Baden-Württemberg steckt in der Dauerkrise. Beim Wirtschaftswachstum wird das Bundesland nach hinten durchgereicht. Um 0,4 Prozent, und damit deutlich stärker als manch anderes Flächenland, schrumpfte die Südwest-Wirtschaft 2024. Die Industrie, die dem Land jahrzehntelang Wohlstand und Wachstum bescherte, steckt in der Multi-Krise. Exportbranchen wie die Automobilbauer, die Elektrotechnik oder der Maschinenbau kommen nicht auf Touren. Die Autohersteller verzeichnen seit mehr als fünf Jahren kein Wachstum mehr, die Zahl der hierzulande gefertigten Fahrzeuge sinkt.
17.000 Industriejobs weniger im Südwesten – allein seit Jahresbeginn
Das hat Auswirkungen auf die Jobs. Seit dem Höchststand der Beschäftigung Mitte 2019 sind knapp 55.000 Jobs verloren gegangen, allein seit Jahresbeginn knapp 17.000, heißt es vom Arbeitgeberverband Südwestmetall.
Und jetzt also noch Donald Trump! Dessen Zollpolitik könnte die Unternehmen weiter in den Strudel aus Unterauslastung und steigenden Kosten hineinziehen.

Aber, nicht alles scheint verloren. Im Moment werde das europäische Exportmodell nur getestet, sagt Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Freiburger Industrieverbands WVIB. „Ich würde es aber nicht abschreiben.“
Was Trump tut ist „schön blöd“
Trump versuche gerade, die seit Jahrzehnten anhaltende De-Industriealisierung umzukehren. „Ob ihm das mit seiner Zollpolitik gelingt, ist sehr fraglich“, sagt Münzer. Insbesondere die US-Bürger würden die Auswirkungen durch höhere Preise für schlechtere Waren zu spüren bekommen. „Die USA bringen sich im Moment gerade selbst um ihren Wohlstand. Das ist schön blöd“, sagt Münzer. Bei vielen Produkten, etwa bei Stählen, aber auch bei bestimmten Maschinen, komme man um Europa und besonders um Deutschland nicht herum.
WVIB-Chef Münzer: Nischen-Strategie ist richtig
Die Strategie, Nischen mit Hightech-Produkten für den Export „sauber auszufüllen, war jedenfalls richtig und wird es auch künftig sein“, sagt er. Allerdings bedürfe es eines Strategiewechsels. Mehr Freihandelsabkommen etwa und nach innen mehr Marktwirtschaft. „Umverteilung und Bürokratisierung haben zu viel Raum eingenommen. Nötig ist wieder mehr Eigenverantwortung in Politik und Wirtschaft, mehr Flexibilität und geringere Kosten für die Unternehmen“, sagt der Volkswirt. Wenn er durch die Betriebe in Südbaden gehe, sehe er „gute Technologien und gute Mitarbeiter“. Und die Firmenchefs wüssten in den meisten Fällen, was sie tun. Ein Abgesang hört sich anders an.
Nachfolgend ein Überblick, wie Firmenchefs aus Südbaden die Lage einschätzen:

Atmos Medizintechnik aus Lenzkirch
Wenige Branchen in Baden-Württemberg sind so exportorientiert wie die Medizin-Technik. Die meist mittelständischen Betriebe sind in der Nische stark – so wie Atmos Medizintechnik mit Stammsitz in Lenzkirch im Schwarzwald. Frank Greiser führt dort zusammen mit seinem Bruder Maik die Geschäfte. Ihr Vater kaufte sich 1999 in die Firma, ein Spezialist für Absaugsysteme für OPs, ein und übernahm sie fünf Jahre später. Seit 2015 sind seine Söhne am Ruder. 300 Mitarbeiter erwirtschaften bei Atoms jährlich 45 Millionen Euro Umsatz. Frank Greiser ordnet, die Situation in den USA so ein:
„Ich habe geschäftlich viel in Amerika zu tun. Die Menschen, mit denen ich dort spreche, stehen oft hinter Trumps Zollpolitik, weil sie der Meinung sind, es handele sich dabei um eine Art Notwehr-Maßnahme. Sie glauben, Trumps Zölle seien Gegenzölle auf bisher einseitig gesetzte Zollschranken im Rest der Welt. Das stimmt aber in den meisten Fällen nicht. Mit Fairness in Handelsfragen hat Trumps Politik wenig zu tun. Ihm geht es darum, das Handelsdefizit der USA auszugleichen. Sein Instrument sind die Zölle. Ich muss dann erst mal Aufklärungsarbeit leisten und unsere Perspektive als Europäer erläutern. Nicht immer ist das von Erfolg gekrönt. In den USA hält sich hartnäckig das Gerücht, die deutsche Mehrwertsteuer, falle nur auf US-Waren an. Das ist Quatsch, aber viele Leute glauben solche Erzählungen. Und es ist schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen.“ Es gleiche einem Kampf gegen Windmühlen, solche Fake-News wieder zurechtzurücken, sagt Firmenchef Greiser.

