Stefan Küpper

Mittig wollen alle Parteien irgendwie sein, die einen ernsthaften Mehrheitsanspruch im Bundestag und den Parlamenten der Länder haben. Die Mitte ist begehrt. Es ist zwar nicht ganz klar, was alles Mitte ist, zuletzt aber sind zwei Studien erschienen, die all jene, die die Mitte politisch für sich vereinnahmen wollen, zur Kenntnis nehmen könnten.

Mittelschicht unter Druck

Da ist zum einen die repräsentative Umfrage, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gemacht hat und eben unter dem Titel „Generation Mitte“ läuft. Die Demoskopen befragten dabei Deutsche im Alter zwischen 30 und 59, die Generation der sogenannten „Leistungsträger“, die die sozialen Sicherungssysteme des Landes finanziert, weil sie laut Allensbach 70 Prozent der Erwerbstätigen darstellt und 80 Prozent der steuerpflichtigen Einkünfte erwirtschaftet. Zugleich prägt diese Altersgruppe auch die kommende Generation. Auch das macht sie politisch so relevant.

Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), spricht auf einer Veranstaltung in Berlin.
Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), spricht auf einer Veranstaltung in Berlin. | Bild: Britta Pedersen, dpa

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Corona-Krise „deutliche Spuren“ in der Gemütsverfassung der mittleren Generation hinterlassen hat. Zwar sei sie bisher materiell überwiegend gut durch die Pandemie gekommen. Die Menschen fühlten sich allerdings „zunehmend gestresst“. Noch im vergangenen Jahr hatte lediglich jeder Dritte so empfunden, jetzt liegt der Anteil bei 39 Prozent. Zwar gebe es im zweiten Corona-Jahr mehr Optimismus, wie die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher, in Berlin sagte. „Das ist aber noch weit unter dem Vor-Corona-Niveau. Das dauert noch, bis wir hier wieder eine Stimmungslage haben, die in normalen Zeiten selbstverständlich war.“

Wie reagiert die Ampel-Regierung auf die Pandemie?

Die Pandemie ist also eine große Herausforderung für die neue Ampel-Regierung. Diese wird der Umfrage zufolge zunächst auch noch abwartend gesehen. Die große Mehrheit der mittleren Generation kann mit Blick auf das von Kanzler Olaf Scholz geführte Dreierbündnis aus SPD, Grünen und der FDP bisher „noch keine Aufbruchstimmung erkennen“. Immerhin 40 Prozent sähen der neuen Bundesregierung jedoch mit Hoffnungen entgegen.

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Die Koalition ist unter dem historisch aufgeladenen Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ angetreten. Aber mit Blick auf die Modernisierung – die zweite große Herausforderung – herrscht Skepsis. Gefragt wurde: „Glauben Sie, dass die neue Regierung die Modernisierung des Landes rasch in Angriff nimmt, oder haben Sie da Zweifel?“ 53 Prozent der Befragten antworteten, dass sie Zweifel haben.

Gefragt, in welchen Bereichen der technische Fortschritt beziehungsweise die Digitalisierung Tempozuwachs nötig habe, wurden zuerst die städtischen und kommunalen Verwaltungen, dann der Schulunterricht, dann Ämter und Behörden, dann die Pflege genannt. Auf der Top-drei-Liste dessen, worum sich Scholz‘ Ampel besonders kümmern sollte, werden genannt: für ausreichend Pflegekräfte sorgen (73 Prozent), Inflation bekämpfen (72 Prozent) und das Gesundheitssystem stärken (71 Prozent).

Bevölkerung erwartet höhere Belastungen

Ein Punkt, der die FDP aufhorchen lässt und den Finanzminister Christian Linder als Herausforderung begreifen könnte, weil er und seine Partei sich zugutehalten, Steuererhöhungen verhindert zu haben, lautet: 73 Prozent der Befragten erwarten laut Allensbach, dass Steuern und Abgaben in den nächsten Jahren eher steigen werden.

Die Pandemie hat die Zukunftsaussichten der Deutschen eingetrübt.
Die Pandemie hat die Zukunftsaussichten der Deutschen eingetrübt. | Bild: CHRISTOF STACHE, AFP

Schließlich noch ein Blick auf den Klimawandel, dessen Bekämpfung die neue Regierung sich ebenfalls zentral verschrieben hat. Hier lautet dass Ergebnis: Klimaschutz zählt für die mittlere Generation zu den „wichtigsten Aufgaben“ in der politischen Agenda. Große Sorgen über den Klimawandel machten sich indes jedoch nur eine Minderheit von 42 Prozent. Warum? Von den Autoren heißt es dazu: „Das hat auch damit zu tun, dass der Klimawandel eher auf mittlere und längere Sicht als Gefahr empfunden wird. So fühlen sich nur 26 Prozent der mittleren Generation persönlich durch den Klimawandel und seine Auswirkungen bedroht, gleichzeitig sehen jedoch 69 Prozent eine Bedrohung für die nächste Generation, also die Generation der Kinder der mittleren Generation.“ Das Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels sei allerdings – siehe die Flut im Ahrtal – nochmals gestiegen.

Höheres Bildungsniveau nötig

Zu für die neue Regierung interessanten Ergebnissen kommt auch eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die diese gemeinsam mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erstellt hat. Wichtigste Erkenntnis: „Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt.“ Der Zugang zu dem gesellschaftlichen Teil, der – so die Zuschreibung der Autoren – monatlich ein Familiennettoeinkommen zwischen 3000 und 8000 Euro zur Verfügung hat, hat sich „deutlich verschlechtert“: 1995 zählten noch 70 Prozent der Bevölkerung zur mittleren Einkommensgruppe, 2018 waren es nur noch 64 Prozent. Zwar habe der wesentliche Rückgang bis 2005 stattgefunden, „doch die Mitte erholte sich seither nicht wieder, obwohl die deutsche Wirtschaft stetig gewachsen und die Arbeitslosigkeit gesunken ist.“

Natascha Hainbach, Arbeitsmarktexpertin bei der Bertelsmann Stiftung, nennt Gründe: „Diese sind vielfältig. Wir sehen aber vor allem einen Rückgang bei den jüngeren Personen, vor allem denen ohne Abitur und Berufsausbildung. Das Bildungsniveau, das nötig ist, um in die Mittelschicht zu kommen, ist gestiegen. Wenn man im Niedriglohnsektor ist, wird es schwieriger, in die Mittelschicht aufzusteigen. Auch für Singles ist es nicht leichter geworden, weil sie nur über ein Einkommen verfügen.“

Frauen in Jobs oft überqualifiziert

Schließlich weisen die Autoren besonders auf die Situation von Frauen im Arbeitsmarkt hin. Fazit: „Sie arbeiten häufiger als früher, allerdings oft mit geringer Stundenzahl und in Tätigkeiten, für die sie überqualifiziert sind. Darüber hinaus zeigt sich, dass es zunehmend ein zweites gutes Arbeitseinkommen im Haushalt braucht, um zur Mittelschicht zu gehören.“ Wer die Mittelschicht stärken wolle, sollte „Umfang und Qualität“ der Jobs von Frauen verbessern. Besonders wichtig sei es, auch bei den Frauen den Minijob-Bereich zu reduzieren, betont Hainbach. Auch hier müssten die Jobs in sozialversicherungspflichtige Stellen umgewandelt werden.

Dass erstmals Parität im neuen Bundeskabinett erreicht wurde, dass es also genauso viele Minister wie Ministerinnen gibt, darf die neue Regierung für sich verbuchen. Was den Rest betrifft, gilt: Die Arbeit beginnt gerade erst.