Es fehlt nur noch die formelle Umsetzung des Bundesarbeitsministeriums: Die zuständige Kommission, bestehend aus Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften, hat einstimmig beschlossen, dass der Mindestlohn von 12,82 Euro pro Stunde schrittweise erhöht werden soll. 2026 soll er auf 13,90 angehoben werden, in einem weiteren Schritt 2027 dann auf 14,60 Euro. Auch wenn es weniger ist, als die von der SPD geforderten 15 Euro, sehen Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände die Entscheidung kritisch.
IHK-Chef: Erhöhung ist „fragliches Mittel“
Thomas Conrady kann die Erhöhung aus zwei Perspektiven betrachten. Der Präsident der IHK Hochrhein-Bodensee ist auch Geschäftsführer einer Reinigungsfirma. Positiv beurteilt er, dass die Entscheidung der Kommission nicht durch die Politik geprägt worden sei, er wertet das als „ordnungspolitisch gutes Signal.“

Trotzdem sieht Conrady die Anhebung des Mindestlohns kritisch, denn: „In eine angespannte wirtschaftliche Lage hinein Löhne um mehr als 8 Prozent im ersten und 5 Prozent im zweiten Jahr zu erhöhen, ist aus Unternehmersicht bedenklich. Ich denke da besonders an Branchen wie die Gastronomie, den Handel, die Industrie und die Landwirtschaft, die ohnehin schon gebeutelt sind.“
Mit der Erhöhung werde die Lohn-Preis-Spirale weiter angedreht – das sei äußerst gewagt in einer Zeit, in der versucht wird, die Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen. Ob es mit einem höheren Mindestlohn gelinge, die Lohnschere wieder zusammenzubringen? Conrady sieht es als fragliches Mittel. Ein höherer Mindestlohn führe erfahrungsgemäß auch zu höheren Tarifforderungen.
Als Arbeitgeber ist Conrady indirekt betroffen: „Vorerst hat die Erhöhung keine Auswirkungen für uns, da für unsere Mitarbeiter der Tarifvertrag im Gebäudereiniger Handwerk gilt. Da unser Tarifpartner in der Vergangenheit immer wieder den Abstand zum gesetzlichen Mindestlohn mit in die Verhandlungen genommen hat, erwarte ich auch schwierige nächste Tarifverhandlungen“, erklärt er auf Nachfrage des SÜDKURIER.
Lohnanpassungen nötig in der Gastronomie
Der Abstand zum Mindestlohn beschäftigt auch Martin Hübner. Der Inhaber des Hotels und Restaurants Ko‘Ono in Litzelstetten sagt: „Wir haben viele gelernte Mitarbeiter, die natürlich mehr verdienen als ein Minijobber. Wenn jetzt die Minijobber, die kaum Abgaben haben, mehr Gehalt bekommen, muss ich auch den Lohn bei den gelehrten Mitarbeitern anpassen.“
Diese Meinung hat Hübner als Gastronom nicht exklusiv. Ines Kleiner, Geschäftsführerin vom Konstanzer Sitz des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), erklärt, „dass Erhöhungen des Mindestlohns lohnsteigernde Auswirkungen auf die gesamte Lohnskala haben. Dadurch kommt es auch für Betriebe, in denen nur wenige Mindestlohn-Empfänger arbeiten, zu erheblichen Personalkostensteigerungen.“

