Von „mafiösen Strukturen“ sprach Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) kürzlich im Interview mit dem Stern. Man müsse etwas gegen Schwarzarbeit und Sozialleistungsmissbrauch unternehmen. Über ein kriminelles Betrugsmodell beim Bezug von Bürgergeld berichten nun auch verschiedene Medien, die Jobcenter-Mitarbeitende befragt haben. Bisher sind Fälle in Berlin, Gelsenkirchen und Duisburg bekannt.
Bürgergeld-Betrug in immer mehr Jobcentern bekannt
Immer mehr Städte schlagen Alarm, dass sich professionelle Betrüger mit fingierten Arbeitsverträgen und gefälschten Angaben Bürgergeld erschleichen. So erklärte der Sprecher der Berliner Jobcenter gegenüber der Berliner Zeitung, dass die kriminellen Strukturen vor allem aus Süd- und Osteuropa kämen und Migranten aus EU-Ländern ausnutzten, um an das Bürgergeld zu kommen. „Die Betrugsstrukturen zeigen mitunter einen hohen Professionalisierungsgrad beispielsweise mit gefälschten Anmeldungen bei der Sozialversicherung, Miet- und Arbeitsverträgen und gleichzeitigen Übersetzerdiensten, die bei Terminen im Jobcenter begleiten“, erläuterte der Sprecher.
Laut Bundesarbeitsministerium (BMAS) beobachten Behörden in mehreren Städten – insbesondere im Ruhrgebiet – derzeit auffällige Entwicklungen bei der Zuwanderung aus EU-Staaten, vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Von dort würden Arbeitsmigranten über Mundpropaganda oder „Vermittler“ aus ihrer Heimat, die ihnen Arbeit, Unterkunft und ein besseres Leben versprechen, legal nach Deutschland geholt, berichtet die Berliner Zeitung. Diese Menschen werden dann offenbar in fingierten Beschäftigungsverhältnissen angemeldet, um Bürgergeld und andere Sozialleistungen zu erschleichen.
Sozialbetrug mit Bürgergeld: So funktioniert die kriminelle Masche
Ein vor allem in Duisburg bekanntes Betrugsmuster ist laut SZ: Ein Unternehmen beschäftigt viele Bulgaren und Rumänen, aber nur mit Minijobs. Die Betroffenen werden für wenige Arbeitsstunden angestellt, obwohl sie viel mehr arbeiten, oder sie werden als Tagelöhner ausgebeutet. Da das Geld zum Leben nicht ausreicht, haben die Betroffenen Anspruch auf Bürgergeld – nicht als Arbeitslosengeld, sondern ergänzend zum Minijob-Einkommen. Dieses Sozialhilfegeld wird aber zum Großteil von den Kriminellen eingesteckt, sagen die Jobcenter. Oft ist der Arbeitgeber auch gleichzeitig der Vermieter, der zu überzogenen Mietpreisen Menschen in „Schrottimmobilien“ einpferche und für die Miete ebenfalls Geld vom deutschen Staat bekomme.
Die Bürgermeisterin von Gelsenkirchen sprach gegenüber dem Tagesspiegel von „Clan-Oberen“. Laut einer Sprecherin des Jobcenters Gelsenkirchen werden am liebsten Familien mit mehreren Kindern ausgesucht – da sie mehr Geld beziehen können als Alleinstehende.
Bürgergeld-Betrug: Kriminelle sind schwer zu fassen
Bundesweit ist der Missbrauch nur schwer in Zahlen zu fassen, wie die SZ berichtet. Laut Bundesarbeitsministerium hat die Bundesagentur für Arbeit vergangenes Jahr in 101.000 Fällen Leistungsbetrug festgestellt. Genauere Zahlen gebe es nicht, erklärt das Ministerium. Genauso wenig könne man sagen, wie viele dieser Fälle tatsächlich auf organisierte Strukturen zurückgehen. Das Phänomen trete vor allem dort auf, wo es viel günstigen Wohnraum und eine schwierige Arbeitsmarktlage gebe, verstärkt im Ruhrgebiet.
Nach Angaben der Jobcenter ist es auch nicht einfach, den Betrügern auf die Schliche zu kommen. Wie die Berliner Zeitung schreibt, sind die Täter selten diejenigen, die in den Jobcentern erscheinen. So kann man die Drahtzieher des strukturell angelegten Missbrauchs schwer zur Verantwortung ziehen.
Der Kontrollaufwand sei gigantisch, erklärte auch die Leiterin des Jobcenters Gelsenkirchen dem Tagesspiegel. Auffällig seien oft fehlende Angaben in den Arbeitsverträgen der Antragsteller, so der Leiter des Jobcenters Duisburg – was Schwarzarbeit kaum nachweisbar mache. Der komplette Leistungsentzug des Bürgergeldes werde außerdem durch die Sozialgerichte erschwert.
Immerhin: Im Koalitionsvertrag ist ein vollständiger Datenaustausch zwischen Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden angelegt, der bis heute noch oft lückenhaft ist. Dieser könnte bei der Bekämpfung des systematischen Missbrauchs helfen, so die SZ.
Übrigens: Eine Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit zeigt die jahrelange Abhängigkeit vieler Menschen von Sozialhilfe: Viele bekommen schon seit mindestens 10 Jahren Bürgergeld beziehungsweise den Vorgänger Hartz IV.