Die drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD waren sich schon in ihrem Koalitionsvertrag einig, dass es Änderungen in der Sozialpolitik geben soll, konkret beim Thema Bürgergeld. Seither ist das Thema Bürgergeld nicht mehr aus der Tagespolitik der Regierung verschwunden. Der Nachfolger von Hartz IV soll bald durch die Neue Grundsicherung ersetzt werden – so zumindest die Pläne. Diese Sozialleistung soll allerdings vollständig entzogen werden können, wenn Bezieher ihre Pflicht verletzen, so die Ansage. Aber ist das überhaupt möglich?
Neue Grundsicherung statt Bürgergeld: Was könnte die Regierung planen?
Das Bürgergeld gehört schon seit seiner Einführung 2023 zu den großen Streitpunkten in der Bundespolitik. Spätestens seit Friedrich Merz (CDU) als Bundeskanzler das Land regiert, ist klar, dass eine Reform der Sozialleistung kommen wird.
Merz erklärte bereits vor Beginn seiner Kanzlerschaft, im Februar auf der Pressekonferenz nach dem Ende der Sondierungsgespräche, die neue Regierung wolle das Bürgergeld umbauen. „Wir werden das bisherige Bürgergeldsystem neu gestalten, hin zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende“, so der heutige Kanzler. Bezieher, die ihre Mitarbeit verweigern, sollen demnach bestraft werden: „Für Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, sagte Merz.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte im Juni 2025 gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Wir müssen wirklich an die Substanz des Systems gehen. Wir können nicht wie in den vergangenen Jahren einfach nur irgendwelche neuen Sanktionen ankündigen, die dann in den Jobcentern vor Ort nicht umgesetzt werden können.“
Neue Grundsicherung statt Bürgergeld: Wann werden Leistungen gestrichen?
Neu ist die Idee von Union und SPD nicht. Sogenannten „Totalverweigerern“ das Bürgergeld zu streichen, forderten Unionspolitiker schon zu Zeiten der Ampel-Regierung. Und auch diese setzte teilweise Verschärfungen des Bürgergeldes um. Aber bislang gab es nur teilweise Leistungskürzungen als Sanktionen bei Arbeitsverweigerung.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) der Ampel-Regierung erklärte: „Wer eine Arbeit, eine Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne wichtigen Grund ablehnt, obwohl diese zumutbar ist, muss mit einer Minderung des Bürgergelds rechnen.“ Doch es handelt sich dabei eben nur um eine Kürzung: Bislang darf das Bürgergeld maximal um 30 Prozent für die Dauer von drei Monaten gemindert werden, wenn der Bezieher eine „zumutbare“ Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund abgelehnt hat. So ist es in § 31a Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II), der die „Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen“ klärt, festgelegt.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD wurde jedoch eine Verschärfung beschlossen. Sanktionen sollen künftig schneller und unbürokratischer durchgesetzt werden können, plant die Regierung. Bei wiederholter Arbeitsverweigerung ist laut Koalitionsvertrag sogar ein vollständiger Leistungsentzug vorgesehen – jedoch unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Merz will neue Grundsicherung: Dürfen Leistungen komplett gestrichen werden?
Versteht man die Regierungsparteien richtig, planen sie eine komplette Streichung von Bürgergeld – oder besser: Neuer Grundsicherung – als Sanktion. Aber ist das überhaupt zulässig?
Bis März 2024 galt diese radikale Form der Sanktionierung noch gesetzlich als ausgeschlossen und verfassungswidrig. Formuliert wurde das durch ein Urteil am Bundesverfassungsgericht von 2019. Das lautete: Eine komplette Auslassung der finanziellen Unterstützung für bedürftige Menschen in Deutschland ist nicht rechtens. Die Anforderungen an die „Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen“ würden sich demnach aus der „grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ ergeben. Das Verfassungsgericht beruft sich damit auf Artikel 1, laut dem die Menschenwürde unantastbar ist, sowie auf Artikel 20, der die Bundesrepublik Deutschland als Sozialstaat definiert. Das heißt: Zur Würde des Menschen und zur Aufgabe des Sozialstaats gehört es, ein Existenzminimum gesichert zu bekommen.
Mit einer Gesetzesänderung hat die frühere Ampel-Regierung allerdings zum 28. März 2024 den Abs. 7 des §31a SGB eingeführt. Damit ist geregelt, dass das Jobcenter das Bürgergeld tatsächlich für maximal zwei Monate komplett streichen kann, wenn jemand dauerhaft die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit verweigert. Das BMAS erklärt dazu: „Wer sich (...) bewusst und grundlos weigert, eine konkret angebotene, zumutbare Arbeit aufzunehmen und der vorher (innerhalb des letzten Jahres) bereits gegen eine Pflicht zur Aufnahme einer Arbeit verstoßen oder sein Arbeitsverhältnis grundlos gekündigt hat, dem kann vorübergehend für die Dauer von bis zu zwei Monaten der Regelbedarf im Bürgergeld komplett entzogen werden.“ Die Regelung betreffe damit nur Personen, die konkret arbeiten könnten, dies aber zu Lasten der Allgemeinheit nicht tun. Doch auch hier gilt: Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, dürfen die Wohn- und Heizkosten nicht gekürzt werden. Gleiches gilt für Mehrbedarfe, beispielsweise wegen Schwangerschaft.
Übrigens: Wer Anspruch auf das Bürgergeld hat, ist klar geregelt. So muss man etwa als hilfebedürftig gelten. Doch das Geld gibt es nicht automatisch: Es muss beantragt werden und wird nur eine bestimmte Zeit lang ausgezahlt. Das Bürgergeld wird nicht für frühere Monate rückwirkend ausgezahlt.