Die Mindestlohnerhöhung bedeutet für Martin Hübner noch mehr Arbeit als ohnehin schon: „Wir müssen dann eben noch mehr Gas geben und mal wieder schauen, wie wir noch effizienter arbeiten können.“ Weniger Personal könne und wolle er nicht einstellen, da sonst der Service darunter leidet.
Wird nun also das Essen im Restaurant teurer? Hübner verweist hier auf die Mehrwertsteuer in der Gastronomie, die im kommenden Jahr von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden soll und so zumindest etwas Entlastung liefere, trotzdem sagt er: „Mancher Gast denkt vielleicht, dass es deswegen billiger wird. Den muss ich aber enttäuschen, durch gestiegene Kosten und Löhne kann man froh sein, wenn es nicht teurer wird. Anheben können wir die Preise aber auch nicht, denn wir merken, dass die Gäste weniger ausgeben.“
Erdbeeren um 30 Cent teurer
Die durch den höheren Mindestlohn steigenden Kosten an den Kunden weitergeben? Für Bruno Stotz ist das alternativlos. Der Inhaber des Stotz Hofs in Ittendorf bei Markdorf stellt klar: „Durch die Erhöhung wird etwa der Preis für eine 500-Gramm-Schale Erdbeeren um ungefähr 30 Cent steigen.“ Denn bei der Erdbeerproduktion, einer handarbeitsintensiven Sonderkultur, beständen 40 Prozent seiner Kosten aus Lohnkosten. Für einen Hektar rechnet er mit 2000 Arbeitsstunden.

Um diesen Aufwand zu stemmen, stellt er Saisonarbeiter ein. Er sagt: „Ich weiß, dass das nicht den besten Ruf hat. Aber wir stellen ihnen eine Unterkunft und Verpflegung, deren Ausgaben sind also deutlich geringer als bei Festangestellten. Wenn wir die Saisonarbeiter also nach Mindestlohn bezahlen müssen, wäre das eine große Belastung für uns.“ Stotz hofft, dass es eine Ausnahmeregelung geben wird. Denn sonst werde die ohnehin schon von Unsicherheit geprägte Stimmung in den Betrieben noch schlechter und viele Produkte teurer.
Christian Weseloh, Geschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV), wird in einer Stellungnahme zu den Mindestlohnplänen noch deutlicher: „Mit einer Erhöhung des Mindestlohns wird die Kluft zwischen finanziellem Aufwand und Ertrag noch größer, um nicht zu sagen: zu groß. Insbesondere Betriebe mit Sonderkulturen sind schlichtweg in ihrer Existenz bedroht.“ Auch Padraig Elsner, Pressesprecher des badischen Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV), erklärt auf Nachfrage des SÜDKURIER: „Der BLHV fordert eine Ausnahmeregelung für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft.“
Gewerkschaft begrüßt Erhöhung
Doch es gibt sie auch, die Stimmen, die den Plänen der Mindestlohnkommission viel Positives abgewinnen können. Christian Trompeter ist Landesbezirkssekretär beim Stuttgarter Büro der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die sich für die Beschäftigten in allen Branchen „rund ums Essen und Trinken“ einsetzt, wie sie auf ihrem Internetauftritt schreibt.
Trompeter hört die kritischen Stimmen, merkt aber an: „Die gab es auch bei den letzten Erhöhungen, trotzdem haben die nicht so viele Arbeitsplätze wie angekündigt gekostet.“ Stattdessen sei die kommende Erhöhung notwendig, um für armutsfeste Löhne in den betroffenen Branchen zu sorgen – „und selbst dann bleibt am Ende nicht viel übrig vom Lohn“, sagt er. Außerdem komme die Erhöhung gerade im Lebensmittelbereich während einer stabilen konjunkturellen Lage.
Es zeigt sich: Die Bewertung der Mindestlohnerhöhung kommt auch auf die Branche an. Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands industrieller Unternehmen Baden (wvib) erklärt dementsprechend: „Die Entscheidung der Mindestlohnkommission ist unterm Strich nachvollziehbar. Auch wenn es Branchen gibt, in denen nun neu kalkuliert werden muss.“ Die neue Lohnuntergrenze betreffe eher Dienstleister und die Landwirtschaft, während die Industrie nur mittelbar vom Mindestlohn betroffen ist.
Münzer sagt auch: „Mit einem höheren Mindestlohn verschiebt sich aber das gesamte Lohngefüge. Unternehmen müssen für höhere Gehälter an anderer Stelle Geld sparen, produktiver werden oder höhere Preise verlangen.“