inzwischen beschränkt er sich auf den Kreis Tuttlingen. „Es ist einfach zu viel geworden“, sagt Scroppo.
Orangen können eigentlich bis zu 14 Monate lang reif am Baum hängen und nach Bedarf geerntet werden. Herkömmliche Lieferketten aber sehen vor, dass alle Früchte in Kühlhäusern warten, bis die Supermärkte sie abholen. Das kostet viel Energie und damit Geld.

Damit die Orangen in dieser Zeit nicht anfangen zu schimmeln, werden sie mit Fungiziden behandelt. Diese jedoch zerstören die natürliche Wachsschicht der Orangen, weshalb die Früchte dann künstlich nachgewachst werden müssen. Denn das Wachs schützt die Orangen vor dem Austrocknen.
All das bedeutet mehr Aufwand für die Landwirte – und weniger Einkommen. Hinzu kommt, dass Supermärkte in der Regel nur die Orangen abnehmen, die der Norm entsprechen – kleine Früchte oder solche mit Schrunden auf der Schale gehören nicht dazu. Weshalb etwa ein Drittel der Orangenernte oft einfach entsorgt werden muss. Den Landwirten bleiben in diesem Handelssystem etwa 20 Prozent des Verbraucherpreises.
Crowdfarming: Direkt beim Bauern bestellen
„Das kann es nicht sein“, dachten sich im Jahr 2017 auch die Brüder Gabriel und Gonzalo Úrculo, denen in Spanien bei Valencia Orangenplantagen gehören. Ihre Idee: Crowdfarming. Die Kunden in Deutschland oder anderen nicht südeuropäischen Ländern bestellen ihre Orangen oder andere Südfrüchte online direkt beim Bauern. Dieser erntet nach Bestellung, die Ware wird dann direkt zugestellt. Und da sich die Landwirte über die Plattform zusammentun, lässt sich auch die Logistik günstiger und nachhaltiger organisieren.
Bei diesem Geschäftsmodell bleiben den Landwirten Crowdfarming zufolge 50 Prozent des Verbraucherpreises. Etwa 25 Prozent verschlingt der Transport, der Rest geht an Crowdfarming für die Vermittlung von Kunden und die Hilfe bei der Logistik. Die Zahl der mitmachenden Landwirte ist mittlerweile auf über 300 gewachsenen.
„Der Direktvertrieb von Obst und Gemüse über das Internet nimmt zu“, sagt auch Henning Kleinespel vom Deutschen Fruchthandelsverband. Er gibt allerdings zu bedenken, dass die engmaschigen staatlichen Kontrollen und die privatwirtschaftlichen Audits, welche für eine hohe Sicherheit der Lebensmittel sorgen und auch vor Verbrauchertäuschung schützen, nur für die üblichen Vertriebswege über Händler und Einzelhändler gelten. „Dieser Schutz ist bei Straßenverkaufsstellen oder bei einer Postsendung natürlich nicht im gleichen Maße gegeben.“
Zudem stellt Kleinespel die Nachhaltigkeit infrage, wenn insbesondere kleine Liefermengen angefordert werden. Dazu gibt es mehrere Untersuchungen, unter anderem von der spanischen Universität in Salamanca oder dem deutschen Ökoinstitut.
Ihr Ergebnis: Bei den Supermarkt-Orangen wird die CO2-Bilanz vor allem durch die lange Lagerung in den Kühlhäusern negativ belastet. Wenn die Logistik über den Onlinehandel gut organisiert ist, sprich volle LKWs eine möglichst große Menge zu den Kunden bringen, kann das durchaus nachhaltiger sein als der Einkauf im Supermarkt. In beiden Fällen ist der Transport für mehr als die Hälfte der Gesamtemissionen verantwortlich.