Graffiti ist nicht nur Rebellion – es ist urbanes Zeitzeugnis. An Mauern, Brücken und Bahnhöfen erzählen Schriftzüge und Bilder von politischen Umbrüchen, Popkultur, Migration und Alltagskultur. In Metropolen wie Berlin oder New York lassen sich an Graffitis ganze Epochen und Subkulturen ablesen – und nun auch am Fürstenberg-Gymnasium.

Was Graffiti auch für die Schüler bedeutet, das wurde beim Graffiti-Workshop in der Projektwoche am Fürstenberg-Gymnasium schnell klar: Dort ging es um mehr, als um bloßes Sprayen.

Eigentlich sollte nur eine Torwand her

Entstanden war das Projekt aus einer Idee zweier Schüler, Cedric Bernhard und Silas Münzer, beide sportbegeistert und leidenschaftliche Fußballfans. „Wir wollten zuerst einfach nur eine Torwand verwirklichen“, erzählt Münzer. „Aber irgendwie war das noch nicht genug.“ Bernhard ergänzt: „Dann kam uns die Idee, etwas zu machen, das bleibt und das uns die Möglichkeit gibt, unsere Kreativität auszuleben.“

Cedric Bernhard und Silas Münzer sind die Initiatoren des Projekts. Sie sind stolz über das Ergebnis. Durch eine besondere ...
Cedric Bernhard und Silas Münzer sind die Initiatoren des Projekts. Sie sind stolz über das Ergebnis. Durch eine besondere Imprägnierung, einer keramischen Schutzbeschichtung, ist die Wand sogar dauerhaft vor Vandalismus geschützt. | Bild: Hannah Schedler

Schnell war klar: Die Torwand wird nicht nur gebaut, sie wird auch besprüht. Die Idee wuchs. Unterstützt von Lehrer Daniel Hornuß – selbst passionierter Sportler – und dem Graffiti-Künstler Yannick Sztraka entstand ein Projekt, das das klassische Verständnis von Schule erweitert.

Freiheit auf Beton

„Wir wollten mehr als ein Kunstprojekt“, sagt Steffen Helbig, der als Sozialarbeiter und Respekt-Coach der Caritas die pädagogische Linie mitprägte. „Wir wollten Räume schaffen für Selbstermächtigung, für Teilhabe, für gemeinschaftliches Handeln. Schule muss ein Ort sein, an dem junge Menschen erfahren: Ich kann gestalten. Ich kann sichtbar werden.“

Respekt-Coach Steffen Helbig vermittelt mit Graffiti Kreativität und Gemeinschaftsgefühl. Helbig selbst hat schon in seiner Jugend ...
Respekt-Coach Steffen Helbig vermittelt mit Graffiti Kreativität und Gemeinschaftsgefühl. Helbig selbst hat schon in seiner Jugend selbst an Graffiti versucht. | Bild: Hannah Schedler

Helbig spricht nachdenklich: „Unsere Welt ist voll von Symbolen, voller lauter Stimmen. Wir wollten den Jugendlichen einen eigenen Resonanzraum geben – ein Stück Freiheit auf Beton.“

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Nicht nur Jungs sprayen gerne

Diese Freiheit spürten auch Santiya Chandramohan und Mia Stemple, zwei der Teilnehmerinnen. Beide widersprechen entschieden dem Klischee, Graffiti sei eine Männerdomäne. „Das ist völliger Quatsch“, sagt Chandramohan und lacht. „Wir haben mitgesprayt, geplant, gemischt und am Ende haben wir etwas geschaffen, das bleibt.“

Für Stemple war der Workshop mehr als ein schulisches Projekt. „Das war eine Erfahrung für das Leben. Man lernt, mit anderen zu kommunizieren, Ideen auszuhandeln, Kompromisse zu finden und trotzdem bei sich selbst zu bleiben.“

Graffiti ist natürlich nicht nur Männersache: Mia Stemple und Santiya Chandramohan haben ihre Freude am Graffiti gefunden.
Graffiti ist natürlich nicht nur Männersache: Mia Stemple und Santiya Chandramohan haben ihre Freude am Graffiti gefunden. | Bild: Hannah Schedler

Graffiti, so sagen sie, sei nicht Schmiererei, sondern Ausdruck und im besten Fall sogar ein Statement. „Man kann damit ein Zeichen setzen. Und Zeichen brauchen wir heute mehr denn je“, so Chandramohan.

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Kunst fördert die Gemeinschaft

Was in vier Tagen entstand, kann sich nicht nur sehen lassen, es wirkt. Eine farbintensive Dschungellandschaft. „Etwas mit Tiefe, mit Leben. Der Dschungel war einfach stimmig und passt in die Natur drumherum“, sagt Sozialarbeiter Steffen Helbig. Ein Kunstwerk also, das rundum authentisch ist.

Impressionen der Kletterwand des Fürstenberg-Gymnasiums. Nach vier Tagen Graffiti-Workshop erstrahlt sie im neuen Glanz.
Impressionen der Kletterwand des Fürstenberg-Gymnasiums. Nach vier Tagen Graffiti-Workshop erstrahlt sie im neuen Glanz. | Bild: Hannah Schedler

Dass die Farben dauerhaft erhalten bleiben, ist kein Zufall. Die Fläche wurde mit einem speziellen Imprägniermittel behandelt, das neue Farbe abweist. „Das Kunstwerk ist im besten Sinne unantastbar“, sagt er. Und es ist das Resultat intensiver, gemeinsamer Arbeit.

„Ich bin stolz auf die Schüler. Sie haben Verantwortung übernommen, sich eingebracht, aufeinander geachtet. Man hat gespürt, dass da etwas wächst. Nicht nur auf der Wand, sondern in der Gruppe selbst.“

Vielfalt erfahrbar machen

Helbig formuliert es so: „Resilienz, Selbstwirksamkeit, sozialer Dialog – das sind nicht nur Schlagworte. Das sind Bildungsziele. Und genau hier können wir sie erfahrbar machen.“

Für ihn ist das Projekt auch ein Beitrag zur politischen Bildung. „Rassismus, Ausgrenzung, Extremismus – all das ist Teil der Lebensrealität junger Menschen. Wenn wir etwas dagegen setzen wollen, brauchen wir Orte, an denen Vielfalt und Kooperation konkret erfahrbar werden.“

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Schulleiter Mario Mosbacher zeigt sich beeindruckt: „Was hier entstanden ist, ist großartig und zwar nicht nur optisch. Wenn wir junge Menschen stark machen wollen, dann brauchen wir genau solche Projekte.“ Er ist sich sicher, sobald die Griffe an die Kletterwand kommen, wird diese auch genutzt.

Für viele Beteiligte steht fest: Das war nicht das letzte Mal, dass sie zur Sprühdose gegriffen haben. Sie haben gemerkt, dass man mit eigenen Händen, eigenen Ideen, eigener Energie etwas verändern kann.