Trumps Ankündigung einer neuen Zollpolitik im Rosengarten des Weißen Hauses im April hat in der Medizintechnikbranche ziemlich eingeschlagen. Das sieht auch Greiser so: „Viele Unternehmen haben ein großes US-Geschäft, die gut aufgestellten machen die Hälfte ihrer Umsätze in den USA. Der US-Markt ist in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht attraktiver gewesen, als der in Europa, weswegen sich viele Firmen dorthin orientiert haben“, sagt er.
„Trumps Zollpolitik ist für uns daher eine echte Hypothek. Wir fertigen unsere Produkte ausschließlich in Baden-Württemberg und sind deswegen auf niedrige Zölle und Freihandel angewiesen. Beunruhigend ist zudem, dass Asien bei Medizinprodukten ebenfalls einen ähnlichen Weg geht wie Trump, nur viel leiser. China schottet sich seit Jahren gegenüber Importen ab. Und Indonesien, ein Land mit 280 Millionen Einwohnern, akzeptiert sogar nur noch lokal gefertigte Medizinprodukte. Auch deswegen haben wir uns in den vergangenen zwei bis drei Jahren intensiv um einen Aufbau des US-Geschäfts gekümmert. Rückblickend könnte man sagen, das war der falsche Zeitpunkt.“

IMS-Gear aus Donaueschingen
Wenn es um Komfort im Auto geht, kommt man an IMS Gear aus Donaueschingen kaum vorbei. Der Spezialist für Kleinantriebe wie elektrische Sitzverstellungen oder automatische Verriegelungen ist international aufgestellt. Mit 3000 Mitarbeitern weltweit, 1600 davon im Inland, macht man 578 Millionen Euro Umsatz. Aber die stotternden Welt-Automärkte machen auch dem mehrheitlich im Besitz der Familie Zimber-Morat befindlichen Betrieb zu schaffen. Seit 1,5 Jahren ist Ales Starek Finanzvorstand bei IMS Gear. Trumps Zollpolitik, schreckt ihn nicht:
„Ich bin wahrscheinlich einer der Wenigen, die das, was Trump gerade macht, gar nicht so schlecht finden“, sagt Starek. „Denn langfristig wird Trumps protektionistische Politik dazu führen, dass die US-Industrie an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Ganz einfach, weil sie sich der harten Konkurrenz aus dem Ausland nicht mehr stellen muss. Das wiederum ist eine Riesenchance für die Firmen in Europa, unseren Vorsprung auszubauen. Wir haben die Technologien, wir haben die schlauen Köpfe und wir können effizient produzieren. Ich glaube daher, wir sollten die aktuellen Vorgänge eher als Chance begreifen.“

