Krise – war da was? Beim Blick auf die Entwicklung der Aktienmärkte war in den vergangenen Monaten von wirtschaftlichem Abgesang nichts zu spüren. Nahezu alle Börsenbarometer wiesen Höchststände aus. Sogar in Europa. Während die deutsche Wirtschaft schrumpft, eilt der führende deutsche Aktienindex Dax von Rekord zu Rekord. Wer sich Anfang 2024 in den Leitindex einkaufte, war Ende des Jahres um knapp 20 Prozent reicher geworden.

Die Bewertungen der 40 größten deutschen Unternehmen haben ungeahnte Höhen erreicht. Im Jahr zwei der deutschen Rezession legten sie rund zweieinhalb Mal so schnell zu, wie im langjährigen Schnitt. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Real- und Finanzwirtschaft mittlerweile zwei unterschiedliche Welten sind – hier ist er!

Wenn es in der Wirtschaft kriselt, boomt es auf dem Parkett

Wie kann das sein? Trotz mittlerweile erheblicher Arbeitsplatzverluste in der Industrie, eines Ölpreises, der Kapriolen schlägt, Kriege in der Ukraine und in Nahost und eines drohenden Zollstreits mit den USA?

BASF in Ludwigshafen. Das Unternehmen schließt Fertigungsstraßen am Heimatstandort.
BASF in Ludwigshafen. Das Unternehmen schließt Fertigungsstraßen am Heimatstandort. | Bild: Uwe Anspach, dpa

Tatsächlich ist es nicht unüblich, dass die Börse boomt, wenn es mit der Wirtschaft abwärts geht. Als in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise Deutschland im Jahr 2009 mit knapp sechs Prozent Minus in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit rutschte, legte der Dax um fast ein Viertel zu. Auch bei vorangegangenen Krisen war das der Fall.

Börsen handeln die Zukunft

Börsen handeln die Zukunft und nicht das Jetzt. Und jede Wirtschaftsflaute ist irgendwann einmal zu Ende. Daher ist es aus Anlegersicht nur rational, sich antizyklisch zu verhalten. Mit Aktien sei es ähnlich wie mit Straßenbahnen, sagte der Börsenguru André Kostolany einmal. Man dürfe ihnen bloß nie nachlaufen. Anleger, die in Krisenzeiten investieren, haben das beherzigt.

Hoffnung auf sinkende Zinsen

Daneben gibt es aber auch handfeste wirtschaftliche Gründe, warum die Börse Oberwasser hat. Die im Dax notierten Firmen sind zwar formal deutsch, ihre Geschäfte machen sie mit Exportanteilen von bis zu drei Vierteln aber längst anderswo. Ihr wichtigster Absatzmarkt sind die USA, und hier brummt auch die Realwirtschaft.

Niedrige Steuern und wenig Vorgaben, insbesondere für die Energie- und Finanzbranche, dürften das Wirtschaftswachstum in Übersee im laufenden Jahr auf fast drei Prozent ankurbeln, schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF). Und US-Präsident Donald Trumps Fantasien, die US-Notenbank an die Kandare zu legen, um die Zinsen weiter auf Talfahrt zu bringen, beflügelt die Kurse weiter.

Der Bulle vor der Frankfurter Börse ist das Symbol für steigende Aktienkurse. Abgeleitet ist das von der Schulderlinie des Tieres, die – ...
Der Bulle vor der Frankfurter Börse ist das Symbol für steigende Aktienkurse. Abgeleitet ist das von der Schulderlinie des Tieres, die – anders als beim Bäsen, dem Symbol für eine Baisse – stets nach oben zeigt. | Bild: DANIEL ROLAND, AFP

Im Euroland braucht es keinen Trump für sinkende Zinsen. Das macht die Notenbank EZB schon ganz allein. In den vergangenen Wochen hat sie durchblicken lassen, der wirtschaftlichen Erholung Priorität einzuräumen. Höhere Zinsen wäre da Gift.

Wumms gegen die Krise in Europa

Allgemein scheint sich in Europa die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, der US-amerikanischen America-First-Politik, ein ebenso starkes wirtschaftsfreundliches Signal entgegenzusetzen. Dafür werden schon mal alte Prinzipien über Bord geworfen.

Die EU-Kommission will deregulieren und verspricht „eine beispiellose Anstrengung“ für weniger Vorgaben für die Unternehmen. Das in der Wirtschaft verhasste Lieferkettengesetz und Nachhaltigkeitvorgaben für Finanzprodukte stehen auf dem Prüfstand. Im Gegenzug sollen Milliarden in Zukunftsbranchen wie Halbleiter und KI fließen.

Neuwagen von Mercedes-Benz und BMW stehen auf dem Verladeterminal. Die deutschen Autobauer sind in schwerem Fahrwasser. Der Absatz stockt.
Neuwagen von Mercedes-Benz und BMW stehen auf dem Verladeterminal. Die deutschen Autobauer sind in schwerem Fahrwasser. Der Absatz stockt. | Bild: Ingo Wagner, dpa

Risiken werden ausgeblendet

In Sachen Wirtschaftspolitik plant Brüssel eine Art Neuauflage der „Koste-es-was-es wolle-Politik“ des Ex-EZB-Präsidenten Mario Draghi. Nur steht diesmal nicht die Eurorettung im Fokus, sondern die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents gegenüber den globalen Konkurrenten USA und China.

Das alles beflügelt auch die Börsen. Objektive Risiken, wie die grassierende Wachstumsschwäche Chinas, geopolitische Spannungen um Taiwan oder die immer wieder aufflammende Staatsschuldenkrise in Europa, verblassen dagegen. Die Zeichen, dass die Kurse auch dieses Jahr noch steigen, stehen nicht schlecht.