Der Messtechnikspezialist Endress+Hauser beackert ein weites Feld: Von relativ einfachen Thermometern bis zu komplizierten digitalen Geräten zur Messung des Füllstands, des Drucks oder zur Flüssigkeitsanalyse hat das 14.300-Mitarbeiter-Unternehmen alles im Angebot.
Firmen aus der Nahrungsmittelindustrie, der Pharmabranche oder der chemischen Industrie setzen in ihren Anlagen auf die Produkte des Konzerns aus Reinach nahe der deutschen Grenze bei Basel. „Etwa zehn bis 15 Prozent unseres Geschäfts haben heute eine Industrie-4.0-Komponente“, sagt Matthias Altendorf, der das Unternehmen seit 2014 leitet.
350 Mitarbeiter arbeiten an digitalen Lösungen
Zwar verdient das Unternehmen, das auch mehrere Standorte in Deutschland hat, mit der neuen Welt noch nicht so viel Geld wie mit der alten Welt. „Aber trotzdem müssen wir in Software investieren, denn dort liegt die Zukunft“, sagt Altendorf. Etwa 350 Mitarbeiter kümmern sich bei Endress+Hauser schwerpunktmäßig um digitale Lösungen. Und damit sind nur jene gemeint, die Komponenten oder Produkte für das industrielle Internet der Dinge entwickeln – die Zahl der IT-Mitarbeiter und Software-Entwickler ist größer.

„Früher, das heißt in den 70er-Jahren, hatten unsere Messgeräte noch gar keine Software-Komponente. Heute ist der Aufwand zur Entwicklung der Software-Komponente mindestens genauso hoch wie der für die herkömmliche Ingenieurtätigkeit“, erklärt Altendorf. Messgeräte werden immer intelligenter. Sie können zum Beispiel ein Produkt automatisch nachbestellen, wenn der Bestand ein gewisses Maß unterschreitet. Oder sie warnen den Betreiber, wenn sich Komponenten abnutzen, sodass sie gewartet oder ausgetauscht werden können, bevor ein Defekt entsteht. Durch diese Technologie lassen sich Stillstände in der Produktion vermeiden.
Die Geschäfte bei Endress+Hauser laufen derzeit vergleichsweise gut. Die Corona-Krise wirkt sich nicht so drastisch aus wie in anderen Branchen. Allerdings hat das Unternehmen zwischenzeitlich bis zu 10.000 Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.
Klar ist aber auch, dass die Traumzahlen des Jahres 2019, als die Schweizer mit einem Umsatz von mehr als 2,6 Milliarden Euro einen Rekord einfuhren, schwer zu toppen sein werden. „Man muss aus seiner Komfortzone raus, um sich weiterzuentwickeln“, sagt Altendorf. „Wir brauchen ständig junge Menschen aus den Schulen und Hochschulen, die neue Impulse ins Unternehmen bringen, damit wir am Puls der Zeit bleiben.“
Firmen-DNA sind innovative Produkte
Doch mit seiner klassischen Organisationsstruktur, zu der neben dem Firmensitz in Reinach unter anderem das deutsche Vertriebszentrum in Weil am Rhein mit fast 700 Mitarbeitern und die Produktion für Füllstand- und Druckmessgeräte in Maulburg mit 2000 Mitarbeitern zählen, stößt auch Endress+Hauser an seine Grenzen. „Unsere DNA im Kernunternehmen besteht aus innovativen Produkten und einem beratungsintensiven Vertrieb“, sagt Altendorf. Um zu experimentieren und neue Ideen zu entwickeln, müsse man diese Struktur manchmal verlassen. Deshalb setzte man auf Ausgründungen, wo der Freiheitsgrad größer ist, sagt Altendorf.

So tüfteln in Freiburg im „Sensor Automation Lab“ seit letztem Jahr mehr als 20 Mitarbeitende an Sensortechnologien, welche die menschlichen Sinne wie Sehen, Hören, Schmecken oder Riechen nachbilden sollen. Dabei arbeitet Endress+Hauser mit dem Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg und dem Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik zusammen.
Keine Roboter-Revolution
In Berlin beschäftigen sich seit vier Jahren 15 Mitarbeiter im „Digital Lab“ mit dem Geschäft über Online-Plattformen. „In Berlin kann sich unsere Ausgründung mit Hunderten anderen Start-ups befruchten. Das wäre in der Form so im beschaulichen Reinach nicht möglich“, erklärt Altendorf. Und in München beschäftigen sich 10 Mitarbeitende mit der Vorentwicklung von Produkten und Lösungen für die Durchflussmesstechnik.
Dabei legt der ehemalige Entwicklungschef von Endress+Hauser Wert darauf, dass die Ausgründungen nicht zu groß werden. „Das hält die Agilität hoch“, sagt er. Das Scheitern ist bei diesen Projekten durchaus einkalkuliert. In der Unternehmensgeschichte seien immer mal wieder Produkte entwickelt worden, die später den Markttest nicht bestanden haben. „Man muss sich immer etwas früher mit technologischen Trends auseinandersetzen, um sich frühzeitig Kompetenz aufzubauen. Das birgt natürlich auch immer die Gefahr, dass man sich verrennt“, sagt Altendorf.

Völlig digital werde Endress+Hauser in naher Zukunft allerdings nicht werden, glaubt der 52-Jährige. „Der Mensch ist nicht digital, sondern analog. Was man lernt, muss durch Leib und Seele gehen“, so Altendorf. Auch an eine Roboter-Revolution, bei der uns die Arbeit ausgeht, glaubt er nicht. „Viele kognitive und handwerkliche Dinge können Roboter schon heute besser als wir Menschen“, sagt Altendorf.
Ein Schweißroboter könne besser schweißen als ein Mensch. Eine komplizierte mathematische Gleichung könne ein Programm besser lösen als ein Mensch. „Aber ein Roboter kann Emotionen von Menschen nicht einschätzen. Solche Zwischentöne wird auf Jahre hinaus nur der Mensch lesen können“, so der Manager.
Er gehe davon aus, dass Endress+Hauser in zehn Jahre mehr Mitarbeiter als heute habe, aber auch mehr Roboter.