Was IMS Gear konkret angeht, sieht der Manager das Unternehmen gut für den drohenden Zoll-Hammer aus Washington aufgestellt. Klar würde das Unternehmen durch zusätzliche Kosten belastet, aber man habe „schon vor Jahren vorgesorgt“. „Sowohl in Europa als auch in Asien und den USA produzieren wir Local for Local – also in den Ländern für die jeweiligen Märkte dort. In den USA haben wir zwei Produktionswerke, zudem eines in Mexiko. Das gibt uns die nötige Flexibilität, auch mit der jetzigen Zollkrise fertig zu werden. Wir werden uns anpassen, und ich schließe nicht aus, dass wir unsere Produktion in den USA ausweiten, wenn unsere Kunden dort prosperieren.
Wichtig erscheint mir aber, auch neue Wachstumsmärkte in den Blick zu nehmen, etwa in Indien oder Südostasien. Die Zeit, in denen die Automobilindustrie und die Zulieferer im Schlepptau von China und den USA dynamisch gewachsen sind, ist vorbei. Diese Märkte werden wichtig bleiben, aber das Wachstum wird sich tendenziell woanders hin verlagern.
Was man übrigens in der aktuellen Debatte um Trumps Zollpolitik oft vergisst: China hat in der Vergangenheit eine ähnlich restriktive Politik betrieben. Wer dort Geschäfte machen wollte, musste einen bestimmten Anteil an lokaler Wertschöpfung haben, ansonst wurden hohe Zölle für Importe fällig. So hat es China geschafft, viel Produktion und Know-how ins Land zu holen. Auch das ist eine protektionistische Politik, über die allerdings nicht so viel gesprochen wird“, sagt der langjährige Automobil-Manager.

Wefa aus Singen am Hohentwiel
Manche nennen Wefa aus Singen einen Hidden Champion. Zumindest ist das Unternehmen, unscheinbar in einem Industriegebiet gelegen, international in der Fahrzeugindustrie stark vernetzt. Die Werkzeuge der Firma, die einst aus der Alu-Suisse hervorgegangen ist, ermöglichen es, dass Klimaanlagen in modernen Autos richtig viel Leistung bringen. Tesla aus den USA oder der neue Stern am Fahrzeugmarkt, die chinesische BYD, kommen ohne Wefa-Technologie nicht aus. 50 Millionen Euro Umsatz macht man mittlerweile mit seinen rund 300 Mitarbeitern, von denen 130 in Deutschland beschäftigt sind. Joe Maier, der das Unternehmen zusammen mit seinem Bruder Oliver seit zwei Jahrzehnten führt, erklärt, welche Auswirkungen ein Auseinanderfallen des Weltmarkts auf den Mittelständler hätte:
„Als Wefa haben wir es in den USA gerade mit mehreren Herausforderungen zu tun. Die eine besteht in der Zollpolitik von Donald Trump, die andere im Auftreten seines Ex-Beraters Elon Musk. Wefa-Kunden liefern an Tesla Batteriekühlungsprofile, und da ist die sich abzeichnende Kaufzurückhaltung besonders europäischen Tesla-Kunden für uns keine gute Nachricht. Was die Zollpolitik angeht, kann ich sagen, dass Wefa seit 15 Jahren mit einem Produktionswerk in den USA vor Ort ist und wir uns mittlerweile dort auch klar als US-Unternehmen präsentieren. Unsere Kosten steigen durch die Zölle, und auch die grassierende Verunsicherung spielt uns nicht in die Karten. Ich bin aber sicher, dass wir die Lage am Ende meistern.

Jenseits dessen liegt unsere wahre Herausforderung Tausende Kilometer von Trump entfernt und lautet „China Speed“, also die ungeheure Innovationsgeschwindigkeit, mit der China seine Industrien weiterentwickelt. Deutsche Firmen sind in China noch hoch angesehen. Made in Germany zählt noch etwas. Aber wenn es darum geht, in Projekten mit Chinesen zusammenzuarbeiten, spürt man Vorbehalte, ob wir als Deutsche bei dem Entwicklungstempo mithalten können.
Da treffen zwei Arbeitskulturen aufeinander, die chinesische 24/7-Auffassung versus der deutschen Mentalität. Wir müssen unsere Behäbigkeit ablegen, sonst machen das Geschäft künftig andere“, sagt Maier.
An der Exportorientierung werde Wefa festhalten. Neue Märkte, etwa in Südostasien, würden auch für das 1972 gegründete Familienunternehmen wichtiger.
„Ich sehe nicht schwarz, trotz der vielfältigen Krisen, die uns gerade weltpolitisch zu schaffen machen. Das ist eben die neue und unberechenbare Welt, in der wir uns bewegen. Aber es ist die Aufgabe von uns Unternehmern, auch damit zurechtzukommen und etwas Positives daraus zu machen“, sagt Wefa-Manager Maier.